Thomas Jenny, am 19. April 1998 ging «Radio X» erstmals auf Sendung. Können Sie sich noch an diesen Moment erinnern?
Sehr gut sogar! Es war gegen Abend in der Kirschgarten-Druckerei. Wir brachten das Betriebssystem zum Laufen, dasselbe wie wir heute noch verwenden, und die Swisscom hat den Sender organisiert. Ich las dann die erste Moderation, gecoacht von Patrik Tschudin, der «Radio X» mit aufgebaut hatte. Seither senden wir.
Was waren Ihre ersten Worte?
Das weiss ich nicht mehr im Detail, das Skript ist auch nicht mehr vorhanden. «Radio X» war ja keine unbekannte Komponente: Wir hatten einen langen Kampf um die Konzession hinter uns, Petitionen und sonstige Aktionen lanciert, Prozesse geführt, wir waren in allen Zeitungen. Es war also bekannt, dass der neue Basler Jugend- und Kultursender jetzt startet und sein Programm aufbaut. Es ging also sehr rasch los.
Glaubten Sie damals daran, dass Sie dereinst den 20. Geburtstag des Senders feiern könnten?
Ich hoffte es. Dass ich dann immer noch Geschäftsführer bin, das war damals nicht die Absicht.
Warum sind Sie es denn noch?
Wie sich zeigte, waren die ersten fünf Jahre noch wesentlich schwieriger als der fünfjährige Kampf um die Konzession. Als Stiftungs- und Verwaltungsrat haftet man für vieles. Von den Mitgründern war ich der einzige, der den Sender in der Öffentlichkeit vertreten konnte. Ich hatte den Kopf in der Schlinge. Insofern war es eine Verkettung von Umständen, die dazu führte, dass ich die ersten sieben Jahre Geschäftsführer blieb. Nachdem die ersten Kinderkrankheiten bewältigt waren, stand schon das zehnjährige Jubiläum an, gefolgt vom neuen Studio nach zwölf Jahren. Dann musste ich mich beim Bundesamt für Kommunikation für eine bessere Abgeltung durch Gebührengelder einsetzen, und bereits stand die No-Billag-Initiative vor der Haustüre. Die Kontinuität der Ereignisse sorgte dafür, dass ich so eng mit «Radio X» verbunden blieb.
«Mein fortgeschrittenes Alter hat am Konzept nichts geändert. Wichtig ist, dass wir Junge haben, die Sendungen machen.»
Das klingt nach: Ich musste bleiben, weil ohne mich alles eingestürzt wäre?
Nein, das meine ich nicht. Es brauchte mich, wie es ganz viele andere Menschen brauchte – angefangen beim Stiftungsrat mit Nicole Bertherin und Linda Muscheidt Burri sowie Mitarbeitern, die viele wichtige Konzepte schufen und das Ausbildungsprogramm auf die Beine stellten. Aber ich stand tatsächlich stets in der Verantwortung, was die Erfüllung der Konzession angeht. AHV, BVG-Bestimmungen, die Berichte an die Stiftungsaufsicht – das gehört alles zur Aufgabe des Geschäftsführers, der ich mehr war als der Journalist.
Sind das nicht alles Aufgaben, die man auch abgeben könnte? Schliesslich verkauft man sich als Jugendsender…
1993, als der Kampf um die Konzession begann, ging ich noch als junger Mensch durch, jetzt nicht mehr. Das stimmt. Wichtig ist aber vor allem, dass wir junge Leute haben, die Sendungen machen. Mein fortgeschrittenes Alter hat am Konzept nichts geändert. Und ich habe von Beginn weg die Musikredaktion wesentlich jüngeren Menschen überlassen.
Wie frei ist das junge Team bei der Gestaltung des Programms?
Die Frage ist, worauf einer aus ist, wenn man bei «Radio X» arbeiten möchte. Wir haben rund 25 Spezialsendungen, die sich ihre Themen selber aussuchen. Dazu kommen aber auch Leute mit neuen Ideen, die noch nicht auf Sendung sind. Wir denken gegenwärtig gerade über eine Sendung auf Persisch, also Farsi, nach. Und als Drittes sind da junge Menschen, die nach einer Ausbildungsplattform suchen.
Wer entscheidet, was neu ins Programm aufgenommen wird?
Das letzte Wort hat der Stiftungsrat. Aber wir haben innerhalb unseres Teams Programmverantwortliche, die Vorentscheidungen treffen – natürlich stets im Rahmen der Konzession und des damit verbundenen Leistungsauftrags.
«Die anderen Privatradios schieben die Verantwortung für die Ausbildung auf uns ab. Wir erleben sie als pure Profiteure.»
