Statt Geoffroy Serey Dié erscheint ein Mitarbeiter aus der FCB-Medienabteilung zu unserem Interview-Termin. Herr Serey Dié wolle das Gespräch nicht in der Rotblaubar führen. Die Bar, sonst ein beliebter Ort bei den Spielern, um mit den Medien zu reden, ist dem Mittelfeldakteur des FC Basel zu öffentlich.
Der 33-Jährige sucht diesen Auftritt nicht. Lieber lässt er uns in einen abgeschiedenen Raum unter der Muttenzerkurve bestellen, ein paar Türen von der Kabine entfernt, vielleicht fünf auf fünf Meter gross, Fenster gibt es keine. Hier werden die Spieler normalerweise auf Doping getestet. Für den Fotografen ist der Raum die Hölle. Das Licht ist miserabel, also setzen wir uns schliesslich auf die Tribüne des Stadions, gleich bei der Eckfahne neben der Senftube.
Serey Dié wendet seinen Blick fast während des gesamten Gesprächs nicht vom Rasen ab. Auf ihm fühle er sich wohler als bei einem Interview-Termin, sagt er.
Geoffroy Serey Dié, Ihr neuer Trainer Marcel Koller sagt von sich, Fremdsprachen seien nicht sein Ding. Wie ist das für Sie als Französisch sprechender Spieler?
Marcel Koller spricht schon ein wenig Englisch und Französisch. Und seine Assistenten auch: Französisch, Spanisch, Englisch. Zudem muss man im Fussball gar nicht so viel sprechen. Der Fussball ist mehrsprachig, vieles versteht man auch anhand der Gesten der Trainer. Als ich in Tunesien war, sprachen die Menschen zwar auch ein wenig Französisch, vor allem aber Arabisch. Da habe ich mich auch durchgeschlagen.
Sie sprechen Arabisch?
Ich verstehe die Sprache. Hier in der Schweiz kann ich mich abseits des Spielfelds auf Englisch und ein wenig auf Deutsch unterhalten. Ich danke Gott, dass er mich diesen Weg hat gehen lassen und ich als Fussballer beim FC Basel gelandet bin.
Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie nicht Fussballer geworden wären?
Ich wäre gleich zur Armee gegangen.
Zur Armee?
Ja. Weil ich den Grundgedanken der Armee mag: dienen, Hilfe leisten und verteidigen, was mir lieb ist.
«Ich konnte meinem Vater nichts zurückgeben, bevor er 2004 an einer Krankheit verstorben ist. Das schmerzt.»
Nicht verteidigt haben Sie letzte Saison mit dem FC Basel den Meistertitel.
Ja, aber das war einfach eine Etappe für uns Fussballer. Wenn wir in fünfzehn Jahren über diese Saison sprechen, werden wir von den Young Boys erzählen, die uns geschlagen haben. Und dass wir im Jahr darauf den Kopf wieder oben hatten – hoffe ich.
Wie haben Sie die letzte Saison erlebt?
Sie war nicht einfach, schliesslich bin ich in meinen vier Basler Saisons zuvor immer Meister geworden. Aber wir müssen das Positive aus dem letzten Jahr mitnehmen.
Positiv für Sie persönlich ist, dass Marcel Koller aktuell auf Sie und Fabian Frei im zentralen Mittelfeld setzt.
Fabian ist fantastisch. Auf dem Feld ist er sehr ruhig, trifft kluge Entscheidungen, er geht nach vorne, kann Tore schiessen und hat sehr gute Pässe in die Tiefe. Er hat Qualitäten, die ich nicht habe. Aber ich kann Bälle gewinnen und laufe mehr als Fabian. Zudem bin ich aggressiver. Zusammen bilden wir etwas Spezielles.
Sie streichen Ihre Aggressivität auf dem Feld heraus und werden immer wieder als «Krieger» bezeichnet. Sehen Sie sich selbst auch so?
Das reklamiere ich sogar für mich. Diese Spielweise zeichnet mich aus. Ich weiss, dass andere Spieler fussballerisch begabter sind. In Gesprächen mit Freunden, Familie und Mannschaftskollegen realisiere ich, dass mein Mut mich so weit gebracht hat. Meine Mentalität zeichnet mich als Fussballer aus.
Das ist auch der Grund, warum Ihnen die Herzen der Fans zufliegen.
Das freut mich sehr. Ich kann nichts vorspielen, was ich nicht bin. Ich versuche immer, die Person zu sein, zu der Gott mich gemacht hat. Hier in Basel fühle ich mich wohl, mit den Fans, den Leuten in der Stadt, mit der Vereinsführung. Sie wissen, dass ich kein falscher Mensch bin. So hat mich mein Vater erzogen.
Sie sind an der Elfenbeinküste aufgewachsen. Was für eine Beziehung haben Sie zu Ihrem Heimatland?
Eine gute. Mein Vater lebt nicht mehr, mit meiner Mutter bin ich in ständigem Kontakt. Meine Brüder leben dort, ich telefoniere jeden Abend mit ihnen. Das ist mir wichtig. Denn es ist nicht einfach, weit weg von seiner Familie zu leben. Überhaupt nicht einfach.
