In der Mehrzahl der Kantone lehnen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verlängerte Ladenöffnungszeiten ab. Jetzt will der Bundesrat die Kantone zwingen, diese einzuführen. Dahinter stehe nichts anderes als der Angriff auf das Recht auf arbeitsfreie Zeit. Dieses gelte es zu verteidigen, schreibt die Co-Präsidentin der Gewerkschaft Unia.
Anfang März hat die Solothurner Stimmbevölkerung eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten von 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr an Wochentagen deutlich abgelehnt. Für die Solothurner Verkäuferinnen und Verkäufer ist das ein grosser Sieg. Viele von ihnen haben Familie, oft kleine Kinder, einige sind alleinerziehend, und alle verdienen sehr wenig, so dass sie sich kaum ausserfamiliäre Kinderbetreuung leisten können. Da macht es für die betroffenen Kinder einen riesigen Unterschied aus, ob das Mami – oder der Papi – um 7 Uhr abends zu Hause sein kann oder erst gegen 9.
Die Solothurner stehen mit ihrer Skepsis gegen immer noch mehr Kommerz auf Kosten der Lebensqualität zum Glück nicht alleine da. In der Mehrzahl der Kantone haben die Stimmenden in der vergangenen Dekade eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten abgelehnt. Bei 15 von 16 Abstimmungen haben sie einem Referendum der Unia zum Sieg verholfen. Die Verkäuferinnen und die kleinen Ladenbesitzer, welche unter der Konkurrenz durch die Grossverteiler ächzen, danken es ihnen.
Dennoch muss man sich Sorgen machen. Die vielen positiven Volksentscheide und die entsprechenden kantonalen Gesetze, werden vielleicht bald das Papier nicht mehr wert sein, auf dem sie stehen. Der Bundesrat will nämlich die Kantone zwingen, von Montag bis Freitag Ladenöffnungszeiten von mindestens 6 bis 20 Uhr vorzuschreiben.
Auf Kosten der Kleinen
Es ist klar, warum die Grossverteiler und internationale Detailhandelsketten ihre Läden am liebsten rund um die Uhr geöffnet hätten. Sie könnten damit ihren Umsatz auf Kosten der kleinen Läden vergrössern. Gesamtwirtschaftlich betrachtet wäre das aber ein Nullsummenspiel. Es würde damit kein einziger Franken mehr ausgegeben und kein einziger Arbeitsplatz zusätzlich geschaffen.
Man muss sich darum schon fragen, warum nicht nur die Lobbyisten der Grossverteiler im Parlament, sondern fast das ganze bürgerliche Lager das Mantra der verlängerten Ladenöffnungszeiten derart eifrig nachbeten. Trotz Abstimmungsniederlagen am Laufmeter und zum Teil gegen die Interessen der eigenen Wähler. Und warum kommt Bundesrat Schneider-Ammann auf die reichlich absurde Idee, verlängerte Ladenöffnungszeiten als Heilmittel gegen den starken Franken zu verkaufen? Um was geht es da eigentlich?
Man muss sich fragen, warum fast das ganze bürgerliche Lager das Mantra der verlängerten Ladenöffnungszeiten derart eifrig nachbetet.
Die Hintergründe werden mir klar in den unzähligen Gesprächen mit Arbeitnehmenden aus den unterschiedlichsten Branchen. Unlängst wieder mit einer Schichtarbeiterin im Aargau der zum Migros-Konzern gehörenden Chocolat Frey. «Sie haben uns einfach die Schichtzulagen für die Abendarbeit bis 22 Uhr gestrichen», beklagte sich die empörte Frau bei mir, «und sie haben gesagt, gemäss Gesetz müssten sie uns keine Schichtzulage bezahlen, und überhaupt, die Verkäuferinnen müssten ja auch bis spät in den Abend hinein arbeiten, ohne eine Zulage zu erhalten.»
Angriff auf das Recht auf arbeitsfreie Zeit
Darum geht es: Um die Abschaffung des hart erkämpften «Feierabends». Der «Normal-Arbeitstag» soll möglichst weit ausgedehnt werden, am besten rund um die Uhr und in allen Branchen – und das zum Nulltarif. Jeder vernünftige Mensch würde sich dagegen mit Händen und Füssen wehren. Ködern lässt sich nur der Konsument in uns – unter dem Motto: «Ja, ich möchte meine Fertigpizza auch morgens um 4 Uhr kaufen können!» Darum ist der Detailhandel die Speerspitze dieses Angriffs auf unser Recht auf arbeitsfreie Zeit.
Was ist zu tun? Sorgen wir an der Urne weiterhin dafür, dass das Gesetz als Schutz für uns Arbeitnehmende erhalten bleibt. Und nehmen wir die Detailhändler in die Pflicht, damit sie endlich Hand bieten zum dringend nötigen Branchen-Gesamtarbeitsvertag, in dem verbindliche und nachhaltige Regelungen der Arbeitsbedingungen für die gesamte Branche verankert werden.