«Spiele, die zur Schweiz passen»

Swiss-Olympic-Chef Jörg Schild über den Stand der Anstrengungen, die Winterspiele 2022 nach Graubünden zu holen.

«Zurück in den Schnee, wo der Wintersport zuhause ist.» Das ist Jörg Schilds Vision von Winterspielen im Jahr 2022 in Graubünden. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Swiss-Olympic-Chef Jörg Schild über den Stand der Anstrengungen, die Winterspiele 2022 nach Graubünden zu holen.

Der Basler alt Regierungsrat Jörg Schild (66), seit 2005 Präsident von Swiss Olympic, sammelt Geld und Goodwill für eine erneute Kandidatur der Schweiz für Olympische Winterspiele im Jahr 2022 mit den Austragungsorten Davos und St. Moritz. Die grösste Hürde wird die Volksabstimmung in ­einem Jahr in Graubünden werden.

Jörg Schild, nach der bitteren ­Erfahrung von Sion – tun Sie der Schweiz einen Gefallen mit der ­erneuten Olympia-Bewerbung? Brauchen wir noch ein Trauma?

Es gibt immer noch Leute in diesem Land, die diese Niederlage nicht überwunden haben. Irgendwann hat das Selbstmitleid aber ein Ende. Denken Sie positiv und überlegen Sie, was ein solches Projekt im ganzen Land auslösen kann.

Was gab denn bei Ihnen den ­Ausschlag, dieses Riesenprojekt anzugehen?

Das Interesse diverser Regionen und letztlich auch zwei IOC-Mitglieder, die noch vor vier Jahren gewarnt hatten: Gian-Franco Kasper und René Fasel. Sie sagten, sie spüren bei gewissen Mitgliedern, dass auch im IOC gewünscht wird, mit den Spielen wieder zurück in den Winter zu gehen. Und das habe ich auch von Kollegen anderer nationaler olympischer Komitees gehört: Du, es wäre schon toll, wieder mal Winterspiele zu haben, bei denen du am Morgen aus dem Hotel rauskommst in den Schnee.

Kam dieser Stimmungsumschwung in Vancouver 2010, wo man morgens am Meer aufwachte und dann eindreiviertel Stunden auf der Schnellstrasse nach Whistler hinaufgefahren ist?

Nicht nur wegen Vancouver. Aber wir wollen nicht eine Grossstadt abseits der Winterorte mit langen Anfahrtswegen zu den Wettbewerben. Ich sage nicht, dass wir die Spiele von 1994 kopieren wollen, aber es schwärmen heute noch sehr viele von Lillehammer.

Das kleine, verschlafene Lillehammer, das angeblich allen ­gefallen hat – ­ausser den IOC-Granden beziehungsweise deren Entourage?

Das kann ich nicht beurteilen. Dem olympischen Gedanken, wie ich ihn verstehe, kam Lillehammer jedoch am nächsten. Wir wollen, wenn wir kan­didieren, Spiele, die zur Schweiz und deren Bevölkerung im Jahr 2022 passen. Zurück in den Schnee. Wo der Wintersport zuhause ist und miterfunden wurde. Wir möchten aufzeigen, wie sich zukünftiger Wintertourismus im Einklang mit Umwelt, Natur und Ressourcen entwickeln kann. Wenn letztlich unser Konzept beim IOC keine Chancen hat, müssen wir kein schlechtes Gewissen haben. Andere Spiele passen nicht zur Schweiz.

Was stellen Sie sich denn für eine Schweiz 2022 vor? Was könnten diese Spiele repräsentieren?

Die Stichworte lauten natürliche Ressourcen, Globalisierung, Immigration, da wird weltweit einiges auf uns zukommen. Wir müssen uns überlegen, was wir dann für eine Jugend haben. Wir müssen keine Spiele entwerfen für uns Funktionäre, die noch ein paar Jahre im Amt sind, sondern wirklich für die nächste Generation.

Die nachhaltige, kleine Kandidatur war zuletzt immer dabei. Und scheiterte. Beispielsweise München für 2018. Südkorea kam zum Zug, wo Samsung richtig reingebuttert hat.

