«Wir brauchen Haltung»

Susan Boos, die Redaktionsleiterin der «Wochenzeitung», über alte Dogmen, Gefahren der PR und die Korrumpierbarkeit der Medien.

«Interessant ist, dass ich immer am meisten Probleme mit den linken Freunden und nicht mit den bürgerlichen Gegnern habe.» (Bild: Christian Schnur)

Susan Boos, die Redaktionsleiterin der «Wochenzeitung», über alte Dogmen, Gefahren der PR und die Korrumpierbarkeit der Medien.

Philipp Hildebrands letzter Auftritt in der «Wochenzeitung» findet auf einem lächerlich kleinen Fernseher statt. Es ist Montagnachmittag, und die Journalisten der WOZ sitzen in einem Zimmerchen ihrer Redaktion und schauen dem ­Nationalbank-Präsidenten beim Rücktritt zu. Sie tun das – wie in den alten Zeiten des Journalismus – heftig rauchend. Der Röhren­fernseher und die rauchenden Journalisten bleiben allerdings die einzige Reminiszenz an die Vergangenheit an der Hardturmstrasse 66 in Zürich: Zum 30. Geburtstag hat sich die WOZ ein neues Layout geschenkt. Auch inhaltlich ist wenig ­übrig geblieben von der WOZ der alten Tage: Die junge Redaktion liefert ­Woche für Woche engagierten Jour­nalismus. Ganz zur Freude von Redaktionsleiterin Susan Boos, die bereits seit 1991 für die WOZ arbeitet.

Frau Boos, Sie sind vom «Schweizer Journalist» zur Chefredaktorin des Jahres gewählt worden. Die gleiche Jury hat Urs-Paul Engeler von der «Weltwoche» zum Journalisten des Jahres erkoren. Wie fühlen Sie sich in dieser Gesellschaft?

Ich habe nicht kandidiert für diese Auszeichnung. Man müsste wohl darüber reden, was die Funktion einer solchen Preisverleihung ist, die man bitte nicht zu ernst nehmen sollte. Die Auszeichnung hat etwas Willkürliches.

Aber freuen Sie sich trotzdem über Ihre Wahl?

Wir nehmen das spielerisch. Für uns von der WOZ ist es natürlich toll, denn wir können sagen: «Wir sind ChefredaktorInnen des Jahres» so wie die «Bild», als Ratzinger gewählt wurde, getitelt hat: «Wir sind Papst». Es ist letztlich auch ein Zeichen, dass wir zur Kenntnis genommen werden.

Die PR-Aktion der Zeitschrift «Schweizer Journalist» macht also PR für die WOZ?

In einem gewissen Sinn ja. Das ist grundsätzlich nicht verwerflich. Aber es bleibt einfach ein bisschen ein Nachgeschmack, weil PR im Journalismus immer prägender wird.

Wenn es darum geht, sich gegenseitig hochzujubeln?

Nein, das ist nur eine Nebenerscheinung. Bedenklich finde ich, dass PR – als Propaganda-Arbeit von Firmen, Verbänden, Politikern, Interessengruppen – immer stärker den Journalismus beeinflusst. Während PR-Abteilungen wachsen und alle möglichen Events ­organisieren, dünnen die Verleger die Redaktionen aus. Wenn Bundesrat Maurer mit Journalisten im Berner Oberland wandern geht, dann ist das kein Journalismus mehr, sondern PR.

Auch beim Fall Hildebrand bleibt ein Nachgeschmack. Eine Woche lang überboten sich die Medien mit Enthüllungsgeschichten …

… ja, auf eine unglaubliche Art und Weise. Es hat sich eine «Primeur-­Korruption» in unserer Branche entwickelt. Da werden Medienschaffende von Interessensvertretern gezielt mit Informationen gefüttert, und die ­betreffenden Journalisten tun dann so, als hätten sie den Primeur selbst erarbeitet. Im Fall Hildebrand ist es ausnahmsweise so, dass die Machenschaften deutlich durchgesickert sind, wie einerseits die Sonntagspresse und andererseits die «Weltwoche» zu ihren Informationen gekommen sind. Aber auch die Enthüllungsgeschichte von Urs-Paul Engeler über Bruno Zuppiger, die ihm den Titel des besten ­Journalisten eingebracht hat, ist mit Sicherheit inszeniert gewesen. Während sich bei der «Weltwoche» die Journalisten sehr wohl bewusst sind, in welcher Leute Absicht sie handeln, ist es bei Vertretern anderer Medien oft so, dass sie nicht einmal wissen, mit welchem Ziel sie gefüttert worden sind. Hauptsache, sie haben einen Primeur.

