Kommunikationsprofessorin Miriam Meckel sagt, was wir bei allen technologischen Fortschritten nicht vergessen sollten – und was uns die Zukunft bringt.
Ihr Lebenslauf vermittelt den Eindruck einer rastlosen Frau: Studium der Publizistik, Sinologie, Politikwissenschaft und Jura. Kaum dreissig, wird Miriam Meckel in Deutschland als jüngste Professorin gefeiert. Nach Stationen beim Fernsehen und in der Politik zieht es die Kommunikationsexpertin an die Uni St. Gallen, wo das hohe Tempo seinen Preis fordert: Burn-out. Meckel schreibt ein Buch darüber und sorgt damit für Schlagzeilen – ebenso mit ihrer Partnerschaft mit der Polittalkerin Anne Will.
In ihrem aktuellen Buch «Next», ihrem ersten Roman, zeichnet Miriam Meckel ein Szenario, in dem Computer die Menschen beherrschen. An der Uni St. Gallen ist das bereits der Fall: Wer klingelt, wird mit einer Computerstimme verbunden und muss warten, bis sich die elektronische Türe öffnet. Doch nichts geschieht. Erst als uns per Zufall ein Mensch sieht und die Falle drückt, kommen wir ins Gebäude hinein. Dort treffen wir auf eine umtriebige, gut gelaunte Miriam Meckel.
Wann sind Sie heute aufgestanden?
Um halb sieben.
Wie viel Zeit verging, bis Sie erstmals aufs Handy schauten?
Etwa 40 Sekunden. Mein iPhone war mein Wecker.
E-Mails schauen Sie sich dann noch keine an?
Nein. Ich stehe extra früher auf, bevor ich loslegen muss mit Duschen und anderen Sachen, um eine Stunde lang zu lesen. Manchmal einfach nur einen Roman, aber natürlich auch Zeitungen.
Also nur Gedrucktes?
Ja. Aber ich lese auch viel zeitgenössische US-Literatur auf dem elektronischen Kindle. Der ist für mich aber wie ein Buch. Insofern ist das wirklich «deep reading», was ich geniesse. Denn ich bin absolut anfällig, mich abzulenken – wenn beim iPad etwas blinkt oder wenn ich E-Mails anschauen kann, dann tue ich das. Das nervt mich. Es holt mich immer wieder aus dem Denk- und Leseprozess raus.
Sie haben in einem Ihrer Bücher beschrieben, dass Menschen nicht gemacht sind für das Multitasking. Man hört immer, Frauen könnten das noch eher als Männer.
Dass Frauen besser multitasken können, habe ich immer wieder gelesen und gerne benutzt als schönes Beispiel für etwas, das Frauen eindeutig besser können als Männer. Nur stimmt es leider nicht.
Der Mensch ist nicht dafür gebaut, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen?
Nein, eigentlich nicht. Es kommt natürlich auf die Tätigkeit an. Essen und fernsehen, das schaffe ich gleichzeitig, oder ein Auto steuern und schalten. Bei konzentrationsintensiveren Aufgaben ist das Gehirn überfordert. Bislang müssen wir davon ausgehen, dass das Gehirn wie der Computer eine Aufgabe nach der anderen abarbeitet. Weil Computer in einem ungeheuren Tempo hin und her wechseln, haben wir das Gefühl, sie würden Aufgaben gleichzeitig erledigen. Das menschliche Gehirn versucht das auch, verliert dann aber enorm an Zeit und Produktivität. Wenn Sie permanent im Kopf «zappen», dann brauchen Sie sehr viel länger, als wenn Sie einfach eine Aufgabe nach der anderen abarbeiten.
Haben Sie sich das auch abtrainieren müssen?
Ja, ich war früher extreme Zapperin. Ich dachte, ich könne Zeit sparen, wenn ich beim Telefonieren noch kurz den Koffer packe oder die Spülmaschine ausräume. Ich musste aber feststellen, dass mich das rasend macht. Also habe ich versucht, mir das komplett abzugewöhnen. Seitdem bin ich viel entspannter und schneller.
