Herr Riebli, Sie haben im Landrat zwei Vorstösse eingereicht, um die Sozialhilfe drastisch zu kürzen. Sie gehen damit auf die Ärmsten los.
Es geht nicht darum, die Sozialhilfe abzuschaffen, im Gegenteil. Die Vorstösse wollen, dass Sozialhilfebezüger gefördert und motiviert werden, wieder in den Arbeitsprozess einzusteigen, um ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dafür braucht es auch einen finanziellen Anreiz.
Gibt es den heute nicht?
Es bedarf einer wichtigen Diskussion, die heute nicht geführt wird: Nämlich dass sich das Arbeiten für Sozialhilfebezüger heute oft nicht lohnt. Wer arbeitet, hat am Ende häufig weniger Geld, als wenn er Sozialhilfe bezieht. Eine Familie mit zwei Kindern erhält – alles zusammengerechnet – um die 6000 Franken pro Monat an Sozialhilfe. Wenn der Familienvater in einer Hotelküche arbeiten geht, erhält er vielleicht 5500 Franken brutto. Das ist einfach nicht rentabel, wenn er dann die Krankenkasse und die Miete selbst zahlen muss und auch noch Steuern anfallen. Diese Thematik muss man angehen: Arbeit muss sich in jedem Fall lohnen.
Weshalb braucht es denn diesen finanziellen Druck?
Eine neue Studie der Universität Luzern im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft zeigt es klar auf: Man muss den Grundbedarf bei der Sozialhilfe senken, um den Anreiz zu stärken. Es geht darum, die Leute zu motivieren, dass sie alle Anstrengungen unternehmen, um wieder eine Arbeitsstelle zu finden. Und ohne den finanziellen Druck ist es für viele zu wenig interessant.
Für die betroffenen Leute ist es aber ein enormer Stress, wenn sie 300 Franken weniger haben im Monat.
Eigentlich ändert sich ja nichts, es gibt nur eine Systemumkehr. Wer renitent ist, dem werden heute bereits die Beiträge gekürzt. Wer körperlich oder psychisch angeschlagen, wer in den ersten Jahren alleinerziehend ist, der erhält bereits heute meistens den vollen Betrag und dies würde sich im neuen System auch nicht ändern, denn diese Leute haben wenig bis keine Chancen auf eine Vollanstellung im ersten Arbeitsmarkt. Aber auch sie kann man motivieren, dass sie sich ein Teilzeitpensum suchen oder sich weiterbilden, wenn zum Beispiel die Sozialhilfe dafür die familienexterne Betreuung oder die Weiterbildungskosten bezahlt.
Wer soll denn Ihre Änderungen spüren?
Es geht um jene Leute, die arbeiten könnten, es aber nicht wollen, die andere Leute, die im Niedriglohnsegment arbeiten, auch noch auslachen. Weil es ihnen, die nichts tun und Sozialhilfe beziehen, besser geht als den harten Arbeitern. Es gibt diese konkreten Fälle. Und das muss zukünftig verhindert werden.
«Es ist nichts Ehrrühriges dabei, bei der Migros an der Kasse zu arbeiten.»
Jemand, der also mit Anfang 50 seine Kaderstelle verliert, weil das Unternehmen bankrott ist, soll in dem Fall bei der Migros an der Kasse arbeiten?
Wer sein ganzes Leben lang gearbeitet hat und dann ein Opfer von Restrukturierungen wird, ausgesteuert wird und sein Vermögen aufgebraucht hat, soll sicher nicht bestraft werden. Da kommt die zweite Motion ins Spiel, die als Postulat überwiesen wurde. Sie fordert, dass es eine Abstufung gibt nach Steuerjahren und -betrag. Die Leute, die Sie erwähnen, sind meist solche, die alles daran setzen, wieder arbeiten zu gehen. Sie sollen deshalb nicht bestraft werden, sondern weiterhin am sozialen Leben teilnehmen können. Aber genau diese Leute verstehen auch nicht, weshalb sie nach 40 Jahren Arbeiten, Steuern und Arbeitslosenbeiträge bezahlen gleich viel oder gleich wenig Sozialhilfe erhalten wie ein 25-Jähriger, der noch nie gearbeitet hat. Deshalb muss die Sozialhilfe besser gestaffelt werden, nach Alter und Arbeitsjahren. Und übrigens ist nichts Ehrrühriges dabei, bei der Migros an der Kasse zu arbeiten.
Bei den vielen Ausnahmen, die Sie aufzählen, bleiben ja nur noch wenige Renitente, die Ihrer Meinung nach keine volle Sozialhilfe verdient haben. Weshalb braucht es für diese wenigen einen Systemwechsel?