Spricht da nicht auch der Neid der Besitzlosen, die keine ­Primeurs gesteckt bekommen?

Nein, darum geht es nicht. Ich stelle nur fest, dass es eine PR-Korruption gibt, der wir uns vielleicht auch nicht in jedem Fall entziehen könnten. Allerdings: Wir haben auch schon Geschichten nicht gebracht und auf einen Primeur verzichtet, weil wir den Beteiligten unter Umständen geschadet hätten. Aber: Wenn wir von Ungereimtheiten erfahren, gehen wir der Sache nach, bemühen uns aber, nicht auf Personen zu schiessen. Es ist unanständiger Journalismus, als Skalpjäger für Aufregung zu sorgen. Und meistens richtet man für Skandälchen mit einer sehr kurzen Halbwertszeit sehr gros-sen Schaden an, ohne dass jene, die den Schaden anrichten, dafür geradestehen müssen.

Mit dieser Argumentation kann sich eine Redaktion davor drücken, heikle Themen anzufassen.

Nein, man muss Missstände aufdecken, aber man sollte nicht in erster Linie auf Personen zielen, nur weil das die leckereren Geschichten gibt.

Zurück zum Fall Hildebrand: Die Attacke gegen den Nationalbank-Chef hat dazu geführt, dass ihn Linke verteidigten, die ihn wegen seiner Devisengeschäfte noch vor einem Jahr verteufelt hätten. Ist doch ein bisschen speziell?

Ja, es hat seltsame Effekte ausgelöst, dass die SVP Hildebrand so frontal angegriffen hat. Es ist schon so: Auch wenn Herr Blocher und Herr Lei und wie sie alle heissen krumme Sachen gedreht haben, so muss man dennoch den Blick für die Geschichte wahren. Auch Feinde können mal den Finger auf den richtigen Punkt legen. Dann muss man sauber auseinander dividieren, was politische Ranküne und was effektiv das Problem ist. Ich meine: Wenn die Nationalbank ihr Reglement unter Verschluss hält, so ist das ein Problem. Blocher hin oder her. Und wenn Herr Hildebrand oder dann halt seine Frau mit Dollars herumfuhrwerken, dann ist das auch ein Problem.

Sind wir Journalisten zu sehr auf Blocher fixiert?

Ich bin heute wieder viel entspannter, wenn es um Blocher geht. Vor vier ­Jahren hat mich die Stimmung in der Schweiz sehr beunruhigt. Damals schaffte er es, Diffamierungen gegen diverse Institutionen wie Gerichte, andere Parteien und Gruppen zu lancieren, die viel Unruhe auslösten. Heute ist er einer, der merkt, dass sein Schiff Schlagseite hat und noch ­irgendwie Land erreichen will. Auch wenn er jetzt über den Rücktritt von Hildebrand ­triumphiert, so hat sein Ansehen doch sehr stark gelitten. Man sah es schon bei den Wahlkampagnen: Wer zu stark dreinhaut, verliert seine Wirkung.

Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass rechtsbürgerliche Kreise sich immer unverhüllter Einfluss auf die Medien sichern. Nach der «Weltwoche» ist auch die BaZ in ihrer Hand.

Die Situation bei der BaZ halte ich für eine andere als die bei der «Weltwoche». Wir sind ein föderalistisches Land, und wir brauchen eine Medienvielfalt, die auf nationaler Ebene, vor allem aber auch in den Regionen stattfinden muss. In Basel hat sich eine ­Situation verschärft, die schon länger ein Problem war. Die BaZ war eine Monopolzeitung. Um sich zu legitimieren, haben sich – auch anderswo – die Monopolzeitungen als Forumszeitungen bezeichnet. Es waren ja überall die Bürgerlichen, die diese Monopolzeitungen zu verantworten hatten. Auch in St. Gallen, wo ich herkomme.

