Abstimmungspropaganda muss eingeschränkt werden

Krankenkassen bekämpfen die Einheitskasse mit allen Mitteln – auch mit zwielichtiger Propaganda. Das ist legal, sagt das Bundesgericht. Aber es braucht restriktivere Gesetze für Abstimmungspropaganda.

Versicherer schicken Abstimmungsempfehlungen an ihre Kunden: Das Bundesgericht sieht darin kein Gesetzesverstoss. (Bild: Anthony Bertschi)

Krankenkassen bekämpfen die Einheitskasse mit allen Mitteln – auch mit zwielichtiger Propaganda. Das ist legal, sagt das Bundesgericht. Aber es braucht restriktivere Gesetze für Abstimmungspropaganda.

Das mit der Abstimmungspropaganda ist so eine Sache. Da kämpfen die Initianten der Einheitskasse gegen die Kassen-Werbung – und fallen ausgerechnet dieser Werbung zum Opfer. Eine «Figgi und Mühli» für die Krankenkassen sozusagen.

In Kundenmagazinen und am Telefon erklären die Krankenkassen, warum die Stimmbürger die Einheitskasse ablehnen sollten. Das sei unzulässige Propaganda, fand SP-Vizepräsidentin Jacqueline Fehr: «Wir finden es falsch, dass die Kassen mit unseren Prämien die millionenschwere Nein-Kampagne finanzieren.»

Gegen die unlautere Abstimmungswerbung hat der Basler SP-Grossrat Rudolf Rechsteiner eine Beschwerde eingereicht. Er stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts: Unternehmen wie die Krankenkassen seien zur politischen Neutralität verpflichtet, weil sie «unter einem bestimmten Einfluss eines Gemeinwesens stehen». Das Bundesgericht entschied nun: Die Abstimmungswerbung der Krankenkassen ist zulässig, weil ein Interesse daran besteht, eine Stellungnahme von den «besonders sachkundigen Krankenversicherern selbst zu erhalten». Sie seien «durch die bevorstehende Abstimmung in qualifizierter Weise betroffen».

Ein Kampf mit ungleichen Spiessen

Das lässt sich nicht bestreiten: Wenn das Stimmvolk die Einheitskassen-Initiative annimmt, werden die privaten Krankenkassen faktisch abgeschafft. Es geht also um alles oder nichts. Kein Wunder, dass die Krankenkassen alles in eine Waagschale legen.

Dass das Bundesgericht so entscheidet, ist allerdings schade für die Demokratie. Der Entscheid bekräftigt die Stimme der Starken, der Kassen-Lobby nämlich, und er schwächt die Position der Schwachen, der Initianten mit einem Budget von ein paar Hunderttausend Franken.

Bei der letzten Abstimmung über eine Einheitskasse (2007) gab es im Vorfeld diesselben Vorwürfe über unlautere Abstimmungswerbung. Damals geschah ebenso nichts. Auch wenn das Bundesamt für Gesundheit gegen Komplementärmedizin mobil macht, gibt es kaum Konsequenzen. Die Abstimmungsempfehlungen werden häufig zur Abstimmungspropaganda – sachliche Argumente bleiben dann schnell auf der Strecke.

Wer weist den Kassen-Goliath in die Schranken?

Wie einseitig die Kassen informieren, hat die TagesWoche recherchiert. Ein Anruf bei der CSS, die Kundenmitarbeiterin teilt mit, die Einheitskasse müsse man klar ablehnen. Solche Abstimmungsempfehlungen sind stossend für das demokratische System – die Krankenkassen sollten sich auf ihren öffentlichen Auftrag beschränken.

Allein die CSS verschickte ihre Abstimmungswerbung an 780’000 Haushalte. Und die Zusendungen der Krankenkassen können nicht wie Werbe-Flyer einfach weggeworfen werden, sie könnten wichtige Informationen zur eigenen Versicherung enthalten. Die gesundheitliche Grundversicherung ist in der Schweiz obligatorisch, also tragen die Versicherer eine behördliche Pflicht. Diese Pflicht sollte nicht durch Eigeninteressen missbraucht werden. Auch wenn die Krankenkassen argumentieren, die Abstimmungswerbung sei aus dem Topf der Zusatzversicherung finanziert – das Label CSS steht für ein Unternehmen, das öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Ergo muss es auch neutral informieren.

Es scheint, als hätte die Gesundheitslobby einen Zustand erreicht, in dem sie kaum angreifbar ist. Nicht von der Politik, nicht von der Wirtschaft, nicht einmal das Gesetz bietet genügend Schutz vor unlauteren Mitteln. Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren wenigstens eine Instanz den Kassen-Goliath in die Schranken weist – das Volk.

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