All die Lügen

Es ist keine Neuigkeit, dass uns Politiker und Wirtschaftsführer anlügen. Neu ist, dass sie sich dabei keine Mühe mehr geben. Ein Kommentar.

Roger Schawinski im Talk mit Roger Köppel. (Bild: Screenshot SF)

Es ist keine Neuigkeit, dass uns Politiker und Wirtschaftsführer anlügen. Neu ist, dass sie sich dabei keine Mühe mehr geben.

Es sah apart aus, wie Roger Köppel, Chefredaktor der «Weltwoche», in seinem Skipullunder entspannt in einer Art Chalet sass und folgenden Satz in die Kamera sprach: «Wir haben verschiedene, voneinander unabhängige Quellen.» In der ersten Woche des Jahres war das, Köppel war in den Ferien irgendwo in den schönen Schweizer Alpen und seine Zeitung hatte eben den Präsidenten der Nationalbank zum Abschuss freigegeben. Der «geschniegelte Gauner» habe direkt und selber den Auftrag zur Dollartransaktion gegeben, verraten habe ihn nicht ein IT-Mitarbeiter alleine, sondern auch sein Kundenberater.

So stand es in der «Weltwoche» und so war es falsch. Urs Paul Engeler, frisch gewählter Journalist des Jahres, und Autor der grossen Geschichte, gab im Nachhinein zu, sich auf das Wort des Anwalts Hermann Lei verlassen zu haben. Einen direkten Kontakt zwischen dem Datendieb und der «Weltwoche» gab es nicht (nachzulesen in der NZZ, Aargauer Zeitung und in der BaZ).

In der zweiten Januarwoche sass Roger Köppel in der Talkshow von Roger Schawinski und schaute seinem früheren Ich im Ski-Chalet dabei zu, wie es von «mehreren unabhängigen Quellen» sprach und dabei süffisant lächelte. Darauf angesprochen antwortete Köppel nicht und sagte stattdessen zum etwa dreissigsten Mal, dass es die «Weltwoche» gewesen sei, die die grosse Enthüllung … und so weiter (siehe dazu unsere kurze Video-Zusammenfassung unten).

Als der seltsam hilflos wirkende Schawinski dazwischen ging und die Rolle von Christoph Blocher bei der Entstehung der Geschichte in der «Weltwoche» ansprach und darauf hinwies, dass Urs Paul Engeler selber zugegeben hatte, mit Blocher in Kontakt gewesen zu sein (wie gesagt, in der NZZ, Aargauer Zeitung und in der BaZ) da sagte Köppel: «Das hat er sicher nicht gesagt.»

In der selben Sendung wurde auch Blocher selber eingespielt, jener Blocher, der zuerst gar nichts wusste (das war am Montag), dann «keine Dokumente» besass (am Donnerstag) und dann plötzlich keine «Originaldokumente» mehr (am Freitag). Seine Aussage zu den fehlenden Dokumenten wurde gegengeschnitten mit einem Ausschnitt aus der «Arena», in der Eveline Widmer-Schlumpf genau das Gegenteil sagte (und zwar nicht als einzige; Bundesratssprecher André Simonazzi hatte schon früher bestätigt, dass Blocher dem Bundesrat Dokumente übergeben hatte).

Es war der gleiche Blocher, der die Öffentlichkeit ein Jahr lang über das Engagement seiner Familie in der BaZ täuschte.

Ja, Philipp Hildebrands Devisenhandel war nicht schlau; ja, er hat moralisch falsch gehandelt; ja, das bankinterne Reglement hätte sofort an die Öffentlichkeit gehört und ja, dieses Reglement war viel zu large. Stimmt ja alles.

Und dennoch: Müssen wir uns alle so frech und offensichtlich ins Gesicht lügen lassen? Stört das denn niemanden?

Es ist ja beileibe nicht so, dass die Geschichte der Politik frei von Lüge wäre. Neu ist aber, dass man anscheinend akzeptieren muss, dass es die Lügner einen Dreck kümmert, wenn sie der Unwahrheit überführt werden. Das offenbart eine Geringschätzung der Bevölkerung, die schaudern lässt.

 

Martin Schaffner hat den Schawinski-Talk für die TagesWoche auf seine Essenz reduziert (Direktlink auf Youtube). Siehe dazu auch Vorbilder 1 und 2.

Quellen

„Wir lügen den ganzen Tag“ – die AZ zu Christoph Blocher

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