Greifen Sie dabei auf Tricks zurück, indem Sie etwa das E-Mail-Programm schliessen?
Ein bisschen aktiven pragmatischen Selbstbetrug mache ich auch. Ich bin da anfällig, ungelesene Mails machen mich unruhig. Darum leg ich die Geräte weg und schalte alle Alarmtöne ab. Da blinkt nix, da klingelt nix.
Glauben Sie, das Multitasking war ein Grund für Ihr Burn-out?
Sicher auch, wobei man immer sagen muss: Die Technik ist nicht schuld daran. Die Entscheidung trifft der Mensch. Wir werden ja nicht gezwungen, irgendwas zu machen. Ich war gerade in Buenos Aires. Was ich mir da alles angeguckt habe, fünf Teile der Stadt in fünf Tagen, dazu noch kulturelle Events … da frage ich mich immer: Wie war das früher? Wir haben einfach weniger gemacht. Das Grundproblem ist, dass die Gesellschaft sich durch Technologien enorm selbst beschleunigt.
So sehr, dass man irgendwann nicht mehr mitkommt?
Das ist ein Auslöser, der zu einer Überforderung oder Erschöpfung führen kann. Das andere ist, dass unsere Gesellschaft sehr stark auf Leistung getrimmt ist, sie es als selbstverständlich ansieht, dass eine Person immer funktioniert. Dieses Wort «funktionieren» benutze auch ich relativ häufig – und versuche mich dann zu korrigieren, weil wir natürlich nicht Funktionen sind, sondern Menschen. Wir sind nicht bloss eine Beziehung zwischen Problem und Problem-lösung, sondern wir sind manchmal ganz zweckfrei auf der Welt, einfach so da. Und das ist auch okay.
Sie sagen: Die Technik zwingt uns nicht, wir entscheiden alles selber. In Ihrem aktuellen Buch «Next» klingen Sie weitaus pessimistischer: Die Menschen werden darin vollständig von Computern kontrolliert. Glauben Sie, dass wir das noch abwenden können?
Ich hoffe das sehr. Es ist ein Gedankenspiel: Ich wollte ein relativ wildes Szenario entwerfen, das so eintreffen wird, wenn wir uns nicht klar dagegen wehren.
Das Szenario ist gar nicht so wild.
Interessant, dass Sie das sagen. Bisher sagten mir viele Leute: «Ach komm, so kommt das doch nie!» Mir ging es genauso: Ich glaubte zuerst, ich würde über eine weit entfernte Zukunft schreiben. Inzwischen bin ich da nicht mehr so sicher. Eine Literaturagentin sagte mir, spätestens da, wo ich über die Chip-Implantate schreibe, werde es wirklich absurd.
Dabei gibt es bereits Forschung zu Implantaten, die alles aufzeichnen, was der Mensch macht.
Genau: Die Technologien sind schon in der Entstehung – oder bereits da. IBM erklärt in seinen jüngsten Prognosen für die nächsten fünf Jahre: Gedankenlesen ist keine Science-Fiction mehr. Deren Beispiel lautet: Zum Telefonieren braucht man kein Gerät mehr. Man denkt an jemanden und schon steht die Verbindung. Genau dasselbe Szenario habe ich für mein Buch entwickelt und gemerkt: So schnell kann es gehen, dass Fantasie und Realität verschmelzen.
Sie beschreiben in Ihrem Buch wie Algorithmen den Menschen komplett kontrollieren. Facebook, Google und Amazon wissen viel über uns. Haben wir uns den Maschinen bereits ausgeliefert?
Wir sind ihnen eigentlich gar nicht ausgeliefert. Ob ich ein Buch bestelle, weil Amazon es mir aufgrund früherer Käufe empfiehlt, ist ja immer noch meine Entscheidung. Nur: Wir sind bequem, wir lieben die Sachen, die wir kennen. Das ist die Anfälligkeit des Menschen.
Optimistische Fatalisten sagen: Wenn Milliarden Menschen ihre Spuren im Netz hinterlassen, ist es gar nicht möglich, im Einzelfall alles auszuwerten.