Und das funktioniert nicht?

Allen, denen man ihre Parteiblätter mit klarer Haltung weggenommen hatte, versprach man: Ihr kommt in der Zeitung auch vor, wir sind offen für alle. Das kann aber nicht funktionieren, so wenig wie es objektiven Journalismus gibt. Ich beobachte das in St. Gallen: Die Journalisten bemühen sich wirklich, beide Seiten vorkommen zu lassen. Aber wenn es dann wirklich um zentrale Dinge wie etwa Abstimmungen geht, funktioniert das nicht. Das war in Basel auch so, und jetzt, da die Monopolzeitung klar in rechtsbürgerlicher Hand liegt, ist es schwer erträglich.

Wäre eine Rückkehr zur Parteipresse ehrlicher?

Ein Medium muss nicht einer parteipolitischen Haltung zugeordnet werden können, aber es muss verortbar sein, muss eine Haltung haben. Demokratie kann nur mit einem Wettbewerb der Meinungen funktionieren. Wenn nur eine Meinung transportiert wird, wird es gemeingefährlich, dann ist der demokratische Diskurs in Gefahr. Wenn es in einer Region nur noch einen einzigen Ort gibt, wo man sich äussern kann, ist das der Demokratie nicht zuträglich.

Wird die WOZ mit ihrer linken Haltung von bürgerlich denkenden Leuten überhaupt wahr- und ernst genommen?

Interessant ist, dass ich immer am meisten Probleme mit den linken Freunden und nicht mit den bürgerlichen Gegnern habe. Wenn wir Bürgerliche zitieren, dann ist das kein Problem. Sie erwarten nur, dass wir sie richtig zitieren. Von linker Seite her gibt es dagegen eine Erwartungshaltung, die wir oft nicht erfüllen können oder wollen.

Nützt der WOZ das Bedürfnis nach Haltung kommerziell?

Wir haben seit ein paar Jahren einen kontinuierlichen Anstieg bei den Abos. Das ist angenehmer, als ständig gegen einen Rückgang zu kämpfen. Ich denke schon, dass Haltung grundsätzlich sehr geschätzt wird. Vor zwanzig Jahren mussten Journalisten in der Gegend herumrennen, um rohe Informationen zu erhalten. Heute sind diese Informationen für alle verfügbar. Leserinnen und Leser suchen stattdessen nach Orientierung, nach Einbettung. Sie wollen Geschichten, die man nachvollziehen kann. Und dafür braucht es ein Medium mit einer Haltung.

Mit dem neuen Layout hat sich die WOZ auch inhaltlich angepasst. Die Zeiten der strengen Doktrin scheinen vorüber.

Bei uns hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Wir haben eine sehr junge und extrem politische Generation, die unverkrampfter an die Dinge herangeht.

Und weniger dogmatisch.

Ja. Als ich in den 1990er-Jahren auf der WOZ begann, litt ich unter der alten Generation. Wir stritten zwar viel, aber es war selten produktiv. Bei den Debatten war man sich nie sicher, ob es nun wirklich um die Sache oder um irgendeinen alten persönlichen Streit ging. Das hat sich heute geändert. Als ich begann, da war die EU-Diskussion sehr virulent. In der Redaktion flogen die Fetzen, physisch zum Teil! Aber man las nichts von der eigentlich interessanten Debatte in der Zeitung, weil sich keine Seite durchsetzen konnte. Unser Glück ist, dass sich der Generationenwechsel gut ergeben hat.

Der Generationenwechsel ist auch ein zwangsläufiger: Die WOZ ist ein Durchlauferhitzer für Talente. Wann springt eine Redaktorin, ein Redaktor etwa ab?

Häufig nach vier bis fünf Jahren. Zu Beginn hat mich das total geschlissen.

Weil Sie beleidigt waren?

