«Wir wollen die Hörer nicht festnageln»

Lisette Spinnler und Christoph Stiefel gehören zu den auffälligsten Figuren im zeitgenössischen Schweizer Jazz. Am Jazzfestival Basel präsentieren sie ihr Projekt «Bima Sakti».

Klangmaler, die sich ideal ergänzen: Christoph Stiefel und Lisette Spinnler. (Bild: Tabea Hüberli)

Lisette Spinnler und Christoph Stiefel gehören zu den auffälligsten Figuren im zeitgenössischen Schweizer Jazz. Am Jazzfestival Basel präsentieren sie ihr Projekt «Bima Sakti».

Die Baselbieterin Lisette Spinnler ist eine der aussergewöhnlichsten Klangmalerinnen unter den Schweizer Sängerinnen. Christoph Stiefel hat mit seinen «Isorhythms» und in Teamworks von Vollenweider bis Charlie Mariano die Grenzen seines Pianos ­erweitert. Ein neues Traumpaar des Schweizer, ja was eigentlich – Jazz?

Sie haben sich mit Ihrem neuen Album «Bima Sakti» in eine sehr reduzierte Besetzung gewagt. Was macht den Reiz der Duo-Arbeit für Sie aus?

Lisette Spinnler: Durch die intensive Auseinandersetzung entsteht eine ganz spezielle Dynamik. Christophs Flügel deckt die ganze Band ab, Harmonien, Melodien, Rhythmik, Bass. Das gibt mir als Sängerin viel Platz für Klangvariationen. Und die Diskussion über die Musik geht sehr in die Tiefe: Wir überlegen uns bei jedem einzelnen Stück, wo wollen wir hin, welchen Sound wollen wir erzeugen?

Ihre gemeinsame Arbeit geht sehr weit weg vom Standardjazz, greift Einflüsse aus vielen anderen Kulturen auf. Würden Sie Weltmusik dazu sagen?

Christoph Stiefel: Ich nenne es Weltmusik-Jazz, wenn man es benennen muss. Das ist die Richtung, die uns momentan am meisten interessiert. Grundsätzlich würde ich unsere Duo-Arbeit aber stilistisch nicht festlegen, sie ist völlig entwicklungsfähig. Deshalb haben wir für die CD auch ein Cover gesucht, auf dem es viel Unkonkretes, Schemenhaftes gibt. Man sieht nur ein Boot, dazu viel Himmel, Wasser, Weite.

Die Musik lässt viel Platz für Interpretation …

Spinnler: Ja, es gibt abgesehen von zwei Stücken auch keine Lyrics.

Diese Weite spiegelt sich auch im Titel wider, «Bima Sakti» ist Indonesisch und bedeutet «Milchstrasse», ein denkbar weiter Ort. Also schon keine Weltmusik mehr, sondern galaktische Musik?!

Stiefel: Wir fanden, dass das ein gutes Sinnbild dafür ist, wie die Musik jetzt klingt. Es ist weder schweizerisch noch urban, sondern zu beiden das krasse Gegenteil, die Exotik spielt mit hinein. Mehr wollten wir nicht fixieren, der Hörer soll das selbst herausfinden.

In Ihrer Arbeit ist die klassische Aufteilung von Stimme und Begleitung aufgelöst, bis hin zum Rollentausch, wie in Ihrer Adaption von Anouar Brahems «Astrakan Café»: Das Piano übernimmt die Melodie, die Stimme den Rhythmus.

Spinnler: Uns ist die Gleichberechtigung wichtig, meistens jedenfalls (lacht). Als klassische Sängerin zu agieren, mit Thema und Solo, das war für mich schon immer langweilig. Kommt vielleicht daher, dass ich mit viel Instrumentalmusik gross geworden bin. Ich finde es spannend, auch mal den Bass abzudecken, ins Perkussive zu gehen, Melodien zu singen, die ungewöhnlich sind.

Es gibt bei Ihnen immer viel Lautmalerisches, Sie singen in einer Fantasiesprache. Haben Sie dafür Referenzpunkte in der Jazzgeschichte?

Spinnler: Nicht den Scat, der ist verankert in der Standardsprache, bei Ella Fitzgerald. Da orientiere ich mich eher an Bobby McFerrin. Es ist ein sehr freies Singen, sehr direkt, meine Stimme muss nicht über den Fremdkörper einer Sprache gehen. Die Silben, die ich singe, sind nicht festgelegt, sie entstehen aus dem Moment, aus der Intuition. Dennoch ist es mit der Zeit so, dass man eine Art Sprache entwickelt.

Singen auf Schweizerdeutsch kam für Sie nie in Frage?

