Andreas Wagner und Gabriel Flückiger kuratieren die neue Schau «Complaining won’t burn calories». Im Klingental versammeln sie Kunstwerke, die sich mit körperlicher Bewegung beschäftigen. Im Interview verraten sie, warum sich auch die Besucher körperlich anstrengen können.
Andreas Wagner und Gabriel Flückiger, am Samstag eröffnet Ihre Ausstellung «Complaining won’t burn calories» im Klingental. Wer jammert denn da?
Gabriel Flückiger: Noch niemand. Am Anfang fragten wir uns: Was ist heute Bewegung? Leistungssteigerung und Selbstoptimierung waren da naheliegend. «Complaining won’t burn calories» könnte aus einem Fitnessprogramm stammen.
Und tut es auch…
Gabriel Flückiger: Ja (lacht). Uns geht es aber nur bedingt um Fitness – diese war der Ausgangspunkt. Die von uns ausgewählten Arbeiten befragen den Körper unter verschiedenen Gesichtspunkten: Was bewirken heutige Technologien? Wie beeinflussen ihn Kultur oder Politik? Was ist normale, was abnormale Bewegung?
So kurz vor der Vernissage: voll im Schlussspurt?
Andreas Wagner: Es geht. Die Künstler machen viel selbst, das ist immer gut. Wie so oft stehen wir vor technischen Hürden: All die verschiedenen Videoformate, oder die komplexe Schaltmechanik, die der Berner Künstler Nico Müller gerade installiert. Seine Arbeit «Fluorescent Light Interference» lässt die Besuchenden die Beleuchtung im Ausstellungsraum mit ihren eigenen Bewegungen beeinflussen.
«Complaining won’t burn calories» ist also interaktiv. Bei diesem Ausstellungstitel ist sogar mit echter körperlicher Anstrengung zu rechen.
Gabriel Flückiger: Nicht zu unrecht. Nebst Videoarbeiten, Installationen, Fotografien und Performances gibt es für Besucherinnen und Besucher auch konkrete Möglichkeiten, sich zu betätigen. Ein Programm, das den Rahmen sprengt. Die Ausstellung soll nicht nur konsumiert werden, sondern die Chance bieten, Bewegung am eigenen Körper zu entdecken. Das Institut für Bewegungsanalyse leitet am 22. August einen Workshop, und am Sonntag nach der Vernissage steht mit Nino Baumgartners «Shortcuts» äusserst Körperliches auf dem Programm.
Wer Baumgartners Militärmanöver im Juni im Birsfelder Kunstraum Salts gesehen hat, kann sich ausmalen, was da mit «Shortcuts» auf uns zukommt.
Andreas Wagner: Oh ja, Nino ist steil unterwegs. Er interessiert sich für Grenzen: in «Shortcuts» sowohl für körperliche Limiten als auch für Landesübergänge. Gerade ist er unterwegs im Dreiländereck, um die Route abzuschreiten. In Bern führte sie steile Waldhänge hinauf und Bäche hinunter, die Leute waren fix und fertig. Das wird definitiv kein Spaziergang mit ihm.
Gabriel Flückiger: Früher testete Nino Material auf seine Belastbarkeit und seine Grenzen. Er nahm beispielsweise ein Holzstück und schaute, wie fest er es einspannen kann, ohne es zu brechen. Daraus resultierte eine skulpturale Form.
Und heute testet er, an welchem Punkt seine Besucher brechen. Was nehmen wir mit, abgesehen vom Drill?
Andreas Wagner: Baumgartner will seine Beschäftigung mit der Natur teilen. Seine Sicht vermitteln, wie er selbst Raum erlebt.
Gabriel Flückiger: Und er regt an, darüber nachzudenken, was in der Gruppe passiert, wenn man sie einer Belastung aussetzt. Wenn man den gesicherten Pfad verlässt. Einer braucht Unterstützung, ein anderer hat eine Blase am Fuss, eine weitere muss aufs Klo. Das alles nimmt die Form einer sozialen Plastik an.
A propos soziale Plastik: Für «Lachen mit der Hand vor dem Mund» inventarisierte Patricia Nocon alltägliche Bewegungsmuster. Nocon kennt man in Basel als Schauspielerin, nicht als Performerin im Kunstkontext. Wie sind Sie auf sie gekommen?
