«Zuerst will ich gründlich Abstand nehmen»

Christian Felber tritt nach zwanzig Jahren als Direktor der Christoph Merian Stiftung Ende Monat zurück. Der ewige Kritiker der Verwaltung wirkt im Interview versöhnlich und etwas müde. Als Erstes will er Abstand gewinnen, auf einer Fahrradtour durch Frankreich.

Christian Felber mit Blick über das Dreispitz-Quartier: «Die weitere Entwicklung werde ich als Bürger beobachten.» (Bild: Nils Fisch)

Nach zwanzig Jahren als Direktor der Christoph Merian Stiftung tritt Christian Felber Ende Monat zurück. Der hartnäckige Kritiker der Verwaltung wirkt im Interview versöhnlich und etwas müde. Als Erstes will er Abstand gewinnen, auf einer Fahrradtour durch Frankreich.

Als Christian Felber vor zwanzig Jahren sein Amt antrat, war die Christoph Merian Stiftung noch eine andere. Unter Felber ist die Stiftung stetig gewachsen und nun auf dem Dreispitz dabei, ein neues Stadtgebiet zu erschliessen. Als Direktor setzte sich Felber insbesondere zwei Ziele. Er wollte das Stiftungsvermögen nachhaltig sichern und den Einsatz der Stiftung für Projekte im Sozialbereich vergrössern. Ende Monat geht er nun vorzeitig in Pension. Auf dem Dreispitz-Areal haben wir ihn zum Gespräch getroffen.

Wenn wir hier über das Dreispitzareal spazieren, wie geht es Ihnen da im Wissen, dass in drei Wochen auch dieses Projekt für Sie zu Ende geht?

Ich habe diese Arbeit zwanzig Jahre gemacht, und das war eine wunderschöne Zeit. Aber ich habe keine Mühe loszulassen. Ende Mai werde ich für einige Zeit verreisen, und wenn ich wieder zurück bin, werde ich diese Entwicklung als gewöhnlicher Bürger verfolgen.

Das Projekt Dreispitz ist in seiner Dimension einmalig für Basel, auf dem Industrieareal soll es dereinst 10’000 Arbeitsplätze geben und weitere 2000 Menschen, die hier wohnen. Haben Sie sich mit diesem Areal auch selbst ein Denkmal gesetzt?

Das Projekt übersteigt die Karriere eines einzelnen Direktors. Diese Umwandlung dauert länger als eine Generation. Nachdem der Stiftungsgründer Merian das Areal gekauft hatte, war es Landwirtschaftsfläche, dann wurde es zum Industrieareal und jetzt zum Stadtquartier. Das sind Dimensionen, die weit über mein eigenes Berufsleben hinausgehen.

Und wie gross ist Ihr Verdienst daran?

Der allererste Impuls kam vom Basler Kantonsarchitekten Fritz Schumacher. Und dann brauchte es vermutlich beide Seiten, auch den Kanton Baselland. Die wirkliche Leistung ist die Tatsache, dass diese Partner sich zusammengefunden und auch zusammengehalten haben. Meinen eigenen Beitrag müssen andere beurteilen.

Wie soll sich das Gebiet nach Ihrer Zeit weiterentwickeln?

Die Anfänge, die wir jetzt sehen, mit der Hochschule, einigen Hundert Wohnungen, die entstehen, und neuen Arbeitsplätzen, ich denke, das wird weitergehen. Und das ist auch mein Traum, dass die Menschen dereinst dort arbeiten, wo sie wohnen. Dass eine Verdichtung stattfindet und man nicht jeden Tag für die Arbeit von Therwil auf Kleinhüningen fahren muss.

Und noch etwas wollen Sie auf dem Dreispitzareal zusammenbringen. Hier soll die Stiftung Geld erwirtschaften und gleichzeitig Projekte unterstützen. Sehen Sie da kein Konfliktpotenzial, diese beiden gegensätzlichen Seiten auf dem Areal unter einen Hut zu bringen?

Die wirklich grossen Ausgaben macht die Merianstiftung nicht auf dem Dreispitzareal. Aber es stimmt, hier gibt es Momente, wo sich diese beiden Seiten berühren. Die Baurechtszinsen sind für uns eine wichtige Einnahmequelle, beispielsweise entsteht hier aber auch das Haus für elektronische Künste, das wir unterstützen. Es gibt ein Spannungsfeld, aber als Problem sehe ich das nicht. Ich denke, als Stiftung können wir uns diese Freiheit nehmen.

(Bild: Nils Fisch)

Zurzeit wird auf dem Dreispitz überall gebaut, eine spannende Phase. Weshalb verlassen Sie die Stiftung ausgerechnet jetzt?

Die Merianstiftung ist ideal unterwegs und gut aufgestellt. Nach zwanzig Jahren fand ich es einen idealen Zeitpunkt. Und ich habe Lust, wieder ganz andere Dinge auszuprobieren.

