«Vergehen werden im Normalfall ziemlich kompromisslos geahndet.»

Florian Wettstein, Professor und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, ist überzeugt, dass die meisten Unternehmen einen verurteilten Kadermitarbeiter entlassen würden.

Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Sankt Gallen. (Bild: zvg)

Florian Wettstein, Professor und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, ist überzeugt, dass die meisten Unternehmen einen verurteilten Kadermitarbeiter entlassen würden.

Ein Direktor der Basler Messe wurde vom Strafgericht 2009 wegen versuchtem Betrug, mehrfacher Veruntreuung und Urkundenfälschung verurteilt. Begangen hatte er diese Delikte als Nebengeschäft für eine Immobilien-Firma, die er zusammen mit einem Kompagnon betrieb. Jetzt zeigen Recherchen der TagesWoche, dass die Firma auch nach dem Urteil frisch fröhlich weiter geschäftete und der effektiv angerichtete Schaden viel grösser ist als die vor Gericht verhandelten Fälle. Ist ein solcher Direktor für die Messe haltbar?

Ich kenne den Fall nicht im Detail und kann mich deshalb auch nicht konkret dazu äussern. Normalerweise sind aber Fälle, bei denen offensichtliche Interessenkonflikte vorliegen in internen Ethik-Richtlinien klar geregelt. Es wäre also kaum nachvollziehbar, dass ein Mitarbeiter ohne Konsequenzen trotz Interessenskonflikten weiter agieren kann. Ist daraus zu folgern, dass die Basler Messe gar keine solchen internen Richtlinien hat? –  Das wäre für eine Organisation von solcher öffentlichen Exponiertheit fast noch weniger nachvollziehbar.

Der verurteilter Kadermitarbeiter müsste entlassen werden?

In den meisten Fällen wäre dies wohl die Konsequenz.  Auch wenn die Schadenssumme natürlich eine Rolle spielt, misst sich die Schwere eines Vergehen ja nicht nur daran – auch sein Motiv, ob Vorsatz oder nicht, und weitere Elemente spielen sind entscheidend. Betrug oder Diebstahl bleiben aber Betrug oder Diebstahl, auch wenn es sich um kleinere Summen handelt. Toleriert eine Organisation im öffentlichen Fokus solche Vergehen, muss sie sich der Wirkung sowohl gegen innen als auch gegen aussen bewusst sein – insbesondere wenn es sich um Kaderleute handelt.

Weil sie riskiert, in der Öffentlichkeit Vertrauen zu verlieren?

Genau das kann passieren.  Dennoch muss man auch bei dieser Problematik Fingerspitzengefühl walten lassen: Eine Person per se abzuschreiben, weil sie einmal einen Fehler gemacht hat, wäre problematisch. Ganz allgemein sollte jemand der verurteilt wurde und seine Strafe verbüsst hat, auch die Chance bekommen, als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wieder Fuss fassen zu können.

Könnten Sie sich vorstellen, dass der Staat oder einem Chemiemulti wie die Messe an einem solchen Kaderangestellten festhalten würden?

Wie gesagt, ich kenne die Hintergründe dieses Falls nur ungenügend. Öffentlichkeitswirksame Vergehen gegen interne Richtlinien werden im Normalfall aber ziemlich kompromisslos geahndet.

Auch die Nationalbank machte mit ihrem dürftigen Reglement im Fall Hildebrand keine gute Figur. Besteht in der Schweizer Wirtschaft ein grosser Nachholbedarf bei ethischen Richtlinien?

Das Problem bei den meisten Firmen – zumindest von einer gewissen Grösse – liegt nicht darin, dass sie gar keine Reglemente verabschiedet haben, sondern wohl eher, dass sie es versäumt haben, ihre Richtlinien dem sich verändernden Umfeld anzupassen. Hierin besteht der Nachholbedarf. Man kann solche Reglemente nicht einfach 15 Jahre ruhen lassen. Sonst merkt man erst, wenn etwas passiert, dass das Reglement veraltet ist – und dann ist es zu spät.

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