Im neuen Basler Kulturleitbild, das die Förderpolitik der kommenden fünf Jahre bestimmt, fehlen überraschende Visionen und mutige Schwerpunktsetzungen. Grosses Gewicht erhalten unternehmerische Fragen: In Controlling- und Potenzialgesprächen sollen die Leistungsvereinbarungen mit den Subventionsempfängern künftig stärker überprüft werden. Basels Kulturchef Philippe Bischof über das neue Kulturleitbild.
Herr Bischof, was bringt das neue Kulturleitbild 2012–2017?
Es bringt zunächst eine Bestandesaufnahme über die Vielfalt und die Qualität der kulturellen Angebote. Es gibt Antworten auf Fragen wie «Welche Kultur haben wir hier in Basel?» und «Worüber verhandeln wir eigentlich?».
Das wissen die Leute doch schon.
Aber nur teilweise. Vor allem war das eine Forderung aus der Vernehmlassung, die wir ernst genommen haben. Selbst verwaltungsintern wissen manche Leute nicht genau, wofür wir alles zuständig sind. Einige waren etwa überrascht, dass der Kunstkredit Teil der Abteilung Kultur ist. Wir haben insgesamt versucht, eine ehrliche Bestandesaufnahme zu machen und Akzente zu setzen: Schwerpunktmässig bei den Museen und bei den Orchestern, wo sehr viele Themen anstehen, aber auch bei der Jugendkultur und der freien Szene. Und wichtig ist uns auch die Entwicklung der Publikumsstruktur. Wir wollen wissen, wer welche Veranstaltungen besucht und für wen die Angebote sind – und wir wollen unsere Förderpolitik auch danach ausrichten.
Wird es also ungemütlicher für die Subventionsempfänger?
Ich hoffe nicht ungemütlicher, aber es wird vielleicht etwas anstrengender werden. Denn wir machen ein klares Agenda-Setting: bei den Museen, bei den Orchestern, bei der Vermittlung. Es wird künftig nicht reichen, wenn ein Subventionsempfänger – zum Beispiel in Fragen der Kulturvermittlung oder beim Einbezug der Migrationsbevölkerung – sagt, wir werden mal schauen. Wir erwarten da eine aktive Auseinandersetzung.
Heisst das, dass die Abteilung Kultur vermehrt aktiv ins Kulturgeschehen eingreifen wird?
Nein, eingreifen dürfen wir schon aus gesetzlichen Gründen nicht. Wir wollen aber die Diskussion über Themen steuern, ohne in die Inhalte einzugreifen, und klare Aufträge mit den Subventionen verknüpfen. Bei den Museen heisst das etwa, dass ein Museumskonzept erarbeitet wird, das sich auch an Publikumsbedürfnissen orientieren muss. Gegenseitige Bezüge zwischen den Institutionen dürfen nicht nach dem Zufälligkeitsprinzip funktionieren. Die Museen sollen ihre Arbeit dort koordinieren, wo es Möglichkeiten gibt. Wichtig ist mir auch, dass gesellschaftliche und kulturelle Alltagsfragen in die Museumsarbeit und die anderer Institutionen einfliessen.
Schaut man sich im Leitbild die einzelnen Arbeitsfelder respektive Kultursparten an, dann wird das Ganze sehr oberflächlich: Wo sind überraschende Ideen, die Neues ermöglichen könnten?
Das Leitbild ist kein Ankündigungspapier. Wer das erwartet hat, wird enttäuscht – diese Kritik kann ich nachvollziehen. Aber wir wollten uns nach dem Leitungswechsel nochmals einen Überblick über alle Bereiche verschaffen; und auf keinen Fall wollten wir Visionen in die Welt setzen, die wir dann aus Budgetgründen nicht umsetzen können. Zudem ist das Leitbild nicht der Ort für den Entwurf konkreter Projekte – schliesslich könnten diese alle beim Regierungsrat oder spätestens im Grossen Rat durchfallen, sobald sie budgetrelevant werden. Wir setzen lieber schrittweise um.
Wo aber setzt das Leitbild konkrete qualitative Massstäbe an?
Schauen Sie, wir haben beim Verfassen des Leitbilds zum Beispiel länger über die Literatur gesprochen …
… die im ersten Entwurf des Leitbildes gar nicht drinstand …
… genau. Die Literatur ist in Basel zur zeit nicht herausragend. Wir hätten schreiben können: «Literatur ist in Basel nicht relevant» – aber das wäre völlig falsch gewesen. Denn Literatur ist in einem bestimmten Umfeld sehr wichtig und gerade in jungen Bereichen sehr aktiv, etwa der Slamszene. Es geht immer auch um die Wertschätzung und die (symbolische) Achtung der einzelnen Sparten.
