«Wir Deutsche lieben Hitler»

Leo Fischer (31), Chefredaktor des Satiremagazins «Titanic», spricht über Tabubrüche, die Macht des Papstes, die Kritik an Alice Schwarzer und die eigene Arroganz.

Leo Fischer (31), Chefredaktor des Satiremagazins «Titanic», spricht über Tabubrüche, die Macht des Papstes, die Kritik an Alice Schwarzer und die eigene Arroganz.

Er sieht ein wenig bleich aus, als er sich an diesem sonnigen Morgen an den grossen Holztisch im Basler «Hirscheneck» setzt. Abends zuvor hat Leo Fischer hier mit zwei Redaktionskollegen die Bude gerockt, will heissen, satirische Texte vorgelesen. Erstmals gastierte die «Titanic Task Force» in der Schweiz. Das habe man zwar nicht exzessiv gefeiert, betont der Chefredaktor. Seine leicht zugekniffenen Augen lassen aber vermuten, dass es dennoch spät wurde.

Leo Fischer bestellt sich einen Kaffee. Dazu hätte er wohl gerne auch ein Paar Schuhe. Die aber sind im Gästezimmer geblieben. Er hat sich ausgeschlossen. Irgendwie sowas. Egal. Ein Kaffee reicht ihm, um seinen geistigen Motor anzuwerfen. Und wir merken bald: Grundsätzlich steht er nicht neben den Schuhen.

Herr Fischer, Sie wurden am 29. Juli 1981 geboren, just an dem Tag, als Prince Charles und Lady Diana heirateten. Hat Ihnen Ihre Mutter das je verziehen?

In gut republikanischer Manier war sie ganz froh, dass sie sich diese Hochzeit nicht ansehen musste. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt ganz andere Sorgen.

Die «Titanic» erblickte schon 1979 das Licht der Welt. Die Gründergruppe agierte wie eine Satirikerkommune. Ist dieser Geist noch präsent?

Ja. Alle erhalten dasselbe Gehalt. Wir versuchen auch, alle Entscheidungen im Konsens zu fällen.

Leo Fischer

Als Satiriker wie Robert Gernhardt 1979 die «Titanic» gründeten, war Leo Fischer noch gar nicht auf der Welt. 1981 in München geboren, studierte er in den Nuller-Jahren Philosophie, Publizistik und Literaturwissenschaft in Berlin und Lausanne.

2007 trat er in die Redaktion der «Titanic» in Frankfurt ein. Als die Herausgeber ein Jahr später einen Nachfolger für Thomas Gsella suchten, wünschten sie sich «keinen Visionär, sondern einen jungen Trottel, der bereit ist, die besten Jahre zu verplempern».

Der damals 26-jährige Fischer nahm die Herausforderung an und produziert als Chefredaktor mit einem Kernteam von zwölf Leuten das Magazin und den Onlineauftritt. Daneben ist er Vorstandsmitglied der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz: Die Partei.

Wuchsen Sie auch in einem solchen Umfeld auf?

Ja, meine Eltern waren von der Alternativbewegung geprägt und sehr liberal. Bei uns zu Hause lagen alte Jahrgänge der «Titanic»-Vorgängerin «pardon» auf, ebenso das «Mad».

Ihr Vater war Arzt. Kamen Sie über sein Wartezimmer zur «Titanic»?

Nein. Die «Titanic» liegt weniger in Arztpraxen auf, dazu ist sie wohl doch zu kontrovers und aufregend. Aber unter meinen Mitschülern kursierte immer wieder mal ein Heft – was bei den Lehrern gar nicht gern gesehen war. Ich besuchte ein sehr konservatives, katholisches Gymnasium in Regensburg, einer Stadt, die man auch das «Rom des Nordens» nennt.

Erklärt das Ihr Faible für reli­giöse Themen?

Mitunter, ja. Ich litt unter dem Katholizismus – eine Atmosphäre der Angst, der Denunziation und der Niedertracht. Ein Religionspädagoge konnte beispielsweise behaupten, dass in seinen Augen Homosexuelle keine Lehrer werden dürfen. Die Lust an der Religionskritik wird aber von der gesamten Redaktion getragen. Galt diese in den 90ern noch als gestrig, so hat sie seit dem Karikaturenstreit 2006 neuen Schwung bekommen.

Damals zog eine Mohammed-Karikatur in Dänemark heftige Reaktionen nach sich.

Genau. Religiöse Witze müssen gar nicht besonders stark sein, stellen wir fest. Die Fundamentalisten, seien es Christen oder Muslime, sind übers Internet immer besser organisiert. Was uns nur noch stärker animiert, uns der Religion zu widmen.

Womit Sie auch Aufsehen erregen. Im vergangenen Jahr reagierten Sie auf die «Vatileaks»-Affäre, indem Sie den Papst mit befleckter Soutane abbildeten. Dazu stellten Sie die Überschrift: «Die undichte Stelle ist gefunden!» Das zog sogar eine Klage nach sich.

