Auf dem Migrol-Areal werden Chancen verpasst

Seit Anfang Juli lässt Basels Verwaltung die Zwischennutzer von Shift Mode das einstige Migrol-Areal bespielen. Der Druck ist für beide gross – und unnötig. Ein gemeinsames Projekt würde allen Beteiligten mehr bringen.

Der Bauplatz ist da, jetzt fehlt «nur» noch das Geld (Bild: Nils Fisch)

Die 12’500 Quadratmeter auf dem ehemaligen Migrolareal würden eigentlich eine einmalige Möglichkeit für alle Beteiligten bieten. Es bräuchte jedoch ein Gespräch auf Augenhöhe, um ein kooperatives Modell zu finden. Ein Plädoyer.

Das Zwischennutzungsprojekt des Vereins Shift Mode ist am 2. Juli unter relativ ungünstigen Bedingungen auf dem ehemaligen Migrol-Gelände an der Uferstrasse gestartet. Viel Geschirr ist in den letzten Wochen durch die polizeiliche Räumung und mangelnde Kommunikation zerschlagen worden – ein schlechter Nährboden für einen qualifizierten Neubeginn.

Parallel zum Geschehen hat sich Shift Mode zu einer Vorwärtsstrategie entschieden. Die Phase der Rekonvaleszenz nutzen Katja Reichenstein und die Shift-Mode-Leute, um mit allen Interessierten und Involvierten wieder ins Gespräch zu kommen. Um die verschiedenen Wünsche kennenzulernen. Um Vertrauen zu schaffen. Man will das Projekt realisieren, und zwar mit den unterschiedlichsten Partnern. Erste Container stehen bereits vor Ort. Inhalt: unbekannt.

Projektionsflächen für Wünsche

Kurze Rückblende: Das Phänomen «Freiraum» ist nichts Neues und wurde seit den 1980er-Jahren immer wieder zum Politikum. Freie Räume sind in unseren dicht besiedelten Städten rar und begehrt. Vorübergehende oder dauerhafte Besetzungen von Industriebrachen, ehemaligen Militärarealen und leer stehenden Liegenschaften konnten mehrfach aufzeigen, dass es in Städten «Freiräume» gibt.

Indem Aktivisten so auf ihre Not, Wünsche oder Bedürfnisse hinwiesen, wurden städtebauliche Entwicklungen thematisiert. Raumplanerische Entscheide konnten öffentlich kritisiert und Korrekturen und Mitspracherecht eingefordert werden. Es konnte über alternative Nutzungen in (sozio-)kulturellen Bereichen oder über alternative Wohn- und Lebensformen nachgedacht werden. Damit waren solche Besetzungen bereits auf der Gesprächsebene konstruktiv.

Ungenutzte Liegenschaften und Industriebrachen sind Projektionsflächen für Wünsche und Möglichkeiten. Für die Besitzer sind die Areale Entwicklungsgebiete oder ruhendes Kapital. Für die potenziellen Nutzer sind sie Chancen. Die Nichtnutzung verstehen sie als Provokation. Insofern unterscheiden sich die Interessen der Besitzer und der potenziellen Nutzer fundamental. Die Ziele divergieren und sind vorerst unvereinbar.

Erfolgreiche Zwischennutzungen

Seit einigen Jahren findet bei den staatlichen Verwaltern aber ein Umdenken statt. Mittlerweile können sie sich erfolgreiche Zwischennutzungen nicht nur vorstellen, sie haben sie auch schon selbst eingeleitet. Im Hafenareal handelt die Verwaltung allerdings auf kommunikativer Ebene noch ziemlich unbeholfen. Hier gibt es noch Verbesserungspotenzial.

Eine grosse Anzahl kommerzieller und weitgehend institutioneller Anbieter haben in den letzten Jahren das Terrain abgesteckt, etwa bei der Kaserne. Sie besetzten die ehemaligen Leerräume und Brachen, wurden sesshaft und sind mittlerweile Teil der öffentlich sanktionierten und geförderten Kultur.

Die Bedürfnisse der mittleren bis älteren Generation sind beidseitig – sowohl auf der Seite der Nutzer und Produzenten wie auch auf der Seite der Konsumenten – umfassend gedeckt. Der Kuchen ist räumlich und finanziell aufgeteilt.

Die Chancen auf dem Areal sind einmalig. Auch für die Stadt und künftige Zwischennutzungen.

Das ist die Grundlage des anstehenden Konfliktes an der Uferstrasse. Eine neue Generation fordert hier auf dem Ex-Migrol-Areal lautstark ihre Teilhabe. Das schafft Druck auf die Politik, aber natürlich (und zurzeit viel virulenter) ebenso auf die zukünftige «Bespielung» des Areals. Die Forderung ist, analog den Vorgängergenerationen, einfach und unmissverständlich: Man will Land und Räume. Und: Man will mitreden und partizipieren.

Die Besitzstandswahrer und Verwalter haben drei Möglichkeiten: Sie können die Wünsche der kommenden Generation ignorieren, auf die herablassend-väterliche Tour den Schreihälsen ein paar Krümel am Stadtrand anbieten oder mit den Wagen- und Uferlos-Leuten ein partizipatives Projekt auf 12’500 Quadratmetern realisieren.

Ich plädiere für eine aktive Haltung und damit für ein zukunftsweisendes partizipatives Projekt. Die Chancen auf dem weiträumigen Areal sind einmalig. Auch für die Stadt und künftige Zwischennutzungen. Man könnte viel über alternative Bewirtschaftung von städtischen Brachen, über Entwicklungsprozesse und die nötigen Kommunikationsmodelle und Prozessmoderation lernen.

Ein Modell für alle

Das wäre für alle Beteiligten ungewohnt. Neuland. Aber hier wäre Innovation möglich: Keine Laisser-faire-Politik, aber auch keine autoritäre Verwaltungsdoktrin. Mit viel Ausdauer und hoher Dialogbereitschaft liesse sich eine Projekt- und Kommunikationskultur erarbeiten, die für alle beteiligten Parteien tragfähig ist. Die unterschiedlichen Interessenlagen müssen Eingang finden in ein gemeinsames Modell. Es gibt keine übergeordnete Bewirtschaftungshoheit. Die beteiligten Parteien begegnen sich auf Augenhöhe. Eine entsprechende «Selbstorganisation» der Nutzer ist das eigentliche Ziel der Übungsanlage.

Im Moment wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Shift Mode ist von der Verwaltung bevorzugt und mit einem vollumfänglichen Verwaltungs- und Gestaltungsauftrag über das Gesamtareal ausgestattet. Damit exponiert sich eine Gruppe unnötig und verhindert womöglich die gewünschte Partizipation.

Das Modell ist mit zu hohen Erwartungen gestartet.

Shift Mode macht in der Folge potenziellen Mitnutzern «Angebote», setzt aber klare bauliche Zeichen und zeitliche Nutzungsvorgaben. Nur in diesen Parametern dürfen sich die Kollegen bewegen. Das sind unnötige Einschränkungen. Und der Gestus wird als autoritär-herablassend wahrgenommen.

Das Modell ist mit zu hohen Erwartungen gestartet. Es ist vorerst kein selbstbewusstes Modell. Man nimmt die Ziele vorweg und versucht, feste Räume für nicht vorhandene Ideen zu bauen. Man vertraut zu wenig auf eine partizipative Grundkonzeption. Warum versucht man nicht, im Gespräch dem wirklich nötigen partizipativen Projekt eine Chance zu geben?

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