«Miteme Fäldsturm hets aagfange – miteme Fäldsturm hörts uff.» Auf einem Transparent so breit wie der Sektor D im Joggeli, dort wo die Muttenzerkurve ihr Zuhause hat, haben die Fans des FC Basel eine Dekade in zwei Sätze destilliert und im letzten Saisonspiel vor 30’000 Zuschauern für einen Moment zwischen Herzstillstand und Gänsehaut gesorgt. 1000, vielleicht auch mehr Fans beanspruchten den Rasen und Spielzeit, um für fünf Minuten friedlich zu demonstrieren. Und FCB-Präsident Bernhard Heusler zu feiern: «Chapeau Bärni!»
Elf Jahre sind vergangen seit der «Schande von Basel» – wie die heftigen Ausschreitungen im und um den St.-Jakob-Park nach der meisterschaftsentscheidenden Niederlage gegen den FC Zürich gebrandmarkt sind.
Heute darf man festhalten, dass die FCB-Fans Sinn für den Umgang mit sich und ihrer Geschichte und auch für Selbstironie haben. Diese wilde und bunte, laute und manchmal gefährliche Kurve, die ihre Eigenständigkeit reklamiert in einer Gesellschaft, der Ungezügeltheit suspekt ist und die in ihrer Ratlosigkeit meist nur Repression als Antwort hat.
Eine würdevolle Grenzübertretung
Der Tabubruch, also das Betreten des Platzes, und das während eines laufenden Spiels, wurde hier als Gegengift eingesetzt. Der friedliche Platzsturm – der gar kein Sturm war, sondern eher eine würdevolle, fein orchestrierte Grenzübertretung – als Statement: Seht, das nehmen wir uns heraus, einem Menschen zur Ehre, der uns und unserer Verständnis von Fansein ernst genommen und zu verstehen versucht hat.
Die Busse, die die Liga schon deshalb aussprechen muss, um ihre Prinzipien hochzuhalten und kein Präjudiz zu schaffen – diese Busse wird wie viele andere Bussen für das Abbrennen bengalischer Fackeln zu verschmerzen sein.
Die Botschaft aber, welche die Kurve mit der ihr eigenen sprachlichen Kreativität auf den Punkt gebracht hat, die bleibt: «Zämme unter ainere Deggi gsteggt» war an jene politischen Populisten adressiert, die den Basler Weg, den Dialog mit der Kurve, den Bernhard Heusler 2006 als Krisenmanager aufgenommen hat, nie verstanden haben.
Heusler hielt Grundrechte hoch und lehnte einfache Rezepte ab. Er hat die Energie einer Kurve und ihre Bedeutung für den Fussball respektiert.
Heusler machte sich auf diesen Weg in einer aufgeheizten Phase. Die Euro 2008 stand vor der Tür und mit ihr das sogenannte Hooligan-Konkordat. In dieser Zeit hat Heusler eine Position entwickelt, die ihm Glaubwürdigkeit verschaffte im Umgang mit Fangruppen. Er hat gelernt, wie heterogen sie zusammengesetzt sind. Er hat es sich nicht nehmen lassen, sie als Teil einer Jugendkultur in der Gesellschaft wahrzunehmen, selbst wenn es wieder einmal geknallt hat.
Auch wenn er dadurch Angriffsfläche bot für Kritiker, die ihn als Verharmloser darstellten: Heusler plädierte dafür, Grundrechte hochzuhalten, wehrte sich gegen Kollektivstrafen, warb für Verhältnismässigkeit und Augenmass und lehnte die einfachen Rezepte zur «Reinigung» der Stadien ab. Er hat die Energie und den Zusammenhalt einer Kurve und ihre Bedeutung für den Fussball respektiert. Und er hat sich im Mai 2014, nach Ausschreitungen einiger Chaoten aus den FCB-Reihen in Aarau, drei Tage später in den Mittelkreis des St.-Jakob-Parks gestellt und 32’000 Menschen zugerufen: «Wir wollen das nicht!»
Den Dialog aufrechterhalten
Dass er damit die nächste Eskalation, den nächsten Gewaltausbruch nicht würde verhindern können, war ihm auch in jenem Moment bewusst. Und als sich die Gewalt wieder Bahn brach, wie zuletzt im April 2016 auf der Plattform hinter dem Stadion, hat Heusler den Dialog aufrechterhalten.
«Gfange in däm ideologische Buff» lautete ein Bekenntnis der FCB-Fans am letzten Freitag. Es richtete sich an sie selbst – die Fans, die bereit waren, ihren aus der Ultrabewegung gespeisten Geist an die Basler Gegebenheiten anzupassen.
Man darf gewiss sein: Diese eigenwillige Demonstration, die friedliche Invasion des Joggeli-Rasens – ein schöneres und passenderes Abschiedsgeschenk hätten diese Fans dem abtretenden Präsidenten nicht machen können. Nebst den vielen Titeln, den glänzenden Bilanzen und den vielen Millionen auf dem Festgeldkonto ist auch der Umgang mit den Fans eine Hinterlassenschaft der alten Clubführung. Ein Vakuum, das die neue füllen muss.