Die Anrufung des Antirassismus-Gesetzes eines Basler Musikers gegen den Komiker Massimo Rocchi ist eine fragwürdige Aktion: Sie schädigt die Antirassismus-Strafnorm.
Der Komiker Massimo Rocchi hat in der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» mit seinen Bemerkungen zum jüdischen Humor das Stereotyp des «geldgierigen Juden» bedient und ist nun vom Basler Musiker David Klein wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm (Art. 261bis) angezeigt worden. Jetzt können alle ihre Meinung zu diesem Fall und zur Frage äussern: Was darf ein Komiker, was nicht?
Es handelt sich um eine fragwürdige Anzeige. Nicht nur, weil sie erklärtermassen aus Frustration des Anzeigenden erfolgt ist, weil auf dessen Bitte um eine klärende Stellungnahme nicht sogleich reagiert worden ist und angefragte Medien kein Interesse für den Fall gezeigt hatten. Jetzt ist angezeigt worden, und jetzt interessieren sich alle dafür. Die Mobilisierung der Justiz sollte aber im Tatbestand selbst begründet sein und nicht davon abhängen, was nachher zur Sache passiert.
Wollen wir wetten, dass es nicht zu einer offiziellen Anklage gegen Rocchi kommen wird?
Eine Anzeige ist indessen nur eine Anzeige. Man bringt der potentiellen Strafverfolgungsbehörde einen Fall zur Kenntnis, damit diese (was bei einem Offizialdelikt ihre Pflicht ist) prüft, ob eine Strafverfolgung eingeleitet werden muss. Die Feststellung von «20 Minuten», dass «nun die Richter entscheiden müssen», stimmt so nicht. Zunächst entscheidet die Staatsanwaltschaft, wie mit der Anzeige umzugehen sei.
Wollen wir wetten, dass es nicht zu einer offiziellen Anklage kommen wird? Läuft es darauf hinaus, können wir beruhigt feststellen, dass die Äusserungsfreiheit der Komiker nicht ungebührlich eingeschränkt worden ist.
Dennoch können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Es bleiben nämlich zwei Geschädigte zurück. Einmal die Gruppe der Juden, weil sie bei dieser Gelegenheit wegen der Anzeige schnell als «überempfindlich» und «nachtragend» eingestuft werden. Darum ist es gut, dass Rocchis Äusserungen auch von jüdischer Seite mit klaren Worten entdramatisiert worden sind.
Die Strafnorm ist das andere «Opfer»
Das andere Opfer ist die Antirassismus-Strafnorm 261bis selber. Man konnte auch das bereits hören – etwa in einem Gastbeitrag im «Blick»: Rechtsvorschriften im Bereich der rassistischen Diffamierung seien generell abzuschaffen.
Hier zeigt sich, dass die Überbeanspruchung einer Norm diese als solche gefährdet. Da darf uns das Wort vom Bärendienst in den Sinn kommen, das eine Handlung meint, die in bester Absicht jemandem einen Schaden zufügt und durch die Fabel La Fontaines populär wurde, wonach ein Bär einem ihm befreundeten Gärtner eine Fliege vom Kopf verjagen will und so mit seiner Pranke den Mann erschlägt.
Doch nicht zur übertriebenen Inanspruchnahme einer Rechtsnorm sollten wir eine Meinung haben, sondern auch zu denjenigen, die bei dieser Gelegenheit frohlockend («Da sieht man es doch!») den Schutz gleich insgesamt als überflüssig erklären, das heisst abschaffen wollen.
In der Gerichtspraxis gibt es Paradefälle oder «Leading cases». Als die Antirassismus-Strafnorm 1995 in der Schweiz eingeführt wurde, war es den Experten klar, dass man mit Anzeigen oder Klagen sorgsam umgehen und nur klare Rechtsverstösse vor Gericht bringen sollte, um nicht mit Freisprüchen zu zweifelhaften Fällen die Norm zu beschädigen.
Jetzt sind wir gehalten, in der «Causa Rocchi» (und Eingeweihte können auch die «Causa Tschappät» beifügen) ein Leading example für ungutes Rufen nach dem Kadi zu sehen.
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Der Autor war von 1995 bis 2011 Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus.