Bundesstrafgericht deckt US-Agenten

Im Agenten-Fall Tinner der jetzt vors Bundesstrafgericht kommt, ortete das Bundesgericht 2007 «schwere Verbrechen» durch die Hauptbeschuldigten. Zu einer richtigen Gerichtsverhandlung kommt es dennoch nicht. Denn: Die Schweiz kuscht vor den USA, deren Geheimdienste in den Fall verstrickt sind.

Einer der beiden Tinner-Söhne verlaesst das Bundesgerichtsgebäude von Bellinzona mit verdecktem Gesicht, am Montag, 24. September 2012, durch einen Hinterausgang in einem Auto. Heute Montag begann der voraussichtlich letzte Akt der Atomschmuggel-Affaere (Bild: Keystone/Karl Mathis)

Im Agenten-Fall Tinner der jetzt vors Bundesstrafgericht kommt, ortete das Bundesgericht 2007 «schwere Verbrechen» durch die Hauptbeschuldigten. Zu einer richtigen Gerichtsverhandlung kommt es dennoch nicht. Denn: Die Schweiz kuscht vor den USA, deren Geheimdienste in den Fall verstrickt sind.

Friedrich Tinner (75) und seine Söhne Urs (46) und Marco (43) waren internationale Atom-Technologie-Schmuggler. Das ist inzwischen bekannt. Das Bundesgericht schätzte 2007, die Ingenieursfamilie habe mit ihrer illegalen Tätigkeit «ca. 20 Millionen Franken» verdient. Das sei «ein schweres Verbrechen», hielten die obersten Schweizer Richter in Lausanne fest: Es würden «Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren» drohen.

Kuhhandel auf Druck der USA

«Wir verteidigen die rechtsstaatliche Gewaltentrennung», beteuerten Bundesrichter damals gegenüber der «Basler Zeitung». Das ist nicht passiert: Unter dem weiterhin anhaltenden Druck der USA hat die Bundesanwaltschaft jetzt mit den drei Angeklagten einen Kuhhandel nach Vorgabe der US-Justiz abgeschlossen: Die Tinners geben einiges zu. Der Hauptverdächtige, Vater Friedrich Tinner, soll im Gegenzug mit lediglich 24 Monaten bedingt davon kommen. Seine Söhne Urs und Marco mit 50 und 41 Monaten unbedingt.

Damit haben die drei ihre Strafen in der Untersuchungshaft schon abgesessen. Zu einer detaillierten, öffentlichen Gerichtsverhandlung wird es nicht kommen und damit bleiben auch viele Elemente des dubiosen Falles im Dunkeln: Ein veritabler Staatsskandal wird nie aufgeklärt.

Bundesgericht: «Ein schwerer Fall»

Der Grund für diese Vertuschungsaktion: Die Tinners waren nebenbei auch aktive Agenten im Dienste der USA. Am 21. Juni 2003 etwa hatten US-Agenten der CIA (Central Intelligence Agency) mit den Tinners im bündnerischen Jenins ein entsprechendes «Agreement» vereinbart, ihnen eine Million Dollar in bar in einem Koffer übergeben – und ihnen Straffreiheit im Notfall zugesichert.

Doch im Herbst 2004 wurde das Trio in Deutschland gefasst und im Frühjahr 2005 an die Schweiz ausgeliefert. Die Ermittlungen wegen Verdachts auf Widerhandlung gegen die Güterkontroll- und Kriegsmaterialgesetzgebung «in einem schweren Fall», wie das Bundesgericht festhielt, kamen gut voran. «Verbotener Nachrichtendienst» und «verbotene Handlungen für einen fremden Staat» hätten auch noch verfolgt werden können. Und bald waren gut 200 Aktenordner voller Beweisstücke beisammen. Dem Bundesgericht schien der Fall so gravierend, dass es am 9. Oktober 2007 die Entlassung der Tinners aus der Untersuchungshaft ablehnte.

Blochers heimlicher Kniefall vor der US-Regierung

Zu spät: Schon am 26. und 27. Juni des selben Jahres nämlich hatte die US-Regierung den damaligen Schweizer Justiz- und Polizeiminister, SVP-Bundesrat Christoph Blocher, nach Washington zitiert und ihn im Falle Tinner klammheimlich klar instruiert. Kaum wieder in Bern, setzte Blocher in einer geheimen Sitzung im Bundesrat eine geheime Arbeitsgruppe durch, welche in Verletzung aller rechtsstattlichen Grundsätze die gesamten Tinner-Akten nach Begriffen wie «US-Regierung» oder «US-Agenten» durchforsten musste.

