Die Bevölkerung zeigt Solidarität, die Politik macht weiter wie bisher

Am Mittwoch hatte der Nationalrat die Chance, echte Veränderungen im Asylwesen anzupacken. Die Politiker beliessen es bei kleinen Schritten.

In der Bevölkerung werden Forderungen nach einer menschlichen Flüchtlingspolitik laut, in der Politik bewegt sich noch nicht viel.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Am Mittwoch hatte der Nationalrat die Chance, echte Veränderungen im Asylwesen anzupacken. Die Politiker beliessen es bei kleinen Schritten.

Beobachter der nationalrätlichen Debatte über das neue Asylgesetz wähnten sich zeitweilig im falschen Film. Die Parlamentarier sprachen über «unechte Flüchtlinge», «Ferienbesuche in Eritrea» und die «Ausschaffbarkeit» von Asylsuchenden. Als hätte es keinen Exodus aus syrischen Kriegsgebieten gegeben, keine Toten auf einer österreichischen Autobahn und keine Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen.

Während Europa eine der grössten Flüchtlingskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, macht die Politik weiter wie bisher: Restriktion, Abschreckung – und Zugeständnisse höchstens in homöopathischen Dosen. Einige Medien sprachen nach der Nationalratsdebatte von einem «Zwischensieg der Vernunft» und von einer «Schlappe für die SVP». Dabei produzierte die SVP ihre Schlappe gleich selbst.

Flüchtlingspolitik kommt nicht vom Fleck

Die Partei reichte unzählige Anträge ein, um das Asylgesetz weiter zu verschärfen – von geschlossenen Internierungslagern für Flüchtlinge bis hin zu einem Aufnahmestopp für Asylsuchende. Viele Anträge waren bar jeglicher politischer Vernunft. Sie blieben denn auch chancenlos im Parlament.

Am Ende nahm der Nationalrat das neue Asylgesetz an und machte damit den Weg frei für schnellere Asylverfahren: ein logischer Entscheid, den selbst die SVP vor zwei Jahren befürwortet hatte. Dass diese Annahme als Erfolg gewertet wird, zeigt, wie wenig die Flüchtlingspolitik bisher vom Fleck kam.

Statt den Mini-Schritten, die die Politik derzeit macht, wären auch grössere Schritte denkbar gewesen.

Botschaftsasyl hilft gegen Schlepperbanden

Beispiel: Botschaftsasyl. Vor zwei Jahren stimmte die Bevölkerung für die Abschaffung des Botschaftsasyls, bei dem Menschen in Kriegsgebieten auf einer Schweizer Vertretung einen Asylantrag stellen konnten. Sofern die Fliehenden Aussichten hatten, als Schutzbedürftige in der Schweiz zu bleiben, stellte ihnen die Schweizer Botschaft vor Ort ein Visum aus, mit dem sie auf mehr oder minder sicheren Fluchtwegen in die Schweiz einreisen konnten – nicht per Schlauchboot in den Händen von Schleppern übers Mittelmeer, sondern ganz legal per Flugzeug oder Bahn.

Die Schweiz war damals das einzige Land, welches das Botschaftsasyl noch kannte. Das Argument der Asylkritiker lautete: Wenn wir es als einziges Land aufrechterhalten, kommen mehr Flüchtlinge zu uns.

Am Mittwoch stimmte die Mehrheit des Nationalrats gegen die Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Und wieder hiess es: Wenn es die anderen nicht machen, dürfen wir es auch nicht tun. Dabei ist das Botschaftsasyl ein effektives Mittel gegen Schlepperbanden vorzugehen und Menschenleben zu retten.

Rega für Einsatz über dem Mittelmeer befähigen

Beispiel: minderjährige Flüchtlinge. Die Zahl der minderjährigen Asylsuchenden nimmt zu. Das Staatssekretariat für Migration verzeichnete 984 minderjährige Personen, die von Januar bis Juli 2015 in die Schweiz flüchteten. Die Minderjährigen sind häufig traumatisiert und sozial vernachlässigt.

Der Nationalrat stimmte darüber ab, ob Minderjährige eine Vertrauensperson erhalten sollten, während sie über mehrere Monate hinweg im Asylverfahren sind. Der Antrag wurde deutlich abgelehnt. Eine verpasste Chance, dem Flüchtlingsleid mit etwas Menschlichkeit zu begegnen.

Und die Politik könnte noch viel mehr tun: Mehr Kontingentflüchtlinge aus Kriegsgebieten unbürokratisch in die Schweiz einreisen lassen, die Hilfe vor Ort verstärken oder die Rega für Einsätze über dem Mittelmeer befähigen, wie es eine Petition des Bloggers Daniel Graf fordert.

Es braucht eine Politik, die dem Elend mit Menschlichkeit begegnet und nicht mit Zäunen

Wer sich im Bundeshaus umhört, der stellt fest, dass die Asylpolitik in der Defensive feststeckt. Grüne und SPler sind bereits froh, wenn die SVP keine Verschärfungen durchbringt. An echte Verbesserungen der Flüchtlingssitutation denken die Parlamentarier kaum.

Sicher ist eine Nicht-Verschärfung des Asylgesetzes eine gute Entwicklung für Menschen auf der Flucht. Der breite Block gegen die Brandstifter ist ein Signal gegen menschenverachtende Migrationspolitik. Aber das ist nicht genug.

Es braucht eine Flüchtlingspolitik, die sich daran misst, wie sehr sie das Flüchtlingselend mildert und nicht daran, wie gut sie die Restriktionspolitik der SVP abwehren kann. Es braucht einen echten Paradigmenwechsel, der ein menschenwürdiges Asylsystem anvisiert, unabhängig davon, wie viel die anderen Länder tun. Es braucht ein System, das Menschen auf der Flucht nicht kriminalisiert, sondern ein Recht auf Migration gewährt. Eine Politik, die dem Elend mit Menschlichkeit begegnet und nicht mit Zäunen.

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