«Schweizer Recht statt fremde Richter» heisst die neuste SVP-Initiative. Mit einem juristisch abstrakten Thema will die Partei im Wahlkampf punkten. Auf lange Sicht könnte die Initiative fatale Folgen für die Schweiz haben.
Vor über einem Jahr gelang der SVP ein Coup. Sie versprach, dass unser Land die Zuwanderung dank der Masseneinwanderungs-Initiative selber bestimmen könne – und kam damit bei den Stimmbürgern gut an.
Nun legt die Partei mit der «Selbstbestimmungs-Initiative» nach. Von langer Hand vorbereitet, will sie die Bundesverfassung als «oberste Rechtsquelle» definieren, womit völkerrechtliche Verträge künftig hinten anstehen müssten. Sollte diese Volksinitiative irgendwann durchkommen, wäre das allerdings ein Schuss, der leicht nach hinten losgehen könnte – nämlich dann, wenn die Schweiz völkerrechtliche Verträge kündigen müsste und somit auf der internationalen Bühne keinen Rückhalt mehr hätte.
Das alte Klischee der «fremden Richter»
Auf den ersten Blick wirkt der Slogan «Denn hier entscheiden wir» vernünftig. Es sei traurig, «dass wir über Selbstbestimmung sprechen müssen», erklärte SVP-Übervater Christoph Blocher am Dienstagvormittag bei der Vorstellung der Initiative in Bern. Der Staat sei nicht mehr der verfassungsmässige Gesetzgeber, die Unabhängigkeit sei bedroht. «Es ist der Staatszweck schlechthin, die Selbstständigkeit zu gewährleisten», sagte Blocher.
Für die SVP kommt die Bedrohung von «fremden Richtern» aus Brüssel und Strassburg, die über die Schweiz entscheiden. Dieses Klischee ist so alt wie die Schweiz selbst. Einst war es Habsburg, heute ist es die EU. Viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sprechen noch immer darauf an.
Franken-Schock, Wirtschaftsmisere, EU-Knatsch, alles offene Fragen, auf die die SVP eine einfache Antwort bereithält.
Der Begriff «Selbstbestimmungs-Initiative» ist ähnlich sperrig wie «Masseneinwanderungs-Initiative», das Anliegen ist juristisch komplex. Kann die SVP damit im Wahlkampf punkten? Aber sicher, ist Blocher überzeugt. «Die Leute wissen es noch nicht, aber sie merken, dass sie ausgebootet werden.»
Mit dem Thema könnte die rechtspopulistische Partei wieder einmal einen Nerv treffen. Franken-Schock, Wirtschaftsmisere, EU-Knatsch, alles offene Fragen, auf die die SVP eine einfache Antwort bereithält: Selbstbestimmung.
Schuld sind wie immer die anderen. «Denen da oben» habt ihr es zu verdanken, wenn ihr euren Job verliert, lautet die Botschaft zwischen den Zeilen. Sie könnte bei manchen Bürgerinnen und Bürgern auf Anklang stossen.
Der Schweiz würde die Isolation drohen
Die Folgen einer Annahme der Initiative wären fatal. Menschenrechtsexperten gehen davon aus, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) damit vom Tisch gefegt würde. SVP-Hausjurist Hans-Ueli Vogt schliesst das nicht aus. Die Kündigung der EMRK sei zwar nicht das primäre Ziel, aber wenn die Umsetzung von Initiativen – wie Minarett- und Ausschaffungs-Initiative – zu einem Widerspruch mit der EMRK führe, dann müsse man die Kündigung als ultimo ratio in Kauf nehmen.
Die Menschenrechtsorganisation «Schutzfaktor M» geht davon aus, dass der «Angriff auf die Menschenrechte bewusst getarnt» sei. Andrea Huber von dieser Organisation spricht deshalb von der «gefährlichsten Initiative», die sie je erlebt hätte. Sie koordiniert den Widerstand gegen die Initiative, 50 Organisationen stehen hinter ihr.
Auch die Präsidenten aller Bundeshaus-Parteien – selbstverständlich ausser SVP – haben ein gemeinsames Communiqué dagegen verfasst. Es heisst in dieser Frage wieder einmal: Alle gegen die SVP.
Was macht die Initiative so gefährlich? Sie könnte dazu führen, dass die Schweiz keine verbindlichen Verträge mehr mit anderen Staaten aushandeln kann. Das internationale Recht besteht aus einem Geben und Nehmen. Wer das eigene Recht über alles stellen will, steht alsbald alleine da im Konzert der internationalen Kräfte.
Im Endeffekt wäre die Schweiz kein legitimer Partner mehr für internationale Verträge. Die Folgen für Wirtschaft und Handel sind nicht absehbar. Die Schweiz hätte zwar eine Verfassung, über der nur noch Gott stehen würde, aber sie wäre von verbindlichen Regelungen innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft ausgeschlossen.
Ausserdem: Wenn die Schweiz die EMRK kündigen würde, würde sie sich auf eine Ebene mit Weissrussland begeben. Dort hält man ebenfalls nichts von der EMRK. Das Ansehen des Strassburger Gerichtshofs würde dadurch nicht gerade steigen, wenn die Schweiz sich als eines der fortschrittlichsten Länder in Sachen Menschenrechte aus diesem System zurückziehen würde. Staaten wie Russland oder die Türkei würden die Glaubwürdigkeit des Strassburger Gerichtshofs in Zweifel ziehen und der Menschenrechtsschutz in Europa geschwächt.