Gabriel Flückiger: Ich habe sie an der Zürcher Hochschule der Künste kennengelernt, wo sie Transdisziplinarität studierte. «Lachen mit der Hand vor dem Mund» ist ihre Masterarbeit, die teilweise auf unserer Exkursion nach Hong Kong entstand. Ab und an habe ich sie da bei den Videoaufnahmen begleitet.
Nocon spricht von der «alltäglichen Performance, die sich ganz tief in unser Körperverständnis eingeschrieben hat und uns meist gar nicht bewusst ist». Wie zum Beispiel das Lachen mit der Hand vor dem Mund?
Gabriel Flückiger: Ja. In Hong Kong verstecken die Menschen ihr Lachen. Dies hat mit dem Ideal des Ausgeglichenseins zu tun. Lachen steht für Schwäche oder gar Dümmlichkeit, man versteckt es. Erziehung und Sozialisierung bestimmen, wie wir unseren Körper bewegen. Indem Nocon diese Reflexe sammelt, reflektiert sie das unbewusst Vorhandene.
Gibt es Wunschpositionen, die Sie gerne in der Ausstellung gezeigt hätten, aber nicht können?
Gabriel Flückiger: Meine Wunscharbeit war Julien Prévieux‘ «What shall we do next? (Séquence #2)», und die haben wir bekommen. Die Arbeit gefällt mir ästhetisch und inhaltlich sehr gut. Touchscreens unterstützen mit repetitiven Bedienungsgesten die fortschreitende Verschmelzung von Mensch und Technologie. Dies stellt Prévieux sehr pointiert zur Diskussion.
Andreas Wagner: Ich dachte an Bruce Naumans «Square Dance», in dem er das am Boden abgeklebte Viereck abtanzt. Versucht haben wir es. Aber es wurde zu kompliziert und hätte unser Budget natürlich bei weitem gesprengt.
Wo wir gerade von Budgets sprechen: Die Basler Off-Spaces zeigen ab November in der Villa Renata erstmals eine grosse gemeinsame Ausstellung. Sie beide sind seit Jahren in der freien Berner Kunstszene unterwegs und haben mit dem «Kollektiv Bern» viel Erfahrung im Zusammenschluss von unabhängigen Kunsträumen…
Andreas Wagner: …und im Schiffbruch-Erleiden. (lacht)
Vielleicht umso mehr die Frage: Welche Erfahrungswerte können Sie Ihren Basler Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?
Gabriel Flückiger: Der Schiffbruch kam mit der Einladung der Biennale Bern letzten Sommer. Wir sollten als Kollektiv das Festivalzentrum im Schlachthaus gestalten. Da tat sich der Graben auf: Hier der pragmatische Wunsch nach Vernetzung bei gleichzeitiger Konzentration auf das eigene Projekt, da die romantische, happeningartige Vorstellung eines echten Kollektivs mit gemeinsamer Vision.
Andreas Wagner: Zwei Jahre zuvor hat in der Zürcher Lokremise, heute die Europaallee, alles prima funktioniert. Weil wir merkten, dass wir in der Kunst keinen gemeinsamen Nenner finden und darum was ganz anderes machten: ein Tennisturnier für Künstler und Kuratoren. So verstehe ich den Kollektivgedanken, und so hat er bestens funktioniert.
Und was bleibt?
Andreas Wagner: Wenn das Kollektiv auch inaktiv ist, ist die Vernetzung doch stärker geworden. Kunstschaffende verschiedener Generationen lernten sich kennen, wir besuchen unsere Vernissagen, wir tauschen uns aus.
Gabriel Flückiger: Das Bewusstsein einer freien Szene ist dadurch enorm gewachsen.
Nur das Selbstbewusstsein oder auch die Aussenwahrnehmung?
Gabriel Flückiger: Auch die Aussenwahrnehmung. Die Leute haben gemerkt, dass sich was tut. Vor zehn Jahren war das weniger der Fall – ganz im Gegensatz zum Esprit der 1980er-Jahre mit intensiven Besetzungs- und Zwischennutzungsprojekten. 2012 war es dann wieder eine befristete Nutzung, die die freie Kunstszene aufs Neue belebte: Die Bespielung des Palazzo Wyler. Sie war auch unser erstes gemeinsames Projekt.
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«Complaining Won’t Burn Calories», Ausstellungsraum Klingental, Basel.
Vernissage: 8. August, 18 Uhr.