Sie gelten als Macher und nicht als Verwalter. Das Verfassen dieses Leitbilds muss für Sie eine Strafaufgabe gewesen sein.
Nein. Wir mussten diese Arbeit aus der Vorgängerzeit übernehmen, das war zwar schwierig. Aber andererseits hat uns diese Aufgabe sehr geholfen, einen echten Überblick über die Basler Kulturszene zu gewinnen. Es ist zu vielen fruchtbaren Gesprächen innerhalb des Departements und mit vielen Kulturschaffenden gekommen.
Im Leitbild ist viel von «Qualitätsmanagement», «Controlling- und Potenzialgesprächen» die Rede. Dieser Hang zur Marktlogik wurde schon in der Vernehmlassung heftig kritisiert. Sie haben sich offenbar nicht beeindrucken lassen.
Nein, denn eine Systematik erachte ich hier als überfällig. Wir wollen mit den geförderten Institutionen jährlich die Zahlen anschauen, über inhaltliche Entwicklungen reden und ihnen konkrete Zielsetzungen abverlangen.
Sie wollen Veranstalter verpflichten, Statistiken über ihre Be-triebstätigkeit zu führen – das wird einige Institutionen überfordern und Ihnen den Vorwurf einbringen, die Kultur zu bürokratisieren und zu ökonomisieren.
Wir wissen um diese Befürchtung. Aber ich kann ein Beispiel geben, wo das bereits funktioniert: Als die Kaserne zuletzt gerettet wurde, wurden ihr sehr strenge Auflagen im Bereich Controlling gemacht. Die Kosten sind gering, die Erfassung macht aber grossen Sinn. Ich bin im Kasernen-Vorstand und weiss aus erster Hand, dass das Leitungsteam sehr froh ist darüber, jederzeit den Überblick über Ausgaben, Einnahmen, Zuschauerzahlen zu haben. So kann ein Betrieb während der laufenden Saison auf Entwicklungen reagieren. Und wir wollen keinen riesigen Verwaltungsaufwand erzeugen.
Und wenn jetzt ein Kulturbetrieb sein Jahresziel nicht erreicht: Drehen Sie den Geldhahn zu?
Sicher nicht im ersten Jahr, nein. Die Ursachen müssen aber erkannt werden. Deshalb interessieren uns ja nicht nur Zahlen, sondern auch qualitative Entwicklungen. Ich möchte eine Vergleichbarkeit haben, die ohne grosse Aufwände erstellt werden kann. Die Abteilung Kultur wird neu auch einen Geschäftsbericht schreiben und darin inhaltlich Bilanz ziehen. 2013 möchten wir mit dem Monitoring beginnen. Die Furcht, dass wir als Folge der Ergebnisse kürzen wollen, verstehe ich. Es kann kulturpolitisch aber von Vorteil sein für eine Institution, wenn man Klarheit über genaue Zahlen hat und weiss, was gut läuft und was nicht, wo konkret angesetzt werden muss.
Ist es denkbar, dass Sie auch so weit gehen wie Pius Knüsel im Buch «Kulturinfarkt» und zum Beispiel mehrere Museen schliessen und Gelder neu umverteilen?
94 Prozent der Kulturgelder sind gebunden, diese können wir nicht einfach so umverteilen. Zudem fehlen mir in diesem Buch konkrete Lösungen, jenseits der Polemik. Was die Museen betrifft, ist ja schon viel in Bewegung: Zum Beispiel beim Historischen Museum, wo das Kutschenmuseum geschlossen wird und die neue Direktorin zu entscheiden hat, was mit dem Haus zum Kirschgarten passieren soll. Wir prüfen auch, was sich beim Antikenmuseum und der Skulpturenhalle realisieren lässt. Damit einhergehend kann man sich überlegen, ob ein Potenzial für ein neues Museum besteht. Wichtig ist jetzt aber für den Moment, dass es überhaupt einmal ein Museumskonzept gibt.
Man hätte aber auch unbequemere Fragen aufwerfen können, die zu Debatten geführt hätten.
Es ist ja nicht so, dass wir im Leitbild keine Fragen stellen – etwa jene, welche Rolle das Stadttheater in der Gesellschaft einnimmt. Aber klar, man kann uns vorwerfen, das Leitbild sei zu wenig mutig – damit kann ich leben. Es ist eine Beschreibung der aktuellen Situation, mit Blick nach vorne. Ein Regierungsdokument, bei dem jedes einzelne Wort geprüft wurde. Grundsätzlich müssen wir uns an Subventionsverträge halten und können innerhalb bestimmter Fristen gar nichts umverteilen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12