Weil man ein Zeichen setzen muss: Sozialhilfe darf nicht attraktiv sein. Es wird zwar immer wieder gesagt, dass der Missbrauch der Sozialhilfe Einzelfälle betrifft, aber dem ist nicht so. Insbesondere, weil die Unwilligen diejenigen sind, die über Jahre bleiben, während die Motivierten sich meistens wieder eingliedern lassen. Am Anfang sind es nur einer oder zwei, aber mit den Jahren akkumuliert sich das, sodass im Extremfall zwanzig, dreissig Prozent oder mehr der Sozialhilfebezüger eines Dorfes gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurück wollen und nach ein paar Jahren auch gar nicht mehr können. Das sieht man auch in der Statistik: Die Zahl der Sozialhilfebezüger, die länger als vier Jahre Gelder beziehen, hat seit 2006 um 65 Prozent zugenommen.
«Wir geben 20 Prozent unseres Steuereinkommens für die Sozialhilfe aus.»
Sie sind selbst Präsident der Gemeinde wie auch der Sozialhilfebehörde in Buckten. Wie gehen Sie in der Gemeinde mit sogenannten renitenten Sozialhilfebezügern um?
Wir nutzen alle zur Verfügung stehenden Mittel aus. Unwilligen, die angebotene Arbeitsstellen ausschlagen, die keine Arbeiten für die Allgemeinheit machen, kürzen wir die Beiträge bis maximal 30 Prozent. Wenn nötig eskalieren wir Beschwerden bis zum Regierungsrat – es gab schon Jahre, wo wir drei Beschwerden beim Regierungsrat hatten. Diese Behördengänge dauern dann Monate und sind sehr arbeitsaufwendig. Und nicht in jeder Gemeinde geht man so konsequent vor wie bei uns.
Wie reagieren die Leute, wenn Sie ihnen die Beiträge kürzen?
Es ist schon mal ein Mitglied aus der Sozialhilfebehörde ausgetreten, weil ihm körperliche Gewalt angedroht wurde, nachdem die Beiträge um 10 Prozent gekürzt wurden. Man wird vereinzelt auch verbal angegangen, per Mail oder SMS beschimpft. Das sind enorm unangenehme Situationen.
Wie vielen Buckter Sozialhilfeempfängern kürzen Sie die Beiträge?
Das ist eine heikle Frage, wir sind ein kleines Dorf, da plaudert man schnell Informationen aus, die anonym bleiben müssen. Ich kann aber so viel sagen: Über die vergangenen Jahre hatten wir summiert sicher 30 bis 40 Prozent schwierige Fälle, die wir kürzen mussten, und etwa die Hälfte davon hatte absolut kein Interesse, eine Arbeit zu finden.
Wie sehr belasten die Sozialhilfegelder die Gemeindefinanzen?
Wir geben etwa 20 Prozent unseres Steuereinkommens für die Sozialhilfe aus, das sind gut 200’000 Franken. Allerdings fliesst ein Teil der Gelder vom Bund zurück für die vorläufig Aufgenommenen mit Status F.
«Es gibt nicht wenige, die die Sozialhilfe quasi als bedingungsloses Grundeinkommen missbrauchen.»
Buckten hat 18 Sozialhilfebezüger, Pratteln fast 900. Weshalb brennt Ihnen als Präsident einer kleinen Gemeinde das Thema so unter den Nägeln?
Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Sozialhilfe und verfolge auch den gesamtschweizerischen Trend. Wir Gemeinden tauschen uns auch untereinander aus und sehen alle, wie die Kosten ins Unermessliche steigen. Deshalb ist die Zeit für einen Systemwechsel reif. Vor allem, weil eine neue Kostenwelle auf die Gemeinden zukommt, wenn die Gelder vom Bund und dem Kanton für die vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden nach fünf bis sieben Jahren wegfallen.
Wollen Sie vor allem bei den Ausländern die Sozialhilfe kürzen?
Ich muss betonen, dass es hier in keinster Weise um die Thematik der Ausländer geht. Sondern allgemein darum, dass Sozialhilfe ursprünglich als kurzfristige Überbrückungshilfe gedacht war. Es gibt aber nicht wenige, die sie jetzt quasi als bedingungsloses Grundeinkommen missbrauchen und sich in die soziale Hängematte legen. Ich sehe das vor allem bei der jungen Generation: Wenn sie damit aufgewachsen sind, dass das Einkommen vom Staat kommt, richten sie sich entsprechend ein und kommen nur noch sehr schwer aus diesem Gefüge heraus.