Ja, ein Erzbischof knöpfte sich dieses Thema vor und besorgte sich eine päpstliche Vollmacht, um uns mit einer einstweiligen Verfügung aufzuhalten. Damit verhalf uns die katholische Kirche zu grosser Publizität. Sogar in Polen oder Amerika wurde darüber berichtet.

Erhielten Sie Morddrohungen?

Ja, es gab durchaus Faxe mit Totenköpfen.

Als der Vatikan klagte: Klopften Ihnen Kollegen auf die Schulter?

Ja, wir erhielten Komplimente von anderen Satirikern – und freuten uns auch, weil die letzte Klage schon ein paar Jahre zurücklag.

Der Werbeeffekt ist für ein Satiremagazin wohl unbezahlbar?

Richtig. Das rettet «Titanic» auch immer wieder durch das tiefe Tal der Misserfolge und der Titel, die sich nicht so gut verkaufen am Kiosk.

Wie hoch ist denn die Auflage?

Gleichbleibend schlecht (lacht). Um die 70 000 Exemplare. Wir erleben wie die meisten Magazine den Niedergang der Kiosk-Verkäufe, gleichzeitig erhöht sich aber erfreulicherweise die Anzahl Abos. Vor zwanzig Jahren war ein Abonnement die Ausnahme, heute ist es die Regel.

Die Schweiz hat mit dem «Nebelspalter» ein eigenes, traditionsreiches Satiremagazin. Allerdings sieht man das meist nur noch in Arztpraxen aufliegen.

Jaja, das höre ich von Schweizer Kollegen auch immer. Mir scheint, man kenne den «Nebelspalter», aber niemand liest ihn, weil der Humor zu gemütlich ist. Uns freuts: Was die Verkäufe in der Schweiz angeht, können wir uns nicht beschweren; wir verkaufen etwa 5000 Exemplare in der Schweiz, darunter 1000 an Abonnenten.

Kennen Sie unsere Satireszene?

Nein, nicht wirklich.

Schweizer Humor?

Ist für mich sehr subtil.

So wie Emil?

Emil?

Ja, Emil. Für viele Deutsche der bekannteste Schweizer Komiker.

Nee, den kenn ich nicht.

Auch eine Aussage.

Ich verfolge die Szene nicht. Mir fallen auch nur kleine Unterschiede auf, was den Humor betrifft. Die Deutschen haben etwa die Eigenart, eine Pointe mit grossem Gelächter anzukündigen und vorzubereiten. Die Schweizer versuchen dagegen, keine Miene zu verziehen und die Pointe aus sich selbst heraus wirken zu lassen.

Mit Redaktionskollegen tingeln Sie auch durchs Land und machen Lesungen.

Ja, weil es Spass macht und wir so neue Leute kennenlernen. Dabei testen wir auch, ob wir die Dinge nur selbst komisch finden. Einmal im Monat machen wir in Frankfurt eine «Titanic-Preview», an der wir das neue Heft vorstellen und schauen, was funktioniert und was nicht, ob Texte ihre Längen haben und Witze verstanden werden.

Sie sind mit sozialen Medien aufgewachsen, haben auch ein Buch mit dem Titel «Generation Gefällt mir» geschrieben. Warum nutzt «Titanic» diese Kanäle nicht stärker?

Ich nutze sie gern und bewege mich auch in den sozialen Netzen. Als «Titanic» aber verweisen wir auf unsere Homepage, wenn etwas aktuell ist. Uns auf sozialen Netzen anzubiedern, widerstrebt uns aber, denn wir sind eigentlich ziemlich asoziale Typen, auch etwas arrogant. Wir haben eine grosse Distanz zum Leser. Wir veröffentlichen ja auch keine Leserbriefe, antworten eigentlich nur, wenn sie uns gefallen oder bedeutsam sind. Und vor allem: Wir denken nicht über den Leser nach. Wir machen die Dinge, die uns selber gefallen – und der Leser darf uns dabei zugucken. Das ist unser Selbstverständnis.

Eine ziemlich schräge Haltung in einer Zeit, da alle Medien den Leser stärker einbinden wollen.

Darauf haben wir nun wirklich keine Lust. Die Kommentare, die wir auf Facebook für unsere Inhalte erhalten, genügen uns vollauf. Die sind an Unoriginalität und Langeweile nicht zu überbieten. «Nicht lustig», «Hat das der Praktikant geschrieben?», usw. – darauf können wir gerne verzichten.

Bricht Ihnen so nicht eine Generation weg, die mit einem neuen Medienverständnis aufwächst?

Ich glaube nicht. Wenn ein Satiriker sich derart an sein Publikum ranschmeisst und sich mit ihm verbündet, wird das sehr schnell populistisch und bekommt etwas Hofnarrenhaftes.

Sie wollen gar nicht gefallen?

Wir wollen vor allem stören. Unangenehm und hässlich sein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13

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