Die Vergabe des Nobelpreises für Literatur an Swetlana Alexijewitsch kann als Protest gegen den weissrussischen Präsidenten Lukaschenko gelesen werden. Die Auszeichnung schmälert das aber nicht.
Man soll ja in die Vergabe von Literaturnobelpreisen nicht zu viel Politik hineininterpretieren. So jedenfalls will es die reine Lehre. Und es ist gewiss ein zeitlicher Zufall, dass ausgerechnet an diesem Sonntag in Weissrussland eine unfreie «Wahl» stattfindet – nur vier Tage, nachdem das Nobelkomitee die Vergabe der wichtigsten Literaturauszeichnung der Welt an die weissrussisch-ukrainische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch bekanntgegeben hat. Aber ist es wirklich reiner Zufall?
Kaum.
Wer die Werke der Weissrussin kennt und ein wenig über ihr Leben weiss, erkennt schnell die Verbindungslinien zu Politik und Geschichte. Alexijewitsch hat über den Zweiten Weltkrieg geschrieben, über Tschernobyl und Afghanistan.
In Weissrussland sind ihre Texte verboten
Die gebürtige Westukrainerin hat journalistisch gearbeitet und hat immer wieder die Lage in ihrem zweiten, eigentlichen Heimatland kritisiert: In Weissrussland habe «der Sowjetmensch überlebt», schrieb sie – und meinte damit nicht zuletzt den Präsidenten Alexander Lukaschenko, der als «letzter Diktator Europas» gilt, obwohl ihm andere, allen voran der Russe Wladimir Putin, diesen Rang inzwischen streitig machen.
So gesehen wird der Literaturnobelpreis in diesem Jahr eben doch zuallererst als politischer Preis an eine Schriftstellerin vergeben, deren Texte in ihrer Heimat verboten sind. Das spricht nicht gegen das Niveau der Werke, die Alexijewitsch schafft. Aber unter rein künstlerischen Aspekten hätte es sicher andere, bessere Kandidaten gegeben.
Kultur unter den Panzerketten der Machtpolitik
Mit Alexijewitsch bekommen den Preis stattdessen all jene Intellektuellen, die in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion für die Freiheit, vor allem für die geistige und kulturelle Freiheit, und gegen eine neue Unterdrückung à la Putin und Lukaschenko kämpfen und leiden, sei es auf dem Maidan in Kiew, in weissrussischen Arbeitslagern oder verstreut im weiten Russland.
Das ist eine wichtige, eine herausragend gute Entscheidung! Denn es gehört zu den am schwersten erträglichen Aspekten der Resowjetisierung Russlands und seiner Nachbarländer, dass eine Kulturwelt ersten Ranges unter den Panzerketten der Machtpolitik zermalmt wird.
Es ist Alexijewitschs existenzielle Erschütterung und Enttäuschung über diese Entwicklung, die aus ihren Texten spricht. Der Literaturnobelpreis wird für sie ein schwacher Trost sein.