Wie oft sind Sie an der Elfenbeinküste?
Immer wenn ich mit der Nationalmannschaft unterwegs bin. Ich bin etwa zweimal im Jahr in Abidjan, wo meine Familie lebt.
Sind Sie auch in der Hauptstadt aufgewachsen?
Nein, im Landesinnern, in einem Dorf namens Man. Da bin ich zur Schule gegangen. Eines Tages organisierte der ivorische Fussballverband einen Sichtungstag für junge Fussballer. Es kamen zwischen drei- und viertausend Buben. Sieben wurden ausgewählt, um ins Ausbildungszentrum nach Abidjan zu gehen. Ich gehörte dazu.
Wie präsent sind diese Momente Ihrer Kindheit heute?
Sehr. Mein Vater wollte nicht, dass ich Fussball spiele. Aber ich liebte den Fussball. Er hatte Freunde, die früher Fussball spielten und denen nichts geblieben ist. Kein Geld, nichts mehr. Und er sagte mir: «Wenn du Fussball spielst, wirst du später nichts haben. Geh weiter zur Schule, das wird dir in der Zukunft helfen.» Am Tag, als ich als Neunjähriger meine Familie verliess, um die fussballerische Ausbildung in der Akademie von Abidjan anzufangen, ging es meinem Vater nicht gut. Und meine Mutter weinte.
Sie haben als Neunjähriger die Schule abgebrochen, um Fussballer zu werden. Wie fühlten Sie sich damals?
Ich wusste, dass das riskant ist. Und die Situation war vor allem deswegen nicht einfach, weil es meinen Eltern mit meiner Entscheidung nicht gut ging. Aber mein Vater hat auch gemerkt, dass mir der Fussball wichtig ist. Und er gab nach. Mein Abenteuer begann in diesem Moment.
Und der Vater liess seinen Sohn ziehen.
Ich erinnere mich sehr gut. Schauen Sie, mein Vater hatte ja nicht einmal die Mittel, um mir die Reise nach Abidjan zu ermöglichen. Er hat Geld ausgeliehen, damit ich fahren konnte.
Geoffroy Serey Dié wird von seinen Emotionen übermannt. Sein Blick schweift über den Rasen des St.-Jakob-Parks. Er wischt sich die Tränen aus den Augen und sagt schmunzelnd:
Sehen Sie, deswegen mag ich keine Interviews. Entschuldigen Sie.
Ich will Sie nicht in eine unangenehme Situation bringen.
Es ist nicht Ihr Fehler … es ist das Leben (macht eine Pause). Mein Vater hatte also kein Geld. Mit dem geliehenen Betrag konnte ich trotzdem nach Abidjan fahren. Erinnern Sie sich an meine Tränen bei der Weltmeisterschaft?
Natürlich. Es war 2014, Brasilien, bei der Nationalhymne vor dem Spiel Elfenbeinküste gegen Kolumbien.
Ich dachte auch in diesem Moment an meinen Vater. Er hat alles für mich gegeben und mir vertraut. Und ich konnte ihm nichts zurückgeben, bevor er 2004 an einer Krankheit verstorben ist. Das schmerzt.
Aber Sie haben sich selbst etwas ermöglicht und als Vater von fünf Kindern Ihrer nächsten Generation auch.
Ich will kämpfen für die Menschen, die mir etwas bedeuten. Mein Vater hat viel gelitten. Und heute hätte ich gerne, dass er sieht, was aus mir geworden ist. Er hat meinen Traum gegen seinen Willen wahr werden lassen. Wenn er heute noch da wäre, wäre er stolz auf mich – und auf sich selbst. Aber er hatte dieses Glück nicht. Als mein Vater verstarb, war ich in Abidjan. Ich war jung, spielte in der Liga der Elfenbeinküste. Ich war ein Niemand, ich hatte nichts. Dass ich meinem Vater nichts geben konnte, schmerzt mich sehr. Aber ich glaube, dass er mich von da oben sieht, vielleicht ist er stolz auf mich. Und dank Gott kümmere ich mich um meine Mutter und meine Brüder.
Auch wenn Sie denken, dass Sie Ihrem Vater nicht direkt etwas zurückgeben konnten, zählt das doch auch etwas.
Selbstverständlich. Aber es kann nicht aufwiegen, was ich für meinen Vater hätte machen wollen. Das ist mein Kummer. Als er gestorben ist, hatte ich kein Geld. Es gab ein Grab für ihn, und als ich Gott sei Dank irgendwann Geld mit Fussball verdient habe, habe ich dieses Grab schöner und grösser gemacht. Aber auch da muss ich sagen: Er profitiert davon nicht. Weil er tot ist. Zu seinen Ehren tragen meine Kinder im Namen den Zusatz «Dié». Diesen hat mein Vater nur mir gegeben, alle meine Brüder heissen «Serey Do».