Ob gewollt oder nicht: Für viele Leute wird es nicht möglich sein, eine Arbeitsstelle zu finden, etwa gesundheitlich beeinträchtigte Leute oder Alleinerziehende.
Ja, das ist leider so. Aber es muss sich für die Leute auch lohnen, wenn sie für vier Stunden arbeiten gehen oder am Abend. Ich staune immer wieder, dass die Leute, die wirklich wollen und alles daran setzen, eigentlich immer einen Job finden. Es ist oft keine Vollzeitstelle, aber sie verdienen etwas dazu. Und solche Leute erhöhen auch ihre Chancen, später wieder eine Vollzeitstelle zu finden.
Schüren Sie mit dem neuen System nicht den Konflikt zwischen der Sozialhilfebehörde und den -bezügern?
Das Konfliktpotenzial ist das gleiche wie bisher. Im alten System wird bestraft, im neuen würde motiviert. Und motivieren ist immer besser als bestrafen. Ausserdem würden die Sozialhilfebehörden einen grösseren Handlungs- und Ermessensspielraum erhalten. Das ist richtig, denn das Geld kommt von den Steuerzahlern aus den Gemeinden und die gewählte Sozialhilfebehörde soll entscheiden, was damit passiert. Es wäre eine Stärkung der Gemeindeautonomie. Das Gesetz mit dem Grundbetrag bleibt bestehen, der Ermessensspielraum für Motivationszulagen aber wächst.
«Ich verwehre mich vehement gegen eine Vergesellschaftung der Sozialhilfekosten.»
Sie sagen, dass der Aufwand für die Gemeinde sehr gross ist, wenn sie einem Bezüger die Leistungen kürzen will. Umgekehrt wäre die Hürde künftig auch sehr hoch, wenn sich ein Bezüger gegen eine Leistungskürzung wehren will. Das ist ein bisschen wie David gegen Goliath.
Die Bezüger können sich unentgeltlich Unterstützung holen, wenn sie tatsächlich der Meinung sind, dass sie ungerecht behandelt werden. Bei der Sozialhilfebehörde kann der Aufwand enorm hoch sein, um nur schon eine Kürzung von 90 Franken durchzusetzen.
Mit Ihrer Vorlage blieben einem Sozialhilfebezüger 690 Franken im Monat. Wie soll das zum Leben reichen?
Die Miete, inklusive der Nebenkosten, ist ja bezahlt, die AHV, Krankenkosten und der Zahnarzt ebenso. Eigentlich braucht man nur noch Geld zum Essen und die soziale Mitwirkung. Es ist sicher kein luxuriöses Leben, das man führen kann, aber es ist nicht menschenunwürdig. Und bei konkreten, ernsthaften Bemühungen um Arbeit kann der Unterstützungsbeitrag wieder bis auf den heutigen Wert von 986 Franken erhöht werden.
Gemeinden wie Liestal, Pratteln oder Grellingen kämpfen seit Jahren für einen kantonalen Sozialhilfe-Topf. Wie stehen Sie zu diesem Konstrukt?
Ich verwehre mich vehement gegen eine Vergesellschaftung der Sozialhilfekosten. Und das, obwohl Buckten in manchen Jahren davon profitieren würde. Aber die Sozialhilfe ist eine Aufgabe der Gemeinde. Und wenn die Gemeinde selbst zahlt, hat sie ein viel grösseres Interesse, die Bezüger gut zu betreuen und wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren, als wenn das Geld aus einem anonymen Topf kommt. Die Kleinräumigkeit der Gemeinden hilft, um die Sozialhilfefälle zu kontrollieren, zu unterstützen, zu integrieren. Wenn die Kosten enorm steigen, tendiert man oft dazu, sie auf mehrere Schultern zu verteilen und so zu anonymisieren.
Und das bringt nichts?
Dadurch hat man zwar ein paar Jahre Ruhe, aber die Kosten steigen trotzdem weiter. Stattdessen muss man am Grundübel, den steigenden Sozialhilfekosten, ansetzen. Und ich möchte nicht, dass die Situation irgendwann so prekär ist, dass weit drastischere Massnahmen ergriffen werden müssen, weil die Bevölkerung die Kosten nicht mehr tragen kann und will.
Je nach Umsetzung durch die Regierung hätte Baselland die strengste Sozialhilfe der ganzen Schweiz.
Für mich ist «streng» das falsche Wort. Ich würde sagen die motivierendste. Und sie könnte für die Schweiz Vorbildcharakter haben.