Danach fütterte die Beamten-Gruppe unter Aufsicht zweier US-Vertreter einen ganzen Kleinlaster voller aussortierter Tinner-Akten in den Reisswolf. Von über 200 Aktenordnern blieben in dem Verfahren gerade noch 93 übrig. Mehr als die Hälfte war der illegalen Aktion zum Opfer gefallen. Das Verfahren gegen die drei Atomschmuggler, die eng mit dem «Vater der pakistanischen Atombombe», Abdul Quadir Khan, zusammengearbeitet hatten, war nachhaltig sabotiert. Namhafte Juristen attestierten dem Gesamtbundesrat für diesen Geheimcoup später «hohe kriminelle Energie». Ermittlungen wegen «verbotener Handlungen» oder «verbotenem Nachrichtendienst» zu Gunsten der USA hatte die Landesregierung der Bundesanwaltschaft von vornherein kurzerhand verboten.

Verrat am Rechtsstaat

Doch dieser heimliche Verrat des Schweizer Rechtsstaates wurde schon Mitte 2008 ruchbar und in den Medien bekannt. «Blick», die «SonntagsZeitung» und die «Basler Zeitung» berichteten darüber. Das Parlament leitete eine Untersuchung ein. Und am 23. Mai 2008 sah sich der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin (FDP) zu einer öffentlichen Erklärung (ohne jegliche Nachfragen!) veranlasst. Der Bundesrat habe im Fall Tinner gefährliche Baupläne für Atomwaffen vernichten müssen, behauptete Couchepin. Dies in Absprache mit und auf Wunsch der Internationalen Atom Energie Behörde (IAEA).

Eine glatte Unwahrheit, wie «Le Temps» jetzt enthüllt hat: «Niemals» habe die IAEA die Schweiz ermuntert, den Tinner-Prozess zu sabotieren, zitiert das Westschweizer Blatt Bruno Pellaud, der damals stellvertretender Generaldirektor der Atomenergiebehörde war: «Couchepin hat da wirklich irgendetwas (n‘ importe quoi) erzählt.» Die IAEA wäre im Gegenteil an einer restlosen Aufklärung des Falles sehr interessiert gewesen, versichert Pellaud jetzt. Und er beklagt: «Der Bundesrat hätte nicht vor den USA kuschen dürfen.»

Missbrauchter Atom-Sperrvertrag

Damit steht fest, worum es im Fall Tinner immer gegangen ist: um die Vertuschung der Rolle, welche die US-Regierung und ihre Geheimdienste in der ganzen Sache spielten. Jahrelang nämlich hatten die Tinners mit Khan mehr oder weniger unbehelligt zusammengearbeitet, wie Schweizer Fachleute jetzt verwundert feststellen. Erst, als sie mit dem Diktator Ghaddafi ins Geschäft kommen wollten, gerieten sie in Schwierigkeiten. Möglich ist auch, dass sie als «agents provocateurs» zu Geschäften mit dem Libyschen Machthaber angestiftet wurden, um diesen in eine Falle zu locken.

Doch das wird nun nie aufgeklärt werden können. Und auch nicht, wie willkürlich die fünf Atommächte im UNO-Sicherheitsrat – und vorab die USA – den Atomsperrvertrag für ihre Zwecke missbrauchen. Unter dem Titel «Nonproliferation» sichern China, die USA, Russland, Frankreich und Grossbritannien ihr nordwestliches Monopol auf Atomwaffen. Aber nicht nur das: Wenn es ihren Interessen dient, tolerieren sie nämlich durchaus die Weiterverbreitung von Atomwaffen – oder fördern diese heimlich gar. So sind inzwischen auch die Staaten Indien, Pakistan und Israel mehr oder weniger heimliche Atommächte – mit dem Segen der USA oder Chinas.

Vergessene Abrüstungspflicht

Vergessen und möglichst verheimlichen möchten die Atomwaffenmonopolisten zudem, dass der Atomsperrvertrag nicht nur die Weiterverbreitung (Proliferation) dieser Massenvernichtungswaffen verbietet, sondern auch deren weltweite Abrüstung auf Null verlangt. Das sind die Hintergründe des Falles Tinner. Die Landesregierung der neutralen Schweiz hat sich dabei in erschreckender Weise vor den Karren der Atommacht USA spannen lassen. Es gibt Politiker, welche die jetzigen Erpressungsversuche der USA gegen den Finanzplatz Schweiz mitunter als Folge der Schwäche und Willfährigkeit des Bundesrates im Fall Tinner sehen.

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