Hat Ihnen gegen Schluss auch die nötige Kraft gefehlt, spürten Sie Ermüdungserscheinungen?

Diese Stiftung zu leiten ist auch anstrengend und fordernd. Ich habe sicher nicht mehr dieselbe Energie wie vor zwanzig Jahren, das spüre ich. Und habe deshalb auch versucht, einen guten Zeitpunkt zu finden. Die wirtschaftliche Basis der Merianstiftung ist derzeit so gut wie noch nie. Organisatorisch sind wir hervorragend aufgestellt, die Stiftung hat einen guten Ruf. Es ist ein guter Moment, die Mannschaft zu übergeben. Für mich gab es keinen Grund, noch länger zu warten.

Es war Ihr erklärtes Ziel, die finanzielle Basis der Stiftung zu stärken. Das ist Ihnen gelungen?

Vor zwanzig Jahren war das Stiftungsvermögen ausschliesslich in Immobilien in der Nordwestschweiz angelegt. Das war etwas einseitig und mit Risiken verbunden. Es bestand eine grosse Abhängigkeit von der regionalen Wirtschaftslage, hinzu kam die Erdbebengefahr. Das war nicht unheikel, und davon wollte ich wegkommen. Denn gerade bei einem grösseren Unglück müsste die Merianstiftung der Bevölkerung helfen können. Wenn bei einem Beben auch das Stiftungsvermögen vernichtet wird, ist das nicht mehr möglich. Im Moment sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben das Vermögen breit angelegt und auch in Wertpapiere investiert.

Ein weiteres grosses Anliegen von Ihnen war, dass sich die Stiftung stärker für soziale Projekte einsetzt. Konnten Sie dieses Ziel erreichen?

Wir haben im Armutsbereich grosse Fortschritte gemacht. Die Zahl der Projekte ist von einem Projekt auf etwa zwanzig angestiegen. Dabei haben wir auch mutige Projekte realisiert, wie etwa die Unterstützung von Sans-Papiers. Aber gerade im Bereich von Armut und Integration gibt es in Zukunft noch viel zu leisten. Da muss sich die Stiftung noch stärker einsetzen.

«Im Bereich von Armut und Integration gibt es in Zukunft noch viel zu leisten, da muss sich die Stiftung noch stärker einsetzen.»

Und denken Sie, Ihr Nachfolger, der bisherige Leiter Kultur bei der Stiftung, ist die richtige Person, um diese Aufgabe zu lösen?

Beat von Wartburg ist ein Mann mit sehr viel Herz und Verstand. Er hat im Stiftungsbereich schweizweit einen Namen. Ich denke, er ist für diese Herausforderung die optimale Besetzung.

In der Vergangenheit haben Sie immer wieder die Basler Verwaltung kritisiert. Sie sprachen von einem aufgeblasenen Apparat. Hat sich die Situation aus Ihrer Sicht verbessert?

Ich sehe viele Chefbeamte, die sehr engagiert sind. Der Kanton muss verschiedenste Interessen aufeinander abstimmen, eine schwierige Aufgabe. Ich musste lernen, dass es da auch einmal etwas länger dauern kann.

Sie sagten einmal, Sie wünschten sich, der Grosse Rat würde um die Hälfte der Sitze verkleinert. Sind Sie da etwas versöhnlicher geworden?

Ich bin vielleicht nicht mehr so naiv wie früher. Wir haben vielschichtige Strukturen in der Verwaltung, die Demokratie hat ihren Preis. Und das ist auch gut so.

«Die Demokratie hat ihren Preis und das ist auch gut so.»

In der Vergangenheit erweckten Sie zuweilen den Eindruck, die Stadt würde die Merianstiftung in ihrer Entwicklung behindern.

Das würde ich heute nicht mehr sagen. Wenn ich zurückblicke, hat sich doch sehr viel verändert. Denken Sie nur an das St. Johann. Wenn man sieht, wie sich das Quartier im Aufbruch befindet, da ist in den vergangenen zehn Jahren viel passiert. Viele Projekte sind in Kooperation entstanden mit der Stadt. Es brauchte häufig etwas Zeit und Energie. Am Ende kamen wir aber immer zum Ziel.

So versöhnlich haben Sie sich während Ihrer Zeit als Direktor selten gezeigt.

Es gab eine Phase, wo uns die Stadt vorwarf, wir würden unsere Projekte nicht zu Ende bringen. Das konnten wir in manchen Gesprächen widerlegen. Es ist heute keine Stimmung mehr, wo man sich gegenseitig Vorwürfe macht. Über die vergangenen Jahre ist eine sehr gute Partnerschaft entstanden.

Konnten Sie die Verwaltung und Politik bei Entscheiden beeinflussen?