Das ist richtig. Pyeongchang war allerdings zum dritten Mal angetreten. Da gab es praktisch schon alles. Wie weit ein gewisser Mitleidseffekt mitgespielt hat, kann ich nicht beurteilen. Ich war aber schon sehr überrascht, wie deutlich München verloren hat. Auch wenn München eine Grossstadt ist, kam es unserer Idee sicher sehr nahe.

Bei Salzburg war es ähnlich –und Sotschi bekam für 2014 den Zuschlag.

Wir müssen um jeden Rappen kämpfen, und ein Präsident Putin kommt und lässt mit Antonow-Frachtfliegern eine komplette Kunsteisbahn an den Kongress nach Guatemala fliegen. Man spricht von gegen hundert Millionen Dollar, die alleine die russische Kandidatur gekostet hat …

… und von 25, 26 Milliarden Euro, die nun in Sotschi in die Infrastruktur gesteckt werden.

Das sind nicht die Kosten der Spiele, damit wird ein ganzer Wintersportort gebaut. Das Wort Gigantismus brauche ich nicht so gerne, aber ich war jetzt wieder in Sotschi – das ist wahn­sinnig, aber auch eindrücklich. Da ­hatte es bis vor ein paar Jahren nicht mal einen Skiclub. Bernhard Russi musste einen Paul Accola holen, damit überhaupt jemand mit den ­vorhandenen Maschinen die Pisten planieren konnte.

Was heisst das für die Schweiz?

Dass wir nicht bereit sind, das mitzumachen. Das können wir nicht, und das wollen wir nicht. Wenn die IOC-Mitglieder der Meinung sind, dass man Winterspiele oder Olympische Spiele allgemein dorthin vergeben will, wo eine neue Tourismusregion erschlossen werden kann – tant pis. Das IOC fragt immer: Why do you need the games? Man sagt, die Rus­sen, also Putin, haben geantwortet: Wir wollen am Schwarzen Meer ein St. Moritz von Russland bauen. Wir haben St. Moritz schon. Und wir wollen weg vom immer grösser, immer teurer. Wenn das IOC eine andere Strategie verfolgt, lassen wir es. Unsere Vision lautet: Spiele inmitten unserer Bergwelt, Spiele einer neuen Generation, echt und sorgfältig, mit Respekt vor den Menschen und der Natur. Dafür übernehmen wir Verantwortung.

Das tönt wie das Pfadfinder­versprechen. Herr Schild, Sie sind ein Romantiker.

Ich bin in diesem Punkt nicht Romantiker, sondern Realist. Solche Spiele sind für uns die richtigen und vor ­allem auch die einzig machbaren.

Sind Sie sicher?

Ich sage nicht, dass wir gewinnen. Im Gegenteil: Ich habe grossen Respekt vor der Volksabstimmung in Graubünden. Noch vor dem IOC ist das die höchste Hürde. Es ist sicher nicht einfach, in der Surselva im Oberland jemandem klarzumachen, warum Davos und St. Moritz die ­Spiele kriegen sollen – und warum sie allenfalls auch profitieren können. Aber als Präsident eines nationalen Olympischen Komitees finde ich, dass es unser Sport verdienen würde. Da können Sie mich jetzt einen Roman­tiker nennen.

So hört sich das an.

Nein, ich bin nicht schlecht gefahren damit, mich hin und wieder zurück­zubesinnen und zu fragen, ob es früher nicht besser war. Damit kann man sich dann auf das fokussieren, was man in Zukunft machen will. Die Rückbesinnung auf Vernünftiges ist ein Gebot der Zeit. Nicht nur bei Olympischen Spielen.

Was erwarten Sie von der ­Schweizer Regierung?