Spinnler: Ich habe es probiert auf der Bühne, aber es geht nicht. Für mich ist das wie mit Meeresfrüchten: Ich kanns einfach nicht runterschlucken! Es ist mir so fremd, es tönt so komisch. Vielleicht mit einer A-cappella-Gruppe, aber verbunden mit Jazz: Nein! Da ist die Fantasiesprache perfekt, ich kann mir Vokale und Konsonanten so zusammenstellen, wie ich will. Ich habe das schon als Kind gerne gemacht, mit den Tieren habe ich früher so geredet, in einer Sprache, in der es nur auf den Tonfall ankam.

Sie haben im «Bima Sakti»-Programm neben den Einflüssen aus Afrika und dem Nahen Osten eine sehr auffällige Coverversion: «Jolene» von Dolly Parton. Wie kommt man in diesem freien Musikbereich ausgerechnet auf die Grande Dame des Country?

Stiefel: Durch Zufall: Ich habe als Staatsexperte Gesangsprüfungen an der Hochschule abgenommen. Da kam eine junge Sängerin mit einem ganz erstaunlichen Repertoire, und ich dachte: Wow, was für ein wahnsinniges Stück! Ihre «Jolene» war aber weniger von Dolly Parton inspiriert als von der Version, die Susanna & The Magical Orchestra aufgenommen haben. Das wäre vielleicht auch etwas für Lisette und mich, dachte ich. Unser Cover geht nun nochmals in eine ganz andere Richtung.
Spinnler: Der Text ist sehr bitter! Das kommt in der Dolly-Parton-Version gar nicht so rüber, bei uns hingegen schon. Und einen ganz ähnlichen Text hat auch das Stück, das wir von Youssou N’Dour übernommen haben.
Stiefel: Der Typ dort singt für eine Frau, die aber total in einen anderen verliebt ist. Und er sagt: Wenn du ihn so liebst, dann musst du ihn loslassen. Denn er hat schon Familie, und du darfst das nicht zerstören.

Frau Spinnler, neben Youssou N’Dour, den Sie in den hohen Lagen verblüffend adaptiert haben, findet man auch ein türkisches Lied. Eignen Sie sich die verschiedenen Vokaltechniken Ihrer internationalen Kollegen stilgetreu an?

Spinnler: Gar nicht. Ich höre einfach sehr viel Musik aus anderen Kulturen, mit geschlossenen Augen, lass es in mich hinein und dann singe ich das spontan. Im Falle von «Burasi Mustur» singe ich tatsächlich einen türkischen Text. Ein Freund aus der Türkei meinte: «Wunderschön, aber es klingt ja, als ob ich Deutsch rede!» Um das auf den Punkt zu bringen, wie ein türkischer Sänger es machen würde, müsste man ins Land und dort in die Schule. Das traditionelle Vorbild für dieses Stück wird übrigens viel schneller gespielt. Ähnlich wie bei Dolly Parton tönt es völlig neu.
Stiefel: Es gibt eigentlich nur die Basslinie und drei oder vier Akkorde auf dem Piano. Jegliche Jazzakkorde würden die Stimmung kaputt machen. Wir arbeiten da viel mit Farben, wie überhaupt immer in diesem Programm. Ich dämpfe das Piano ab, spiele mit Kette – das gibt eine Farbigkeit, die «orientalisch» anmutet.

Herr Stiefel, charakteristisch für Ihre Arbeit sind die «Isorhythms». Angelehnt an eine Kompositionstechnik aus der Renaissance haben Sie eine ganze Serie von Stücken geschrieben, die nun auch in die Arbeit mit Lisette einfliessen. Wie kamen Sie auf diese Technik?

Stiefel: Ich habe mich bei einem Lehrer in Komposition weitergebildet, und der hat mir die Isorhythmie erklärt, also diese Muster, die sich wiederholen und dabei durch alle Stimmen laufen. Da sagte ich zu ihm: «Kann ich dir mal ein Stück zeigen?» Ich habs ihm vorgelegt, und er sagte zu mir: «Ja, das ist eigentlich Isorhythmie.» Ich hatte das also vorher schon ganz unabhängig verwendet. Im Gegensatz zur Minimal Music verschieben sich nicht nur die Patterns, sondern sie sind ein Grundgerüst für die Improvisation, und daraus entwickelt sich dann Unvorhersehbares.

Eines der Album-Highlights heisst «Marine»: Haben Sie da synästhetisch gedacht, also Musik in Beziehung zu einem Farbton gesetzt?

Stiefel: Mit «Marine» kann man viel assoziieren, wir wollen unsere Zuhörer nicht festnageln.
Spinnler: Aber Marin ist ein sehr warmer Blauton, und das Stück zieht einen richtig nach innen, hat einen Sog. Ich finde schon, dass es etwas Ozeanisches hat – mit einem Boot, das auf den Wellen schaukelt und in dem vielleicht gar niemand mehr drinhockt.

Live: Jazzfestival, Kaserne Basel, 3. Mai, 20 Uhr. Wie Spinnler/Stiefel präsentieren an diesem Abend auch Feigenwinter 3 ihr neues Album.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12

Nächster Artikel