(lacht) Ich würde mich bei meinen persönlichen Daten nur ungern auf den Zufall verlassen, ob jemand etwas mit denen anstellen kann oder nicht. Der Schutz der eigenen Daten ist Voraussetzung für Privatheit. Und ohne Privatheit gibt es keine Freiheit.
Viele Menschen wünschen sich gar nicht primär Freiheit, sondern sind froh, wenn eine höhere Macht sie leitet, sei es Gott oder ein allmächtiger Computer.
Das stimmt. Doch dann müssten wir schon bei der Geburt entscheiden können, ob wir dieses komplett fremdgesteuerte Leben annehmen oder darauf verzichten möchten. Ich fände es furchtbar zu wissen, dass alles, was passiert, vorbestimmt ist. Denken Sie an eine Information wie: Sie kriegen mit 63 mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent Alzheimer. Hinter das Wissen kommen Sie nie mehr zurück. Ein Albtraum.
Der menschliche Protagonist in Ihrem Buch würde sich dafür entscheiden, es zu wissen.
Genau, er sagt: «Ich lebe in der besten aller Welten, weil ich mit allen verbunden bin, ich kann auf alles zugreifen und weiss alles aus der Vergangenheit und der Zukunft.» Philosophisch betrachtet könnte man von einer Voll-endung unserer Vergöttlichung sprechen. Man kann aber auch sagen: grauenhaft. Mein Vater findet es eher grauenhaft. Als er das Buch las, zweifelte er an meinem Gesundheitszustand. (lacht)
Aktuell will die Politik das Internet stärker regulieren, um das Urheberrecht zu schützen. Wo stehen Sie?
Mittendrin. Wir sollten geistige Kreativität in der Gesellschaft als Lebens- und Wirtschaftsmodell ermöglichen. Nur mit den Rahmenbedingungen des heutigen Urheberrechts wird das auf Dauer nicht gelingen.
Was würden Sie tun?
Wäre ich Politikerin, würde ich die Internetcommunity einbinden: um eine gute Idee zu finden, um den politischen Prozess zu legitimieren. Ich verstehe nicht, warum das nicht stärker passiert.
Dass sich eine junge Generation über soziale Medien politisch einmischt, kennen wir vom arabischen Frühling 2011.
Ja, aber Technik allein ist nie schuld und kann nichts bewegen. Es braucht immer Menschen, die sie einsetzen. Auf den Tahrir-Platz zu gehen und sich da hinzustellen, ob mit iPhone oder Megafon, ist eine andere Sache als zuhause am Rechner zu sitzen. Es braucht Mut und Zivilcourage, um überhaupt etwas loszutreten. Ein Blick auf Tunesien und Ägypten zeigt aber auch: Es reicht nicht, eine technologiebasierte Revolution zu entfachen. Irgendwann muss eine Institutionalisierung folgen, müssen eine neue Regierung, eine Verfassung, demokratische Verfahren her. Wir sind noch keine reine Kommunikationsgesellschaft, die mit Tweets alles verändert und dann auf Facebook geliked wird.
Sie sprechen eine Kritik an, die immer wieder geäussert wird: Man glaubt, mit einem Mausklick habe man bereits etwas bewirkt. Nehmen uns soziale Medien die revolutionäre Kraft?
Sie entheben uns auf jeden Fall nicht davon, unseren Hintern zu bewegen. Ein typisches Beispiel in der Schweiz war die Minarett-Initiative: Im Vorfeld gab es im Internet ein paar versprengte Gruppen mit Anhängern dafür und dagegen. Nach der Abstimmung, die entgegen der Prognosen ausfiel, entstand eine Facebook-Gruppe: «Ich schäme mich für die Minarett-Initiative.» Binnen kurzer Zeit traten Tausende Anhänger bei. Politisch änderte das nichts mehr.
Sie waren in Nordrhein-Westfalen Staatssekretärin unter Peer Steinbrück – jenem Mann, der später die Schweiz mit seinem «Indianer-Vergleich» empörte. Hätten Sie ihm davon abgeraten?