Mitte 2013 müssen wir mit einem Letter of Intent belegen können: Jawohl, die Bundesregierung steht dahinter. Dann sind wir noch nicht Kandidat, sondern Bewerber bis 2014. Aus denen werden dann drei oder vier Kandidaten ausgewählt. Und im 2015 werden die Spiele schliesslich vergeben. In den Jahren bis dahin hat man Möglichkeiten, weltweit für die Tourismusdestination Schweiz zu werben. Oder Projekte in sportlicher Hinsicht auf die Beine zu stellen. Allein schon die Kandidatur bringt unserem Land und vor allem auch unserem Sport sehr viel.

Was denn?

Sie bringt vor allem Bewegung. Nicht nur im Sport . Ich denke auch an den Tourismus. Ich war jetzt gerade an den Jugendspielen in Innsbruck. Ein Teil des Schweizer Tourismus ist gegenüber den Österreichern ins Hintertreffen ­geraten. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Kandidatur, auch wenn sie erfolglos ist, dazu führt, dass diverse Ski­gebiete besondere Anstrengungen unternehmen.

Eine Machbarkeitsstudie soll im Frühsommer endlich vorliegen. Was wird drinstehen?

Was heisst endlich? Wir wollen vor der Bündner Abstimmung seriös sagen können, was wir konkret vorhaben und was es kosten wird. Es gibt nichts Mühsameres, als bei Grossveranstaltungen die Kosten nach oben korri­gieren zu müssen. Was bei der Euro 2008 passiert ist mit den unterschätzten Sicherheitskosten, war ­peinlich. Das wollen wir tunlichst ­vermeiden. Wir sind voll im Zeitplan.

Gibt es eine Kostenschätzung?

Die ist Teil der Machbarkeitsstudie und liegt deshalb noch nicht vor. Wir haben aufgrund der Zahlen anderer Bewerbungen ein Kandidaturbudget von 36 Millionen Franken angenommen. Das war etwa das, was Mün­chen auch hatte. Zwölf Millionen soll der Bund sprechen, das muss noch vom Bundesrat und Parlament abgesegnet werden. Die Bündner einigten sich darauf, dass der Kanton sechs Millionen aufbringt und sechs Millionen die beiden Gemeinden. Und wir sollen zwölf Millionen aus der Wirtschaft bringen.

Wie viel haben Sie schon?

Dies ist zurzeit meine Hauptaufgabe. Wir hatten sehr gute Gespräche, aber es gab auch Absagen in fünf Zeilen, ohne dass das Projekt angeschaut worden wäre. Viele finden es unterstützenswert, wollen aber warten, was das Bündner Volk sagt. Und wir wollen, wenn möglich, dem Sportparlament Absichtserklärungen vorlegen, dass wir auf die zwölf Millionen kommen.

Weil das nicht einfach ist, haben Sie sich die Dienste von Infront/Ringier gesichert?

Infront/Ringier ist eine der kompetentesten und am besten vernetzten Vermarktungsagenturen in unserem Land. Und das braucht es, wenn man in wenigen Monaten zwölf Millionen zusammentragen will.

Was ist der Auftrag von Infront/Ringier?

Der Vertrag sieht vor, dass Infront/Ringier uns hilft, die zwölf Millionen zu beschaffen …

… und nebenbei die Bündner ­Bevölkerung überzeugt?

Die Machbarkeitsstudie, die dem Bündner Stimmvolk im Frühling 2013 vorgelegt wird, erarbeitet der Verein Graubünden 2022. Als Direktor dieses Vereins ist Gian Gilli verantwortlich, dass die Bündner Bevölkerung genau weiss, was auf sie zukommen würde und wie Graubünden profitieren ­würde, sollten sie einer Kandidatur zustimmen.

Infront/Ringier hat gewisse ­Erfahrung im Umgang mit ­Sportfunktionären. Zumindest war der Vorläufer von Infront in die grosse Fifa-Korruptionsaffäre involviert. War Ihnen das bei ­Ihrer Wahl bewusst?

Die ISL, die Sie ansprechen, ist kein Vorläufer von Infront. Das Einzige, was diese beiden Organisationen ver­bindet, ist, dass Infront heute in Zug im gleichen Gebäude Büros belegt, in dem früher die ISL ihre Räum­lichkeiten hatte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12

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