Als Skandal wird der Umgang mit den Asylsuchenden in Bremgarten (AG) von den Medien dargestellt. Die Behörden dagegen tun so, als wäre alles ganz normal. Und sie haben recht – leider.
Zumindest etwas haben die Bremgartner Behörden und das Bundesamt für Migration geschafft: Mit ihrem Versuch, die Bewohner des neuen Asylzentrums aus den angeblich «sensiblen Zonen» der Aargauischen Gemeinde zu verbannen und mit ihren hilflosen Erklärungen, ihren Ausflüchten und Dementis lieferten sie den Medien den perfekten Sommer-Stoff.
Sogar ausländische Medien interessierten sich wieder einmal für unser Land: Schlagzeilenträchtig konnten sie der Schweiz Rassismus vorwerfen und Vergleiche mit dem Apartheidssystem im früheren Südafrika ziehen.
«Alles nur ein Missverständnis»
Je grösser die Aufregung im Laufe der Woche wurde, desto eher verlegten sich die Behörden auf Schadensbegrenzung. Sie räumten Kommunikationsfehler ein, sprachen von Fehlinterpretationen auf Seiten der Medien und stellten die ganze Geschichte schliesslich als einziges «Missverständnis» dar. Die Asylbewerber von wichtigen Orten in der Gemeinde wie der Kirche und der Bibliothek fernzuhalten, sei nie die Absicht gewesen, erklärte Bremgartens Stadtammann Raymond Tellenbach. Einzig die Schul- und Sportanlagen (inklusive Badi) dürften sie ohne Einwilligung der Behörden nicht betreten und auch diese Vorschrift gelte nur tagsüber zwischen 7 Uhr und 18 Uhr.
Die NZZ hatte schon tags zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass solche Einschränkungen im Umfeld von Asylheimen üblich seien.
Alles bestens also?
Schön wärs.
Festung Europa
Abwehren und an den Rand drängen, das hat in der Asylpolitik längst System. Nicht nur in Bremgarten, nicht nur in der Schweiz; ganz Europa hat sich zur Festung hochgerüstet. Und wer es aus den vielen Krisengebieten der Restwelt dennoch über die Grenzzäune, Schranken und über das Meer nach Europa schafft, gilt als suspekt – als Eindringling eben.
Und so werden die Asylbewerber denn auch untergebracht. Möglichst weit weg vom gesellschaftlichen Leben. Im Untergrund (Zivilschutzkeller), an Autobahnen und Ausfallstrassen, in Industriegebieten oder – besonders praktisch – auf der einsamen Alp.
Es gibt zwar immer wieder Versuche, neue Unterkünfte einzurichten, die nicht ganz so abwegig wären. Aber diese werden landauf, landab bekämpft. Mal ziemlich militant (wie in Bettwil mit dem Sturm auf die designierte Asylunterkunft), mal mit eher etwas sublimeren Methoden wie in der Humanistenstadt Basel (das Asylschiff) oder im noblen Arlesheim (das kantonale Durchgangszentrum). Das Resultat ist dagegen häufig das gleiche: Die Projekte scheitern.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Über die Gründe für die Ablehnung sollte man offen reden, auch wenn das einigen Leuten schwerfällt: Einerseits sind die Asylsuchenden Menschen, die Probleme haben – und teilweise auch machen. Und andererseits erinnern sie uns ständig daran, dass es neben unserer schönen Schweiz auch noch diese andere Welt gibt. Diese Armut. Diese teilweise Aussichtslosigkeit. Darüber auch nur schon nachzudenken, ist mühsam. Und geradezu undenkbar wäre es, unseren Wohlstand etwas gerechter zu verteilen. Lieber zieht man die Mauern noch ein bisschen weiter hoch.
Wenn man sich danach wenigstens ein bisschen sicherer fühlen würde. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Das Fremde erscheint immer bedrohlicher. Dagegen sind die Erfahrungen dort, wo die beiden Welten – trotz anfänglichem Widerstandes – doch noch zusammenkommen, weitgehend positiv. In unserer Region hat sich das zum Beispiel im vorübergehenden Durchgangszentrum in Laufen gezeigt. Oder danach in Ramlinsburg.
Ängste sind wichtiger als das Gesetz
Die Entwicklung geht aber in die andere Richtung, solange die Ängste in der Bevölkerung selbst von angeblichen Wertepolitikern mit dem C im Parteilogo bewirtschaftet werden. Und erst recht, wenn neuerdings auch Behördenvertreter wie Mario Gattiker, Chef des Bundesamtes für Migration, Massnahmen mit dem «gewachsenen subjektiven Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung» begründet (wie im Interview mit dem «Tages-Anzeiger»).
Wenn selbst er, der ehemalige Caritas-Spitzenmann, schon so redet, und ihm seine Chefin Simonetta Sommaruga (SP!) danach auch noch recht gibt, wenn die beiden höchsten Asylverantwortlichen des Landes ein vages Gefühl ernster nehmen müssen als das Recht, sich frei zu bewegen, und den Schutz vor Diskriminierung, dann ist das ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass die Mauern schon längst viel zu hoch sind. Und das Augenmass, der Überblick ganz allgemein verloren gegangen sind.
Vielleicht ist der Fall «Bremgarten» ja tatsächlich nur ein Missverständnis. Wie überhaupt die Asylpolitik. Es wäre aber ein schrecklich grosses Missverständnis.