Das Niveau der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen ist desolat. Die Kampagne beschränkt sich auf goldene Symbole und wolkige Worte. Das ist schade und schadet einer guten Idee.
Wenn zwei sich streiten, dann sind sie sich meist zumindest in einem einig: dem Grund ihrer Meinungsverschiedenheit. In dieser Einigkeit besteht der erste Schritt, sich wieder näherzukommen. Man spricht über das Gleiche, sucht Klärung, wo sie möglich ist. Lotet aus, wo Raum besteht, aufeinander zuzugehen.
In der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) fehlt diese Einigkeit vollständig. Befürworter und Gegner reden permanent aneinander vorbei, oft sprechen sie nicht einmal die gleiche Sprache. Das ist ärgerlich.
Es ist ärgerlich, weil dadurch das grosse Ziel der Initiative aus dem Fokus rückt: Die grundsätzliche Debatte, die auch nach der Abstimmung vom 5. Juni weitergehen soll. Die in der Gesellschaft einen Keim legen, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zuerst Wurzeln schlagen und später erste Knospen treiben soll. Ein Vordenker versagt, wenn er seine Vision nicht artikulieren und Gegenargumente glaubhaft entkräften kann.
Für kritische Argumente gab es bei der «langen Nacht des Grundeinkommens» weder Verständnis noch offene Ohren.
Wie desolat das Diskussionsniveau rund um das BGE ist, zeigte sich vergangene Woche bei der «langen Nacht des Grundeinkommens». Die Veranstaltung im Theater Basel sollte dazu dienen, Fragen zum BGE auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Auf starke Bilder versteht sich die Pro-Kampagne, also wurden die Podiumsdebatten und Streitgespräche in einem Boxring geführt. Hinter goldenen Seilen, im grellen Licht der Scheinwerfer. Mit Politkolumnist Daniel Binswanger in der Rolle des Ringrichters/Moderators.
Bei einem Schlagabtausch blieb es denn auch meistens, und zwar einem unerfreulichen. Befürworter wie etwa die SP-Ständerätin Anita Fetz sammelten billige Punkte und tobende Zustimmung im Publikum mit Bemerkungen zu «überrissenen Managergehältern». Kritiker wiederum mahnten die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Risiken eines Grundeinkommens an. Die reale Gefahr etwa, dass Teilzeitarbeit an Reiz verliere. Der Saal tobte ebenfalls, doch wurden solche Voten ausgebuht oder -gepfiffen. Den BGE-skeptischen Vertreter von Avenir Suisse liess man nicht ausreden, indem man ihn so lange beklatschte, bis er entnervt die Bühne verliess. Für kritische Argumente gab es im eng besetzten Theaterfoyer weder Verständnis noch offene Ohren.
Die Fürsprecher des BGE und ihre Kampagne kranken daran, dass permanent von oben herab argumentiert wird.
Wenig Berührungspunkte gab es im Duell Adolf Muschg (Schriftsteller) gegen René Lüchinger (Chefredaktor «Blick»). Lüchinger biss sich am Argument fest, ein Grundeinkommen von 2500 Franken sei zu tief, um eine «Befreiung von wirtschaftlichen Zwängen» darzustellen. Muschg holte weit aus und landete nach einer rhetorischen Irrfahrt im alten Griechenland, um seine These von der Musse als kreative Kraft zu untermauern. Zwischen Muschg und Lüchinger lagen nicht nur mehrere Tausend Jahre, sie gingen auch inhaltlich in keiner Weise aufeinander ein.
Die Fürsprecher des BGE und ihre Kampagne kranken daran, dass permanent von oben herab argumentiert wird. Stellen die Gegner die Finanzierungsfrage, heisst es: «Ihr versteht es nicht, das Geld ist doch längst vorhanden.» Wird ins Feld geführt, dass mit einem BGE wohl niemand mehr die sogenannte Drecksarbeit verrichten würde, heisst es: «Dreckig ist nicht die Arbeit, dreckig sind die Umstände. Das deckt das Grundeinkommen auf. Das Grundeinkommen putzt die Drecksarbeit.» (Aus dem Buch «Was fehlt, wenn alles da ist?»)
Kritische Fragen werden mit Gegenfragen «beantwortet» oder mit zirkelschlussartigen Argumentationsgebilden eingenebelt. Die Kampagne nutzt zwar äusserst geschickt die medialen Aufmerksamkeitsmechanismen, sind die Kameras und Mikrofone dann jedoch auf die BGE-Initianten gerichtet, haben diese ausser goldenen Symbolen (wieso eigentlich das Luxusgut Gold, wenn es doch um eine bescheidene Existenzsicherung geht?) und wolkigen Worten wenig herzuzeigen und mitzuteilen. Die Kampagne glitzert, ist laut und gibt sich damit zufrieden.
Weil die Kampagne im Vagen bleibt, macht sie es den Gegnern unnötig leicht, die Initiative in der Luft zu zerreissen.
Das ist schade und schadet einer guten Idee. Viele Vordenker aus Wirtschaft und Politik wie etwa der ehemalige US-Arbeitsminister Robert Reich, der britische Publizist Paul Mason oder der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis sehen im Grundeinkommen die Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen, die nicht mehr aufzuhalten sind. Sie führen die Diskussion auf einem ganz anderen Niveau. So schlägt etwa Reich zur Finanzierung eine Kapitalsteuer vor und tut damit etwas, wovor sich die BGE-Initianten scheuen: Er macht explizit, dass das Grundeinkommen eine Umverteilung zum Ziel hat.
Weil die Kampagne hier im Vagen bleibt, macht sie es den Gegnern unnötig leicht, die Initiative in der Luft zu zerreissen und wahlweise als «Utopie», «Aprilscherz», «Luftschloss» oder «Schlaraffenland»-Fantasterei zu bezeichnen. Die Deutungshoheit in der Umsetzung wurde komplett dem Bundesrat überlassen, der die Vorlage ablehnt. Die NZZ druckt im Zwei-Wochen-Takt hämische Kommentare, in der «Basler Zeitung» darf sich jeder, der will, ätzend zu den linken Faulenzern auslassen und die «Weltwoche» hat in dieser Frage ohnehin jegliche Hemmungen abgelegt.
Es scheint fast, als sei die Abstimmung vom 5. Juni auch den Befürwortern eher lästig.
Dabei sind die Gegner nicht einmal sonderlich gut organisiert. Eine einzige Medienkonferenz hat das überparteiliche Komitee bisher veranstaltet. Ausser den Grünen haben alle Parteien die Nein-Parole beschlossen, doch von einer Gegen-Kampagne kann nicht die Rede sein. Zu klein sind die Erfolgsaussichten der BGE-Initiative, als dass sich der Effort politisch auszahlen würde. Für die «lange Nacht des Grundeinkommens» fanden sich kaum Exponenten aus der Gegnerschaft, sodass FDP-Grossrat Luca Urgese einen regelrechten Auftrittsmarathon ablegen und an mehreren Streitgesprächen teilnehmen musste.
Es scheint fast, als sei die Abstimmung vom 5. Juni auch den Befürwortern eher lästig. Ist der Urnengang erst einmal überstanden und die bereits allseits akzeptierte, haushohe Niederlage eingefahren, kann endlich wieder auf der bequemen Meta-Ebene weiterdiskutiert und vorgedacht werden. Bis dann die Zeit wirklich reif ist für eine konkrete Idee zum bedingungslosen Grundeinkommen.