«Oft sagte mir Marco Streller vor dem Spiel: ‹Serey, du musst kommunizieren. Hier bist du der Captain.›»
Was sagen Sie Ihren Kindern, wenn eines von ihnen Fussballer werden will?
Ich werde nicht das Gleiche sagen wie damals mein Vater mir (lacht). Wenn mein zweijähriger Sohn Fussballer werden will, dann unterstütze ich ihn mit allen Mitteln. Ich wäre sogar sein Trainer.
Noch ist Ihr Sohn Zuschauer, wenn Sie auf dem Rasen aktiv sind. Am Donnerstag spielt der FC Basel gegen Apollon Limassol in den Playoffs der Europa League. Wie bereit ist Ihr Team?
Wir sind froh, dass viele Verletzte zurück sind. Und die gute Stimmung ist zurück in der Mannschaft.
Dank des neuen Trainers Marcel Koller?
Er hat sicher seinen Anteil. Er kam und hat seine Persönlichkeit und Disziplin eingebracht.
Wie haben Sie als erfahrener Spieler die letzten Monate mit den Trainerwechseln erlebt?
Für mich ist das doch gar nichts, schliesslich war ich in Sion (lacht). Der FCB ist stabil. Es waren ein paar unruhige Wochen, aber während meiner viereinhalb Jahre in Sion hatte ich zwölf Trainer. Der FCB hat die kleinen Unruhen überwunden. Für mich war das alles keine Belastung.
Sie haben noch zusammen mit Marco Streller gespielt, jetzt ist er der Sportchef. Was für eine Beziehung haben Sie zu ihm?
Oh, Pipiño! (lacht). Ich habe ihn bereits geschätzt, als ich noch beim FC Sion spielte. Ich bewunderte seine Ruhe. Er war ein echter Captain. Als ich nach Basel kam, spürte ich, wie sehr er mir vertraute. Oft sagte er mir vor einem Spiel: «Serey, du musst kommunizieren. Hier bist du der Captain.» Obwohl ja eigentlich er der Captain war. Ich liebte es, mit ihm zu spielen. Und er hat mich persönlich weitergebracht, das werde ich ihm nie vergessen. Heute ist er als Sportdirektor mein Chef.
Wie erleben Sie Marco Streller als Sportdirektor?
Das ist eine neue Rolle für ihn. Klar ist er jetzt der Boss – aber für mich ist er noch immer mein Captain.
Was bedeutet der FC Basel genau für Sie?
In meiner internationalen Karriere gab es zwei Etappen. Zunächst den FC Sion, dank dem ich nach Europa gekommen bin. Dafür respektiere ich den Klub und seinen Präsidenten Christian Constantin. Dann gibt es den FC Basel, bei dem ich zu dem Serey Dié geworden bin, der ich heute bin – dank Gott. Hier bin ich zum Nationalspieler geworden, habe in der Champions League und der Europa League gespielt und an einer Weltmeisterschaft teilgenommen. Basel ist mehr als meine Heimat. Als ich eineinhalb Jahre beim VfB Stuttgart war, sagte meine älteste Tochter: «Komm zurück nach Basel.» Meine ganze Familie und ich sind diesem Verein unheimlich dankbar. Bei jeder Aktion auf dem Feld bekomme ich Applaus, und es macht mich stolz, dieses Trikot zu tragen.
Vom Publikum so akzeptiert zu werden, trifft nicht auf jeden Spieler zu.
Es ist so selten, dass ein Spieler einen Klub verlässt und ihm die Verantwortlichen hinterherreisen, um ihn zurückzuholen. Dass mich dann die Zuschauer auch noch als einen der ihren akzeptieren, ist wirklich aussergewöhnlich.
«Meine Karriere endet, wenn ich nicht mehr laufen kann.»
Sie haben bisher 40 Länderspiele für die Elfenbeinküste absolviert. Wie lange werden Sie noch zu dieser Mannschaft gehören?
Der Nationaltrainer Ibrahima Kamara hat mich am Tag der 0:3-Niederlage gegen Paok Thessaloniki besucht. Nach dem Spiel haben wir uns bis um zwei Uhr in der Früh unterhalten. Ich habe ihm gesagt, dass ich als Nationalspieler aufhören wolle. Aber dann hat er eine Telefonkonferenz organisiert mit Yaya Touré.
Dem Mittelfeldspieler, der zuletzt bei Manchester City spielte und seit 2015 kein Länderspiel mehr absolviert hat.
Genau. Er hat gesagt, dass er in die Nationalmannschaft zurückkehre und wolle, dass ich bleibe. Also habe ich Ja gesagt. Ich bleibe bis zum Afrika-Cup und schaue, wie sich alles entwickelt.
Endet Ihre Karriere als Fussballer, wenn Ihr Vertrag beim FC Basel im Sommer 2019 ausläuft?
Meine Karriere endet, wenn ich nicht mehr laufen kann. Ich trinke kaum, ich rauche nicht und ich achte auf meinen Körper.
Also hören Sie mit 40 Jahren auf.
Ihr Wort in Gottes Ohr!