Die deutliche Annahme der Pädophileninitiative ist mehr als ein Ja zu einem härteren Umgang mit Sexualstraftätern – sie ist Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der Justiz.
Der Ausgang dieser Abstimmung ist keine Überraschung. Die Annahme der Pädophileninitiative hat sich bereits in den Abstimmungsumfragen abgezeichnet, und sie setzt einen langjährigen Trend fort: Das Volk ist unzufrieden mit der Arbeit der Gerichte, es will mehr Härte in der Justiz.
Bereits die Verwahrungs- und die Verjährungsinitative (2004 und 2008) wurden mit klaren Mehrheiten angenommen. Jetzt werden die Schrauben noch mehr angezogen: Sexualstraftäter, die wegen Übergriffen auf Minderjährige verurteilt werden, sollen künftig automatisch und lebenslänglich nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürfen.
Es ist ein einscheidender Entscheid, der Richterinnen und Richtern kaum mehr Ermessensspielraum lässt.
Es ist ein einscheidender Entscheid, der Gerichten kaum mehr Ermessensspielraum lässt: Wegen des von der Initiative verlangten Strafautomatismus‘ können Richterinnen und Richter künftig die besonderen Umstände und die Schwere einer Tat nicht mehr in ihre Urteile einfliessen lassen.
Und es ist auch ein alarmierendes Verdikt. Offenbar misstrauen immer mehr Menschen dem hiesigen Strafrechtssystem, das – so ein gängiger Vorwurf – die Täter «hätschle», statt die Schwachen zu schützen und den Opfern beizustehen.
Populäres Anliegen
Die Gegner der Pädophileninitiative hatten es mit ihren Argumenten von Beginn weg schwer, denn das Anliegen der Befürworter ist populär und nachvollziehbar: Eltern sollen nicht befürchten müssen, dass ihr Kind bei einem verurteilten Pädophilen die Schulbank drückt oder ins Sporttraining geht. Die Vorstellung, dass ein Kind von einem Wiederholungstäter entführt und sexuell missbraucht werden könnte, ist für jede Mutter und jeden Vater unerträglich.
Emotionen wogen in dieser Abstimmung mehr als die Argumente der Gegner.
Solche Emotionen wogen im Abstimmungskampf mehr als die verfassungsrechtlichen Bedenken der Gegner. Etwa, dass das im Initiativtext verlangte automatische Berufsverbot für verurteilte Pädophile gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip – ein verfassungsmässiges Grundrecht – verstösst und zu Fehlurteilen führen kann. Oder dass die Hauptforderung der Initiative bereits mit der 2013 beschlossenen Verschärfung des Strafgesetzes erfüllt worden ist und das neue Pädophilie-Gesetz sogar einen besseren Schutz vor Übergriffen bietet als die Initiative: So können Richter etwa ab 2015 neben Arbeits- auch Rayon- und Kontaktverbote verfügen.
Radikales Volksbegeheren
Eine Mehrheit der Stimmenden vermochten diese Einwände nicht zu überzeugen. Wird die nun angenommene Initiative im Wortlaut umgesetzt, erhält die Schweiz europaweit die schärfsten Bestimmungen im Umgang mit Pädophilen. Und das Ja zur Initiative wird jenen Kritikern der «Kuscheljustiz» Vorschub geben, die die Paragrafendichte weiter vergrössern und den Spielraum der Richter noch mehr verkleinern wollen.
In diesen Tagen hat Anita Chaaban, die Urheberin der Verwahrungsinitiative, zwei neue Volksbegehren lanciert. Ein «Zentralregister zur Beurteilung von Sexual- und Gewaltstraftätern» soll die Fahndung nach gefährlichen Tätern erleichtern. Ausserdem will Chaaban eine weitgehende «Haftung für Rückfälle von Sexual- und Gewaltstraftätern» einführen: Richter und Gutachter sollen künftig für ihre Fehlentscheide geradestehen müssen.
Gefährliche Verschärfungstendenzen
Solche Verschärfungstendenzen sind gefährlich, weil sie die Unabhängigkeit der Justiz gefährden und den wichtigsten Grundsatz der Rechtssprechung unterlaufen – das Prinzip «in dubio pro reo». Strafrechtsexperten warnen bereits davor, dass Richter im Zweifelsfall vermehrt gegen statt für den Angeklagten entscheiden könnten – aus Angst vor möglichen negativen Konsequenzen für sich selber. Es wäre ein bedenklicher Rückfall in vormoderne Zeiten.