Die Schweiz ist wieder bereit für einen Frauenstreik, davon sind Feministinnen überzeugt. So wie am 14. Juni 1991, als eine halbe Million Frauen ihre Arbeit niederlegten und forderten, die Gleichstellung müsse endlich umgesetzt werden. Nächstes Jahr soll es wieder so weit sein, am 14. Juni 2019.
Das ist ein Mammutprojekt. Es ist nicht einfach, genügend Frauen auf die Strasse zu bringen. Feministinnen haben deshalb bereits in verschiedenen Städten mit den Vorbereitungen begonnen, etwa in Lausanne oder Zürich.
In Basel ist am 25. September im Gewerkschaftshaus an der Rebgasse ein Treffen geplant. Mit im Boot sind unter anderem Gewerkschafterinnen, linke Politikerinnen, aber auch kirchliche Feministinnen. Und Frauen, die keiner Institution angehören, sich aber für den Streik engagieren wollen.
Eine von ihnen ist Niolyne Bomolo. Sie studiert Soziologie und Religionswissenschaft an der Universität Basel. Durch Gespräche an der Uni und mit Freundinnen hat sie zum Feminismus gefunden. Mit dabei ist auch Franziska Stier, Parteisekretärin der BastA! Wir haben die beiden Frauen im Volkshaus zum Interview getroffen.
Niolyne Bomolo, Franziska Stier, warum braucht es einen Frauenstreik?
Franziska Stier: Damit die Gesellschaft den Frauen, und auch queeren Menschen, endlich mal zuhört.
Der Anstoss für den Frauenstreik 1991 kam aus dem Waadtländer Jura, wo Fabrikarbeiterinnen streikten, weil sie weniger verdienten als männliche Praktikanten. Sind wir heute nicht weiter? Immerhin hat sich dieses Jahr der Ständerat für Lohnanalysen und eine Frauenquote im Bundesrat ausgesprochen und der Nationalrat für eine sanfte Frauenquote in Firmen.
Stier: Ja, aber sind diese Massnahmen verbindlich genug? Nein. Sie behandeln nur die Spitze des Eisbergs.
Was heisst das?
Niolyne Bomolo: Diskriminierung findet nicht nur beim Lohn, sondern in vielen Bereichen statt. Sie ist strukturell bedingt. Nehmen Sie die Kinderbetreuung.
Die Mütter hüten immer noch in der Mehrheit die Kinder, Väter gehen arbeiten.
Stier: Unter dem Strich leisten Männer und Frauen in der Schweiz etwa gleich viel Arbeit. Doch die Frauen machen es unbezahlt, betreuen gratis die Kinder oder pflegen die Eltern. Sie tun einen notwendigen Dienst an der Gesellschaft, haben deswegen aber eine Einkommenslücke von 80 Milliarden Franken jährlich.
«Die Gesellschaft tut so, als sei es eine subjektive Entscheidung, ob man Kinder hat und wie man sie betreut.»
Wollen die Frauen überhaupt mehr arbeiten? Finden es viele nicht bequemer, am Morgen mit den Kindern am Frühstückstisch und am Nachmittag auf dem Spielplatz zu sitzen?
Bomolo: Wollen Sie damit sagen, Kinderbetreuung sei keine Arbeit?
Es ist sogar eine brutal anstrengende Arbeit. Aber wäre es nicht besser, Frauen würden stattdessen mehr im Beruf arbeiten und Verantwortung für sich übernehmen? Dann würden sie ihre Pensionskassen füllen und ihre Berufsaussichten blieben intakt.
Bomolo: Dieses Denken spaltet die Frauen. So sind nachher die «Superfrauen», die hohe Erwerbspensen haben, hässig auf die Hausfrauen, die daheim arbeiten. Dabei ist es doch so: Frauen spüren einen gesellschaftlichen Druck, egal, ob sie auf die Kinder schauen oder im Job tätig sind. Kommt dazu: Sie müssen sich oft entscheiden. Ich frage mich ja auch, wie ich das machen soll nach dem Studium. Wenn ich eine Karriere will, muss ich dann auf die Kinder verzichten und umgekehrt?
Das geht Vätern, die für ihre Kinder da sein möchten, ebenso.
Bomolo: Wir Frauen sind mehr betroffen, weil uns die Gesellschaft den Rücken nicht freihält. Deshalb sollten wir zusammenhalten.
Stier: Die Gesellschaft tut so, als sei es eine subjektive Entscheidung, ob man Kinder hat und wie man sie betreut.
Ist es das nicht?
Stier: Nein. Der Kapitalismus braucht Arbeitskräfte, die Gesellschaft fordert Kinder. Aber wie die Kinder aufwachsen, darum müssen sich in erster Linie die Frauen kümmern. Kinder aufziehen ist Arbeit und sie ist notwendig.
Wir haben eine Krise in allen Bereichen, in denen die Frauen vor der Emanzipation gratis arbeiteten: Kinderbetreuung, Altenpflege, Krankenpflege.
