Das ist positiv an den Negativzinsen

Die Schweizerische Nationalbank kann es niemandem recht machen – und macht gerade darum das meiste richtig. Jedenfalls geht es dem Land auch wegen der Politik der Nationalbank besser als vielen anderen Ländern.

(Bild: Nils Fisch)

Die Schweizerische Nationalbank kann es niemandem recht machen – und macht gerade darum das meiste richtig. Jedenfalls geht es dem Land auch wegen der Politik der Nationalbank besser als vielen anderen Ländern.

Wenn ich jemandem Geld leihe, bekomme ich einen Zins; wenn ich mein Geld auf das Sparkonto lege, bekomme ich einen Zins; wenn ich Geld aufnehme, um mir eine Reise oder einen Luxus leisten zu können, zahle ich einen Zins; wenn ich eine Hypothek für mein Eigenheim brauche, zahle ich einen Zins. Der Zins kann höher oder tiefer sein, aber es bleibt ein Zins.

Der Zins ist der Preis für die Ware Geld. Je mehr Geld im Angebot ist und/oder je weniger nachgefragt wird, um so tiefer liegt dieser Preis. Nach Meinung der Nationalbank kann er sogar negativ werden. Das heisst: Wenn die Nationalbank die Ware Geld «kauft», zahlt sie neuerdings keinen Preis dafür, sondern bekommt eine Prämie.

Um das Geld bei den Kunden wieder einzutreiben, werden es die Banken vermutlich über allerlei Gebühren versuchen. 

Versuchen Sie das einmal in der Migros. Mit dem vollen Einkaufswagen zur Kasse – und dann eine Prämie dafür verlangen, dass man eingekauft hat. Je mehr man einkauft, umso  höher muss die Prämie sein. Der Kassier wird ihnen was husten und ungerührt einen Preis für die Ware verlangen.

Die Schweizerische Nationalbank versucht trotzdem gerade etwas Ähnliches am Finanzmarkt. Sie erhebt auf Geld, das Geschäftsbanken bei ihr auf ein Girokonto einzahlen, ab 10 Millionen Franken einen Negativzins von –0,25 Prozent. Damit trifft sie zwar zunächst nur die Banken. Ob diese die entsprechenden Beträge bei ihren Kunden wieder eintreiben – und in welcher Form –, steht in den Sternen. Schweizer Banken haben sich bislang nicht dadurch hervorgetan, dass sie ihren Kunden irgendeine Belastung ersparen, die sie sonst selber tragen müssten.

Dennoch: Die Banken Migros, Raiffeisen, Credit Suisse und UBS haben schon im Vorfeld der nun angekündigten Negativzinsrunde verlautbart, sie würden mit Sicherheit keine Negativzinsen erheben – schon gar nicht auf normale Spareinlagen. Sie werden es wohl eher über allerlei Gebühren versuchen; in dieser Hinsicht können Banken sehr innovativ sein (lesen Sie dazu das Kleingedruckte in den AGB, den «Allgemeinen Geschäftsbedingungen» der Bank Ihres Vertrauens).

Dem Interesse aller verpflichtet

Darüber hinaus hat die Nationalbank die Bandbreite des Liborzinssatzes ins Negative vergrössert – von bisher 0 bis 0,25 Prozent auf neu –0,75 bis 0,25 Prozent. Diese Massnahme könnte sich sehr direkt auf das ganze Zinsgefüge auswirken – von Sparzinsen bis zu den Hypozinsen. In welchem Masse und an welchen Stellen genau die Wirkung eintreten wird, steht ebenfalls in den Sternen.

Nun ist die Schweizerische Nationalbank keine gewöhnliche Bank. Sie ist sozusagen die zentrale Geldmaschine der ganzen Schweiz, die in unser aller Interesse zu handeln hat. In unserem Interesse liegt zum Beispiel die Vollbeschäftigung; und die ist nur zu haben, wenn der Franken zu den Währungen unserer wichtigsten Handelspartner in einem vernünftigen Verhältnis steht.

Die wichtigste Handelspartner-Währung ist der Euro. Dessen Kurs soll nicht unter 1.20 Franken pro Euro sinken – darüber besteht in der Schweiz ein politischer Konsens, und dafür ist die Nationalbank zuständig. Der Negativzins, den sie nun angekündigt hat, dient genau diesem Zweck. Er soll den Zufluss ausländischer Währungen bremsen, was die Nachfrage nach Franken schwächt und so dessen Preis (den Wechselkurs) nach unten drückt.

Zuständig ist die Nationalbank auch für die Kontrolle der Inflationsrate. Auch wenn derzeit bei uns kaum Inflationsgefahr besteht, sind die Preise alles andere als stabil – sie gehen seit einiger Zeit nach unten, und die Nationalbank prognostiziert ein Anhalten dieses Trends im nächsten Jahr.

Was immer die Nationalbank tut – es kann unerwünschte Nebenwirkungen haben.

Als Konsument sollte man sich über anhaltend sinkende Preise besser nicht allzu sehr freuen. Denn die haben eine Kehrseite: Wenn aufgrund des Preiszerfalls die Unternehmen anfangen, ihre Produktion zu drosseln (weil es sich einfach nicht mehr lohnt, weiter zu produzieren), wird sich das sehr schnell auf die Beschäftigung auswirken. Mit dem Negativzins versucht die Nationalbank, der Deflationsgefahr entgegenzusteuern. Wie wirksam das sein wird, steht schon wieder in den Sternen.

Die Politik der Nationalbank (jeder Zentralbank der Welt) ist eben keine exakte Wissenschaft – wie übrigens die gesamte ökonomische Lehre und Forschung. Was immer die Nationalbank tut, kann unerwünschte Nebenwirkungen haben. Den Frankenkurs mit dem ungebremsten Ankauf von Fremdwährungen zu stabilisieren, schafft ein Klumpenrisiko in der Bilanz und birgt die Gefahr eines gewaltigen Inflationsschubs in der Zukunft. Den Frankenkurs den Marktkräften zu überlassen fördert die Arbeitslosigkeit ebenso wie eine anhaltende Deflation. Aber auch eine anhaltende hohe Inflationsrate wäre für breite Bevölkerungskreise schrecklich – zum Beispiel für die Rentner. Zu hohe Zinsen sind ein Graus für Wohneigentümer, zu niedrige ein Schrecken für die Pensionskassen.

Kurz: Was immer die Nationalbank tut, es ist für irgendjemanden irgendwie falsch – und wahrscheinlich gerade deshalb goldrichtig. Sie hat sehr oft nur die Wahl zwischen Pest und Cholera und muss einen mittleren Weg finden, der uns mit einer leichten Erkältung davonkommen lässt. Immerhin ist die Schweiz schon seit Längerem eines der reichsten Länder der Welt. Auch dank der «unmöglichen» Politik ihrer Nationalbank.

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