Der Kampf für das Recht auf Party ist politisch

Am vergangenen Wochenende tanzten Tausende für mehr Freiräume durch Bern. In Basel nahmen Tausend die E-Halle und feierten bis zum Morgen. Stellt sich die Frage: Sind es nur konsumgeile Kids, die zu geizig sind, den normalen Bierpreis zu zahlen? Oder werden wir Zeuge einer politischen Bewegung? Ein Kommentar.

Nach der illegalen Party auf dem nt-Areal stellen sich Fragen: Gehen die jungen Leute von heute nur noch für Bier auf die Strasse? Oder steckt hinter der Forderung nach mehr Freiräumen doch so etwas wie eine Jugendbewegung?

Über 10’000 tanzten am Samstag durch Bern. Gleichzeitig bemächtigten sich in Basel über 1000 junge Leute der E-Halle auf dem nt-Areal, um dort die Nacht durchzufeiern. Von politischer Message auf den ersten Blick keine Spur. Dafür passten die Vermummten, die die Polizei davon abhielten, die Party aufzulösen, perfekt ins Klischee der gewalttätigen Chaoten, das von den Medien so gern gepflegt wird.

Die Polizei erklärte tags darauf in ihrem Communiqué ihre Zurückhaltung damit, dass «die Menge hauptsächlich aus zufälligen Partygängern» bestanden habe. Im Interview mit dem Regionaljournal gab Polizeisprecher Klaus Mannhart einen weiteren Grund zum Besten: Im Unterschied zur illegalen Party in der ehemaligen Grosspeter-Garage, die von der Polizei resolut aufgelöst wurde, habe jene vom Samstag keinen politischen Hintergrund gehabt.

Was für die einen ein Segen, ist für andere ein Manko. Der erste Kommentator des TagesWoche-Artikels attestierte der Party auf dem nt-Areal einen Mangel an politischer Message. Andere bemängelten die fehlende Kritik der TagesWoche am gewaltbereiten Vorgehen der vermummten Organisatoren:


Erst zum zweiten Vorwurf: Bei allem Respekt – woher sollen die Organisatoren der Sauvage den Glauben nehmen, die Polizei liesse sich anders davon abhalten, die Party zu stürmen, als durch Barrikaden? Ist nicht jede illegale Party der jüngeren Vergangenheit umgehend aufgelöst worden? Und – bei allem Respekt: Würden Sie in einer solchen Situation den Polizei- und Pressefotografen mit unverhülltem Gesicht in die Kamera lächeln? Zur Erinnerung: Wer sich freimütig bei einer Straftat filmen lässt, wird am nächsten Tag als «Trottel der Nation» durch die Boulevardpresse geschleift.

Ich hatte am Freitagabend auf dem nt-Areal von der bevorstehenden Sauvage erfahren. Kommt alle, hiess es, diesmal müssen wir so viele sein, dass sie uns nicht vertreiben können. Als ich dann am Samstagabend um 22.45 Uhr zur Dreirosenbrücke kam, zog eine Prozession von über 100 Leuten zu Fuss und mit Velos von der Dreirosenbrücke zum nt-Areal. Ähnliche Züge bildeten einen eigentlichen Sternmarsch aus verschiedenen Richtungen. Rein zufällig?

Als wir bei der E-Halle ankamen, wurde ich Zeuge dieser Szene: Zwei Polizisten, die mit ihrem Kastenwagen vor der Barrikade standen, versuchten einen der Vermummten zu greifen. Sie überlegten es sich rasch anders, als sie erkannten, dass das Ansinnen angesichts ihrer numerischen Unterlegenheit wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Einer der beiden funkte noch rasch eine Lagebeurteilung an die Einsatzleitung und erhielt offenbar Order zum Rückzug. Bevor er ihn antrat, rief er der Menge zu: «Seid anständig!» Und bekam zur Antwort: «Haut endlich ab, dann sind wir anständig!»

Ja, Vermummte waren es in der Tat, die die Party organisiert hatten. Und die für einen reibungslosen Ablauf sorgten. An jeder durchschnittlichen Techno-Party passiert mehr. Die Zeit, in der sie ihre Generatoren, Bierstände, DJ-Pults und Bierstände aufgestellt hatten, war rekordverdächtig. Okay, sie haben nachher nicht aufgeräumt. Aber das haben sie in Bern nach ihrer Tanzdemo auch nicht. Und nach der Meisterfeier in der Basler Innenstadt übrigens auch nicht.

Nun zur fehlenden politischen Message: Die jungen Leute kämpfen für ihr Recht auf Party und gegen die Kommerzialisierung. Wie war es denn in den 80ern? Ich freu mich schon auf die Schelte für diesen unzulässigen Vergleich. Denn die, die damals am Start waren, werden sich verbitten, mit diesen «Konsumkids» in einen Topf geschmissen zu werden. Genauso wie sich die 68er verbaten, mit den «AJZ-Chaoten» verglichen zu werden.

Heute sind beide so alt, dass sie die Ereignisse aufgrund von Medienberichten beurteilen («Früher hatten wir noch politische Ziele!») – oder wegen Ruhestörung reklamieren, wenn mal ein paar Halbwüchsige vor ihrer teuer ersparten Genossenschaftswohnung abhängen. Früher kämpften sie gegen Verbote, Establishment, und – ja: für Freiräume. Heute sind sie nicht anders als die Alten von damals.

Heute reicht es uns gerade noch, die grassierende Überregulierung durch den Staat zu beklagen. Wenn einer aus rein kommerziellen Erwägungen einen Krieg gegen das Rauchverbot lanciert, finden wir es klasse, weil es der ganzen Schweiz den ungehorsamen Geist der ach so anderstickenden Bebbi zeigt. Ein Pappendeckel mit weissem F auf orangem Grund macht uns zum Teil des Widerstands.

Aber wehe, die Jungen räumen nicht auf nach ihren Saubannerzügen durchs gentrifizierte Voltaquartier. Schauen Sie sich doch mal den neuen Robinsonspielplatz auf der Voltamatte an! Aus dem ersten Robispielplatz der Schweiz ist ein eigentliches «Robi-Resort» geworden. Komfortabel, convenient – und eingezäunt. Spricht das nicht Bände?

Letztlich kämpfen die Jungen gegen, respektive für das Gleiche wie die Alten: Gegen die Bürokratisierung, Verbote und Repression, für ihr Recht sich auszuleben. Die Kreativität, mit der sie zur Sache gehen, steht jener der verklärten 80er übrigens in nichts nach. Wer den Weg über ein paar zertätschte Bierflaschen nicht scheut, kann sich an und in der E-Halle davon überzeugen – sofern sie noch offen ist.

Bleibt die Frage, ob das Phänomen, dessen Zeugen wir gerade werden, das Zeug zu einer Bewegung hat. Jenen, die Teil davon sind, wird es recht wurscht sein, wie ihre Eltern und Grosseltern das beurteilen. Wehrhaft – und vor allem zahlreich – genug, um die von ihnen geschickten Störenfriede fernzuhalten, sind sie allemal.

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