Stier: Ja, die haben wir, weil Care-Arbeit keinen Stellenwert hat, die Wirtschaft will sie nicht anständig bezahlen.
Sollen Krankenpflegerinnen, Kinder- und Altenbetreuerinnen auch streiken am 14. Juni 2019?
Stier: Das ist nicht so einfach. Die Produktion von Waren kann man unterlassen, aber die Pflege nicht – die Sicherheit der Patientinnen und Patienten geht erst mal vor. Aber es braucht einen Schmerz, damit die Gesellschaft merkt, welche Arbeit Frauen leisten. Die muss endlich vernünftig bezahlt und versteuert werden.
Fordern Sie einen Lohn für Pflege- und Betreuungsarbeit im Privaten, wie die Feministinnen in den 70er-Jahren?
Stier: Das wäre eine Möglichkeit. Ich persönlich fände eine 20-Stunden-Woche sinnvoll, dass genug Zeit für die Sorge für andere Menschen und anderes gesellschaftliches Engagement bleibt.
Sehr utopisch. Ist das das Ziel des Frauenstreiks?
Bombolo: Nein, das Ziel ist nicht die Umsetzung einer Utopie. Sondern dass die verschiedenen Netzwerke, die den Streik vorbereiten, über solche Probleme diskutieren und Lösungen suchen. Zum Beispiel weibliche Altersarmut, Gewalt an Frauen.
Niolyne Bomolo, Sie sind nicht politisch aktiv. Warum engagieren Sie sich bei der Organisation des Frauenstreiks?
Bomolo: Ich hatte lange Zeit kein politisches Bewusstsein. Ich setzte mich zwar mit meiner Identität und Rolle in der Gesellschaft auseinander, aber erst jetzt, auch nach Gesprächen mit Franziska Stier, habe ich ein Wort dafür: Feminismus. Ich möchte Frauen erreichen, die vielleicht nicht politisch aktiv sind, zum Beispiel Frauen mit Migrationshintergrund, die ganz andere Formen von Unterdrückung erleben.
«Linke und bürgerliche Positionen haben ihre Berechtigung. Unser Ziel ist es, einen Minimalkonsens zu finden.»
Franziska Stier, Sie reden viel von Kapitalismus und Kinderkriegen als Reproduktionsarbeit. Erreichen Sie so die Migrantinnen?
Stier: Ich will diskriminierende Strukturen benennen. Mit Analyse allein erreiche ich aber niemanden. Gerade die Frauen, die prekär beschäftigt sind, Kinder haben, müssen einiges managen, um sich die Zeit nehmen zu können, einen Streik vorzubereiten. Sich dann Debatten zwischen Akademikerinnen anzuhören, stelle ich mir nicht so lustvoll vor.
Bomolo: Wir brauchen Frauen, die empathisch aufeinander zugehen, die vielleicht selber Migrationshintergrund haben und weitere Frauen ansprechen. Es soll eine Bottom-up-Bewegung sein.
Und die bürgerlichen Frauen?
Stier: Die wollen wir auch ins Boot holen. Sie haben häufig dieselben Probleme wie linke Frauen, aber andere Erklärungen und Lösungen.
Bürgerliche Frauen identifizieren sich vielleicht lieber mit der Managerin im Deux-Pièces, die sich in die Männerriege der Verwaltungsräte vorkämpft, als mit der Migrantin, die in der Altenpflege arbeitet.
Bomolo: Beide Positionen haben ihre Berechtigung. Unser Ziel ist es, Frauen zusammenzubringen und einen Minimalkonsens zu finden.
Was ist die Rolle der Gewerkschaften? Die sind ja nicht nur Gleichstellungs-Turbos, die Unia will jetzt wieder einen Mann als Boss des Gewerkschaftsbundes vorschlagen.
Stier: Die Gewerkschaften spiegeln eben auch den Stand der Gesellschaft, auch hier kämpfen Frauen für Gleichstellung und den Frauenstreik. Gewerkschafter werden nicht von heute auf morgen alle fortschrittlich, wenn die Gesamtgesellschaft reaktionär ist.
Glauben Sie, dass der Streik zustande kommt?
Stier: Das werden wir sehen. Aber wann, wenn nicht jetzt? Weltweit mobilisieren Feministinnen. In Irland demonstrierten Frauen für das Recht auf Abtreibung und bekamen es. In Lateinamerika gehen Frauen gegen Gewalt auf die Strasse, in Argentinien für den Schwangerschaftsabbruch. Deutschland und Spanien planen Frauenstreiks. Der Feminismus ist international und er mobilisiert.
Baslerinnen waren immer wieder Pionierinnen, sie organisierten schon 1959 den Lehrerinnenstreik. Sind Baslerinnen einfacher zu mobilisieren als andere Frauen?
Stier: Ich weiss es nicht. Wichtig ist: Der Streik muss lustvoll und inklusiv sein. Und es braucht die Perspektive, wirklich etwas verändern zu können.