Alle paar Jahre bringt der deutschsprachige Hip-Hop einen Künstler hervor, der alle ins Staunen versetzt, vor dem Kritiker und Konkurrenten gleichermassen ihre Käppis ziehen. Vor ein paar Jahren war es der Strassenrapper Haftbefehl, 2017 heisst dieser Künstler Trettmann.
Auch wenn er erst seit Kurzem breite Erfolge feiert, Trettmann (bürgerlich Stefan Richter) ist schon richtig lange dabei. Als Ronny Trettmann hat er die deutsche Reggae-Szene aufgemischt und hochgenommen, in breitestem Sächsisch. Später folgten auch ernstgemeinte Versuche.
Vor einigen Jahren hatte er die Nische satt und richtete seine Karriere neu aus. Seitdem steht Trettmann für feinsten deutschen Trap, vielschichtige Texte mit verzerrter Stimme, stets an der Grenze zwischen Rap und Gesang. Zusammen mit seiner Crew, dem Künstlerkollektiv KitschKrieg, hat «Tretti» das Feld von hinten aufgerollt. Spätestens seit das Album «#DIY» erschienen ist, sind sich die Kritiker einig: So klingt die Zukunft.
Diese Zukunft ist auch in Basel angekommen, das Konzert in der Kaschemme vom 4. November ist seit Wochen ausverkauft. Wir konnten vorab mit Trettmann am Telefon sprechen.
Trettmann, Du warst vor einem Jahr zuletzt in Basel, an einer Block Party im «Hinterhof». Am Samstag trittst Du in der «Kaschemme» auf. Dazwischen liegt das wohl wildeste Jahr Deiner Karriere. Was ist alles passiert?
Wahnsinnig viel. Was früher in einem Jahr passiert ist, geschieht jetzt in einem Tag. Meine Zuhörerschaft hat sich vervierfacht. Ich habe ein neues Album herausgebracht, mehrere Tourneen gespielt. Früher hab ich deutschen Reggae/Dancehall gemacht, also die Nische der Nischen bedient. Jetzt habe ich mich stilistisch geöffnet, spiele Cloud Rap, Trap. Das hat eingeschlagen.
Es ging so schnell, dass nicht einmal Dein Wikipedia-Eintrag nachkommt. Der Stilwechsel bleibt dort unerwähnt. Deine Karriere ist sogar zu schnell fürs Internet.
Ja, den Eintrag habe ich zugegebenermassen etwas vernachlässigt. Der Karriereschub war eben auch mit viel Arbeit verbunden. Aber es hat sich gelohnt.
«Es war sicher nicht im Sinne der Parteiverantwortlichen, dass wir Ossi-Kids plötzlich die Amerikaner tanzen sehen konnten.»
Lass uns doch ein wenig zurückgehen in der Zeit. Du bist in einem Plattenbau in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) aufgewachsen und hast irgendwann mit Breakdance angefangen. Das war wohl eine ziemlich subversive Freizeitbeschäftigung?
Es war vor allem etwas sehr Neues. Ich hab damals, wahrscheinlich 1983 oder 84, bei «Wetten dass» einen Auftritt der New York City Breakers gesehen. Das hat mich enorm beeindruckt. Amerikanische Tanzfilme wie «Fame» haben wir immer schon gerne angesehen. Doch beim Breaken kamen diese ganzen akrobatischen Moves dazu. Der Hip-Hop-Film «Beatstreet» hat dann bei uns eine regelrechte Jugendbewegung ausgelöst. Das war sicher nicht im Sinne der Parteiverantwortlichen, dass wir Ossi-Kids plötzlich die Amerikaner tanzen sehen konnten. Dazu kam diese neue Musik, Rap, Hip-Hop. Das war schon ergreifend, wie viel uns das damals bedeutet hat. «Beatstreet» hat jeder von uns bestimmt zehn Mal gesehen.
Auf Instagram gibts ein Foto von Dir als junger Breaker im Trainingsanzug mit aufgemalten Adidas-Streifen.
Bei uns war ja Mangelwirtschaft. Es war unheimlich schwierig, überhaupt an Jeans oder Turnschuhe ranzukommen. Diese kleinen materiellen Dinge, die für uns die Welt bedeutet haben, waren ohne Connections unerreichbar. Also behalfen wir uns selber. Wir gingen in den Ferien arbeiten, kauften uns im einzigen Sportgeschäft für 220 Ostmark ein Paar Salamander-Turnschuhe und übermalten mit weisser Textilfarbe das Logo. Unsere Trainingsanzüge benähten wir mit weissem Haushaltsband, so dass sie aussahen wie Adidas-Anzüge. Mangel macht erfinderisch.
Das Selbermachen ist geblieben. Deine neue Platte heisst «#DIY», Du bist nicht bei einem Label unter Vertrag, die Album-Box mit Shirts, Poster und anderen Goodies habt ihr bei KitschKrieg individuell signiert und von Hand verpackt.
Dort kommen wir eben her, das ist unser Gebiet. Kein Manager kann uns erklären, wie wir das besser machen sollen. Sowas lässt sich an keiner Universität lernen.
«Ich brauche keinen Vorschuss. Wenn ich Geld benötige, spiele ich eine Show.»
Inzwischen hat sich der Erfolg eingestellt. Klopfen jetzt die Labels an?