Sie machen Radio, also ein altes Medium für junge Menschen, und das in einer Welt, die immer mehr auf Multimedialität ausgerichtet ist. Hinkt Ihr da hinterher?
Man kann mit dem Smartphone auch das Radio nutzen. Wir waren übrigens einer der ersten Sender in der Schweiz, der seine Programme auch über Internet verbreitete. Ich bin der Ansicht, dass ein kuratiertes Musikprogramm und das Erzählen von Geschichten immer funktionieren wird. Radio ist ein niederschwelliges Medium. Das Sprechen und Zuhören sind die wichtigsten Kommunikationsmittel. Aber wir stellen uns natürlich der Herausforderung und sind auch auf Facebook, Twitter und Instagram aktiv.
Wie funktioniert «Radio X» eigentlich? Sie haben ein Budget von einer Million Franken, zehn Festangestellte…
…zehn Leute in Ausbildung und 200 Freiwillige.
Böse gesagt: Hält sich «Radio X» mit billigen Praktikanten und unbezahlten Freiwilligen über Wasser?
Es sind keine billigen Praktikantinnen und Praktikanten mehr, sondern Leute, die den Beruf des Radiojournalisten erlernen können. Wir kämpften dafür, dass die Berufsbildung in der Schweiz entschädigt wird. Wir haben das Projekt einer Radiolehre bei den entsprechenden Bundesstellen deponiert, mussten aber frustriert feststellen, dass die anderen Privatradios die Verantwortung dafür auf uns abschieben. Diese erleben wir als pure Profiteure. Mit der SRG konnten wir indes eine Ausbildungsvereinbarung abschliessen – wir erhalten für ihre bei uns ausgebildeten Leute eine gewisse Entschädigung. Auch das Bakom kam zur Einsicht, dass in die Ausbildung investiert werden muss. Wir können also sagen, dass wir von den zehn Auszubildenden sieben entlöhnen können. Und drei bekommen einen kurzfristigeren Ausbildungsplatz, an dem sie sich ausprobieren können.
Ich erinnere mich an einen Praktikanten, der heute Regierungsrat ist.
Baschi Dürr hatte schon Radioerfahrungen bei «Radio Raurach» gesammelt und sich auf dem normalen Weg bei uns beworben. Er durchlief kein eigentliches Praktikum, sondern moderierte eine Talksendung, machte Theaterkritiken und versuchte wie viele nach ihm vergeblich, den Elfenbeinturm Theater zu knacken. Mit anderen Kulturinstitutionen, etwa dem Literaturhaus, arbeiten wir wesentlich enger zusammen.
«Mit dem Jubiläum wollen wir den nötigen Schwung holen, um 2020 die Verlängerung der Konzession zu erreichen.»
Zum Engagement in Sachen Migration: Funktionieren fremdsprachige Sendungen noch in einer Zeit, in der es technisch und geografisch keine Grenzen mehr gibt für die Verbreitung von journalistischen Inhalten? Migranten haben viele Möglichkeiten, Sendungen in ihrer Sprache zu empfangen.
Aber nicht Informationen über die Schweiz und über Basel. Satelliten-TV und Radio-Weltempfänger gab es bereits, als wir anfingen. Es gibt 20’000 bis 30’000 Menschen hier, die sich zu 99 Prozent über kurdische oder türkische Medien informieren. Wir versuchen dagegenzuhalten mit Informationsfenstern in 15 verschiedenen Sprachen. Dort haben wir die Christoph Merian Stiftung und die GGG mit an Bord holen können und arbeiten mit den kantonalen Integrationsstellen eng zusammen.
Und das Angebot wird genutzt?
Das wird es. Die Sendungen haben nicht die schlechteren Hörerzahlen als unsere Musik-Specials.
Sie sind über 20 Jahre mit Haut und Haar Teil von «Radio X». Wie lange machen Sie das noch?
Ich weiss es nicht. Wir haben einen Strategieprozess mit dem Titel 2024 angestossen, dazu gehört auch der Relaunch des Fördervereins. Mit dem 20. Geburtstag wollen wir den nötigen Schwung holen, um 2020 die Verlängerung der Konzession zu erreichen – möglichst verbunden mit dem Abbau von Defiziten, die «Radio X» noch hat: Wir wollen uns vor allem stärker entpersonalisieren und institutionalisieren. Das Radio ist noch zu sehr von Einzelleistungen abhängig. Das Motto darf nicht mehr lauten: «Der Thomas Jenny hat es immer gemacht, also tut er es auch weiter.» Im Jahr 2024 werde ich 60 Jahre alt sein.
«Radio X» feiert seinen Geburtstag am Samstag, 21. April, im und um das Studio an der Oslostrasse beim Freilagerplatz auf dem Dreispitz. Unter anderem mit Konzerten von Denner Clan, Gorki Gargarin und The RK.