Es gab Versuche, aber dabei ist es meistens auch geblieben. Wir hatten 2010 einen Armutsbericht verfasst. Dabei zeigte sich, dass die Armutsbetroffenen eine zentrale Anlaufstelle bräuchten für Themen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungssuche, Gesundheit und Sucht. Für viele Betroffene wäre das eine grosse Erleichterung. Diesen Vorschlag haben wir dem Regierungsrat einmal unterbreitet, er wurde aber nie umgesetzt.

Wenn man Ihnen zuhört, dann sprechen Sie immer wieder von der Armut und von Integration. Wenn wir hier aus dem Fenster auf das Dreispitz-Areal schauen, dann sehen wir die Hochschule für Gestaltung, die entsteht, luxuriöse Wohnungen werden gebaut, Ateliers und Galerien. Von Not und Armut ist hier nicht viel zu sehen.

Wie gesagt, der Dreispitz ist nicht primär ein Ort, wo wir unser Geld einsetzen, sondern wo wir Geld verdienen wollen. Und in der weiteren Entwicklung haben wir auch Gebiete für den sozialen Wohnungsbau reserviert. In dem Quartier, das jetzt entsteht, dreht sich vieles um Kunst. Andere Quartiere auf dem Dreispitz werden aber eine andere Färbung haben. Der Dreispitz ist grösser als jedes andere Entwicklungsgebiet. Da ist es möglich, verschiedene Schwerpunkte zu setzen.

Auf der einen Seite verdient die Stiftung ihr Geld mit Wertpapieren und luxuriösen Loft-Wohnungen, auf der anderen Seite unterstützen Sie damit soziale Projekte wie die Gassenküche oder die Gassenarbeit. Besteht da ein Spannungsfeld?

Innerhalb der Stiftung unter den Mitarbeitern durchaus. Es gibt die Liegenschaftenbewirtschafter, die Wohnungen zu Marktpreisen vermieten wollen. Und es gibt die Mitarbeiter in der Abteilung Soziales und Stadtentwicklung, welche Geld ausgeben und beispielsweise die Gassenküche fördern. In der Pause ziehen sich Mitarbeiter häufig gegenseitig auf. Doch die Nähe der beiden Bereiche ist für den Erfolg der Stiftung auch entscheidend. Wir achten sehr darauf, dass wir das Geld effizient einsetzen. Im Gegensatz zu Stiftungen vielleicht, wo die Bank das Geld verwaltet.

Und auf welcher Seite standen Sie während der Witzeleien in den Kaffeepausen?

Jene Momente, die ich nach diesen zwanzig Jahren mitnehme, sind die Erfahrungen, wo ich im Sozialbereich zuvorderst mit dabei war. Ich habe mehrere Tage im Obdachlosenheim an der Wallstrasse gearbeitet, das hat mich stark berührt. Das Schicksal von Menschen, die jahrelang in der Sucht stecken oder unter schweren psychischen Krankheiten leiden. In der Gassenküche bin ich mehrere Male essen gegangen. Dabei habe ich immer wieder gesehen, wie wenig es braucht, damit Menschen den Anschluss an die Gesellschaft verlieren. Und in den letzten Monaten war ich mehrere Male bei den sozialen Stadtrundgängen dabei. Das sind Erfahrungen, die haften bleiben.

«Das sind Erfahrungen, die haften bleiben.»

Wird Sie der Sozialbereich auch über die Pensionierung hinaus beschäftigen?

Zuallererst will ich gründlich Abstand nehmen und in Basel auch nicht mehr bei anderen Stiftungen in Erscheinung treten. Wenn ich dann einmal durchgeatmet habe, dann kann ich mir durchaus vorstellen, mich anderswo einzusetzen. Es interessiert mich aber mehr, in der Gassenküche Essen zu schöpfen, als einen Sitz in einem Stiftungsrat zu übernehmen.

Und was machen Sie, um Abstand zu gewinnen?

Zusammen mit meiner Frau werde ich drei Monate mit dem Velo durch Frankreich reisen. Am Mittwoch vor Auffahrt, meinem letzten Arbeitstag, steht das Velo am Nachmittag bereit, und dann fahren wir los.

Und ein anderes Projekt, konnte man lesen, ist ein Esstisch, den Sie zimmern wollen. Weshalb ein Esstisch?

Das ist wohl die Sehnsucht nach Handwerk, nach sichtbaren und greifbaren Ergebnissen. Ich arbeite gerne mit Holz.

Was wünschen Sie sich für die Merianstiftung für die nächsten zwanzig Jahre?

Ich hoffe, dass sie sich bei ihren Projekten auch in Zukunft auf Armutsbekämpfung und Integration konzentriert. Ich rechne für die Zukunft mit wachsenden Flüchtlingsströmen und weiteren Armutsbetroffenen. Und da hoffe ich, dass die Stiftung weiter ihre Rolle wahrnimmt.

Und für Sie selber?

Dass meine Neugierde bleibt, die Liebe zu den Menschen. Die hat über die Jahre nicht gelitten, und ich hoffe, dass mir das weiterhin erhalten bleibt.

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