Das ging letztes Jahr schon los. Aber die Musikindustrie spielt eben mit dem Unwissen der Leute. Wir brauchen die nicht. Wir wirtschaften in unsere eigene Tasche, KitschKrieg und ich. Ich brauche keinen Vorschuss. Wenn ich Geld benötige, spiele ich eine Show. Wann immer ich Kontakt hatte mit den Majors, für ein Feature oder so, gab es Knatsch und Stress. Wir sind ein super Team bei KitschKrieg. Damit laufen wir besser.
Also wird Trettmann nicht demnächst bei einem grossen Label unterschreiben und den konventionellen Weg gehen?
Es heisst ja, wenn es einem angeboten wird, soll man das Geld nehmen und rennen. Komplett ausschliessen kann ich es nicht, aber ich will mir nicht reinreden lassen. DIY hat sich bewährt.
Du hast eine bewegte musikalische Geschichte hinter Dir. Als Ronny Trettmann hast Du zuerst mit sächsischem Reggae die Szene parodiert, danach auch ernste Tracks aufgenommen. Jetzt bist Du in den Hip-Hop gewechselt und machst Trap. Wie kam es zu diesem stilistischen Wandel?
Nach aussen mag es so wirken, wie wenn ich laufend das Genre gewechselt habe. Für mich sind die Stile jedoch nicht so klar voneinander trennbar. Den ersten Kontakt zur Musik hatte ich über die Plattensammlung meiner Mutter, Aretha Franklin und so. Als Junge aus der Karl-Marx-Stadt war ich dann sowas wie der Karl May des Hip-Hop. Diese Kultur kannte ich bloss aus Filmen und über die Musik. Anfang der 90er konnte ich nach Jamaika reisen. Mein musikalischer Weg kommt mir wie eine natürliche Abfolge vor. Auch als Dancehall-DJ habe ich nebenher Rapsongs geschrieben. Mir sagt diese klare Schubladisierung wenig. Wenn an einer Reggae-Party zum Beispiel R’n’B läuft, freue ich mich riesig.
DANKE KARL MARX STADT HEITE HEILBRONN
Ein Beitrag geteilt von TRETTMANN (@realtrettmann) am
Es fällt auf, dass Deine Texte im Vergleich zu anderen Trap-Songs recht klar sind. Du erzählst Geschichten, wo andere sich auf das Aufzählen von Statussymbolen beschränken.
Während ich mich für die drei KitschKrieg-EPs noch recht stark am genretypischen Rapslang bedient habe, sollte das Album weiter gehen. Mir war wichtig, dass die Texte verständlich sind, weil wir so auch mehr Menschen erreichen können. Nun sind wirkliche Songs entstanden, nicht die rap-übliche Aneinanderreihung von satten Reimen. Dass ich dadurch mit dem Genre breche, ist mehr Zufall als Konzept.
Vielleicht finden so auch die älteren Rapfans einen Zugang zu Trap. Weil sie endlich wieder ihre geliebten Lyrics vorfinden.
Ich stelle tatsächlich fest, dass Leute zu mir kommen und sagen, dass sie mit dem Sound eigentlich nichts anfangen können. Mein Zeug aber gerade wegen der Texte gut finden.
«Ich frage mich, wie man heute als Künstler kein politischer Mensch sein kann.»
Du bist 44 Jahre alt und bringst Dein erstes reines Rap-Album raus. Es enthält mit «Grauer Beton» auch einen autobiografischen Track. Darin blickst Du zurück auf Deine Jugend im DDR-Plattenbau. Ist das Heimweh?
Dieser Song enthält Lines, die ich unterbewusst schon ewig mit mir rumgeschleppt habe. Daraus spricht aber keine Nostalgie. Ich vermisse meine alte Heimat nicht wirklich. Grad letzte Woche habe ich in Chemnitz gespielt. Es war ein wildes Konzert, die Leute haben im Moshpit gepogt.
Bei Deinen Youtube-Videos ist die Werbung deaktiviert, offenbar weil auch Spots der AfD und FPÖ eingespielt wurden. Bist Du ein politischer Mensch?
Zwangsläufig. Ich frage mich, wie man das als Künstler heute nicht sein kann, angesichts der Entwicklungen in Europa und weltweit. Als ich mitbekommen hab, dass vor einem meiner Clips FPÖ-Werbung lief, haben sich mir gleich die Nackenhaare aufgestellt. Es fällt mir leicht, auf diese Kohle zu verzichten. Das ist ein Mehrwert für alle.
In «Grauer Beton» singst Du von Seelenfängern, die um den Block schleichen. Bezieht sich das auch auf Radikale, die Kids ohne Perspektive für ihre Zwecke rekrutieren?
Ich beziehe mich dabei auf die Zeit nach der Wende. Damals galt über Nacht alles, was wir vorhin gelernt haben, als falsch. Das hat viele Leute verunsichert und die Türen für jede Art von falschen Versprechen geöffnet, egal ob politischer, religiöser oder krimineller Natur. Wenn ich heute darüber rappe, warne ich meine Fans vor allem davor, mit illegalen Geschäften das schnelle Geld machen zu wollen.
Du hast ein wildes Jahr hinter Dir, am Samstag spielst Du das Tourfinale in Basel. Brauchst Du danach erstmal eine Pause?
Ich bin noch fit, trotz meines hohen Alters. Es ist schön, endlich Gehör zu finden. Deshalb juckt es mich, bereits das nächste Projekt ins Auge zu fassen. Zuerst werde ich aber am Jahresende erst einmal alles sacken lassen. Dann bin ich bereit, neue Pläne zu schmieden.