Nicht unbedingt. Man hat einfach immer das Gefühl, jetzt ein wirklich gutes Team zu haben. Nach zwei Jahren beginnen die Leute, die Dinge zu können, einen eigenen Stil zu entwickeln. Und dann gehen sie. Man fühlt sich dabei etwas verloren, weil man denkt, wieder von null beginnen zu müssen. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass dieser Wechsel auch gut ist. Vor allem weil es faszinierend ist, wie viele wahnsinnig hochbegabte Leute wir immer wieder auf der Redaktion haben. Man kommt zur WOZ, um Dinge auszuprobieren. Man ist als Journalist noch nicht fertig, kann sich zum ersten Mal auf das nationale Parkett wagen und dabei auch einmal abstürzen. Wirklich gut wird man erst, wenn man auch mal auf die Nase geflogen ist.

Die vielen Wechsel sind auch systembedingt: Nur wenige Journalisten wollen ihr Leben lang für 4600 Franken brutto arbeiten.

Wir haben glücklicherweise in den vergangenen Jahren regelmässig unsere Löhne erhöhen können. Aber wir sind immer noch sehr tief und das ist ein Problem. Auf der anderen Seite führen unsere tiefen Löhne dazu, dass niemand da ist, der nicht wirklich bei uns sein will. Das macht das Arbeiten sehr befriedigend.

Nach den Wahlen hat die WOZ von einer «Mitte-Links-Regierung» ­geschrieben. War das Ihr Ernst?

Nein, das ist sicher nicht unsere Haltung und stand so auch nicht im Text. Das ist im Abschluss reingerutscht. Das kann im Stress mal passieren.

Was kommt auf die Schweiz in den nächsten Jahren zu?

Wir sind kein linkeres Land geworden. Aber vor vier Jahren war dieser vibrierende Druck der SVP da – der ist jetzt weg. Der Siegeszug der Partei nahm damals beängstigende Ausmasse an, und das ist heute gebrochen. Abgesehen davon kommen gigantische Fragen auf unser Land zu. Das kann man an der Hildebrand-Affäre illustrieren: Es geht nicht um seine Person, es geht darum, was mit unserer kleinen Währung im grossen Europa geschieht.

Wie soll sich die Schweiz zur EU positionieren?

Ich war bei dieser Frage nie so ratlos wie heute. Früher hatte ich eine klare Haltung zur EU und fand, es gibt zu viele repressive Elemente in diesem Gebilde. Bei all diesen Elementen wie etwa den Schengen-Verträgen ist die Schweiz heute aber dabei. Gleichzeitig ist der Tanker EU derart in Schieflage geraten, dass es einem «gschmuch» wird. Wir müssen uns fragen, welche kon­struktive Rolle die Schweiz in der EU einnehmen kann. Es gibt wohl im ­Moment keinen Grund mehr, abseits zu stehen.

 

Susan Boos

Die 48-jährige St. Gallerin arbeitet seit 1991 bei der genossenschaftlich organisierten «Wochenzeitung» (WOZ) und hat sich insbesondere als Atom- und ­Energieexpertin einen Namen gemacht. Susan Boos ist seit 2005 Redaktionsleiterin des 25-köpfigen Teams in Zürich. Im vergangenen Jahr reiste sie zwei Mal nach Japan in die Region von Fukushima, um vor Ort über die Auswirkungen der AKW-Katastrophe vom vergangenen März zu recherchieren. Diesen Frühling erscheint ihr Buch «Fukushima lässt grüs­sen», in dem sie auch der Frage nachgeht, wie die Schweiz und die umliegenden Grenzgebiete in einer ähnlichen Situa­tion reagieren würden.

Quellen

Die WOZ zu ihrem Jubiläum (Druckversion)

Beiträge zum WOZ-Jubiläum von Radio DRS, dem Branchendienst persönlich.com und dem Zürcher Presseverein

Gespräch mit WOZ-Mitgründerin Lotta Sutter

Susan Boos in der WOZ über die PR-Korruption in den Schweizer Medien

Das neue Buch von Susann Boos, «Fukushima lässt grüssen»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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