Als ich das Zitat las, lebte ich bereits in St. Gallen und verstand die Reaktion der Schweizer. Ich fand den Vergleich nicht gelungen, was ich Peer Steinbrück auch gesagt habe. Als Deutscher sollte man mit der Kavallerie grundsätzlich vorsichtig sein, in Taten und Worten.
Ein anderer Vergleich Deutschland–Schweiz: Warum hat sich Bundespräsident Wulff länger gehalten als Nationalbankpräsident Hildebrand?
Es ist schwer zu verstehen, warum Wulff sich das so lange angetan hat. Er hätte entweder sehr zügig alle Karten auf den Tisch legen oder zurücktreten müssen. Die letzten Wochen waren ein unwürdiges Schauspiel.
In Basel stehen Regierungsratswahlen an. Ein Kandidat, Baschi Dürr, lebt als PR-Agent bei Farner auch von politischen Propaganda-Aufträgen. Zugleich sitzt er in der Finanzkommission. Sollte er seine Mandate offenlegen vor der Wahl?
Ich kenne den Fall nicht en detail, aber bei so einer Konstellation ist Transparenz wichtig. Man muss wissen, wo Abhängigkeiten oder Interessenkonflikte bestehen könnten und in welcher Rolle jemand aktiv ist. Dann lässt sich entscheiden, ob ihm Vertrauen gebührt oder ob das schwierig sein könnte.
Rhetorische Feindseligkeiten haben in der Schweizer Politik zugenommen. Wie nehmen Sie das wahr: Sind die Schweizer gehässiger geworden?
Nein, das Gefühl habe ich gar nicht. Es gibt sicher einige Veränderungen in der politischen Kommunikation. Christoph Blocher und die SVP haben die Spielregeln schon verändert, weg von der kommunikativen Konkordanz. Die Art des Umgangs in der Schweiz ist aber noch immer weniger angriffslustig und aufgeheizt als in Deutschland oder in den USA. Das finde ich eher sympathisch.
Noch immer?
Ja. Man kann von der Schweiz einiges lernen, etwa, was direkte Demokratie bedeutet. In Deutschland hat «Stuttgart 21» diesbezüglich wieder grosse Diskussionen ausgelöst. Ich glaube nicht, dass die grössten Herausforderungen für die Schweiz im eigenen politischen System liegen, sondern in der Rolle, die das Land im Prozess der Globalisierung einnehmen will. Da entsteht immer mehr Druck: Wie stark will man mitgehen, welchen Regeln unterwirft man sich. Wie schwierig das ist, zeigen ja die Fälle der UBS oder jetzt auch Wegelin in der Auseinandersetzung mit den USA.
Wurde Ihr Geld nun auch zu Raiffeisen transferiert?
(lacht) Nee, ich gehöre eher nicht zur Kernzielgruppe von Wegelin.
Ist die Schweiz, die sich immer als Sonderfall verstand, von einer Realität eingeholt worden, die ihr nicht so liegt?
Die Vorteile der Isolation werden immer geringer. Deshalb werden die Schreie jener, die an alten Werten festhalten möchten, zunehmend lauter. Die SVP ist mit ihrem Abschottungskonservatismus für die Schweiz auch ein Selbstausbremsklotz. Bei den letzten Wahlen hat sich das gerächt. Ich erlebe viele Schweizer, die sehr kritisch über diese Fragen nachdenken: Wie stark nähert sich die Schweiz der EU an? Wie stellt sie sich im globalisierten Finanzmarkt auf?
Warum sollten wir uns dennoch auf die Zukunft freuen?
Weil wir nicht wissen, wie sie aussieht.
Aber das kann ja auch Angst machen.
Nein. Das Schöne ist doch, dass die Zukunft uns überraschen kann.
Zur Person Miriam Meckel (44) ist Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen und Faculty Associate am Berkman Center for Internet & Society der Harvard University, USA. Ihre Karriere begann die in Hilden (D) geborene Meckel als Journalistin. Nach ihrer Berufung an die Universität Münster war sie vier Jahre lang politisch tätig, als Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen, zuletzt unter Peer Steinbrück. Ihre letzten drei Bücher, «Das Glück der Unerreichbarkeit» (2007), «Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout» (2010) und «Next – Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns» (2011), waren Bestseller.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12