Die Revolution ist tot. Es lebe die Revolution

Aus einem vereinten Kanton Jura wird nichts. Romantiker werden das bedauern. Doch das ist gar nicht nötig. Der Jura ist wunderbar, so wie er ist. Und ein Vorbild, für die Schweiz und ganz speziell für die Region Basel.

Die Schweiz braucht mehr Ideen, mehr Austausch – und keine neuen Grenzen. (Bild: Nils Fisch)

Aus einem vereinten Kanton Jura wird nichts. Romantiker werden das bedauern. Doch das ist gar nicht nötig. Der Jura ist wunderbar, so wie er ist. Und ein Vorbild, für die Schweiz und ganz speziell für die Region Basel.

Sie planten eine Revolution: Einen Grosskanton Jura so ähnlich wie von 1793 bis 1800 oder – lieber noch – eine eigene Republik.

Und sie beriefen sich auf ein Versprechen aus der Zeit der Französischen Revolution – das Recht auf die Selbstbestimmung eines Volkes.

Spätestens nach diesem Wochenende scheint der jahrzehntelange Traum der jurasssischen Freiheitskämpfer aber nun endgültig ausgeträumt: Der Berner Jura lehnte nur schon die Prüfung eines Anschlusses an den Kanton Jura mit fast 72 Prozent Nein-Stimmen wuchtig ab.

Die Staatsfeinde aus dem wilden Westen

Das wird jeden aufrechten Schweizer freuen, der in den Separatisten schon immer Staatsfeinde sah (eine Einschätzung, die in der Schweiz vor allem in den 60er und 70er Jahren weit verbreitet war).

Mit etwas mehr Distanz kann man allerdings auch zum Schluss kommen, dass ein paar Störenfriede aus dem wilden Westen diesem ach so geordneten Land kaum schaden, sondern vielleicht sogar gut tun.

Muss man ihr Scheitern darum bedauern? Nein, ganz im Gegenteil.

Alles war möglich

Denn die schlimmste Strafe für die Revolution ist ihr Erfolg, wie der jurassische Maler und Poet Tristan Solier nach der Gründung des Kantons Jura 1979 gesagt hat. «Früher, da waren wir eine Bewegung, in der wir alle träumten, leidenschaftlich und phantasievoll, jeder auf seine Art.» Vereint hat sie alle das eine grosse Ziel: die «Befreiung von Bern», der neue Kanton. «Unser Fehler war, dass wir nicht darüber hinausgedacht haben. So war der neue Kanton nur ein altes Ziel, statt ein neuer Anfang.» Und sein Mitstreiter, der Chansonnier und Satiriker Pierre-André Marchand ergänzte: «Ich habe ja schon immer gesagt, die Befreiung des Juras werde dazu führen, dass wir nicht mehr von fremden, sondern von eigenen Schelmen regiert werden.» (Die Zitate stammen aus einem auch heute noch sehr lesenswerten Artikel von Andi Gross aus dem Jahre 1986.)

Das zeigt, worauf es ankommt: auf die Idee, auf die Bewegung und den Austausch. Neue Grenzen bringen da gar nichts (und diese würden übrigens auch sehr viel eher zum skurrilen Nationalismus der alten Jurakämpfer passen als zu ihrem Freiheitsdrang und Veränderungswillen).

In alle Richtungen offen

Das Grossartige am Jura ist seine Offenheit. Diese Region orientiert sich in alle Richtungen, gegen Bern, Biel, Frankreich, Basel (wenn auch erst vorsichtig). Sie spricht zwei Sprachen und lebt in mehreren Kulturen. Das macht die ganze Gegend reich, trotz aller wirtschaftlichen Probleme im Kanton Jura.

Umso erfreulicher ist es, dass in der heutigen Generation selbst von den Jura-Kämpfern versöhnliche Töne zu hören sind. Von Maxime Zuber zum Beispiel, dem Gemeindepräsidenten von Moutier und starken Mann der Autonomisten im Berner Jura. Anstatt über die angeblichen «Kolonialisten» in Bern zu schimpfen, bringt er in Interviews seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die «institutionelle Zukunft» seiner Region in einem «konstruktiven und respektvollen Dialog» geklärt werden könne. Seine Vision ist ein vereinter Jura als wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen Kulturen in einem Europa der Regionen.

Schluss mit Reden!

Ein Europa der Regionen, das ist der richtige Ansatz. Dafür braucht es allerdings keine Grenzverschiebungen, sondern einen Grenz-Abbau, vor allem in den Köpfen. Noch wird in den interkommunalen, bikantonalen oder sogar trinationalen Gremien und Verbänden viel zu viel von Kooperation geredet, ohne dass man davon im wirklichen Leben gross etwas davon mitbekommt. Bestes Beispiel dafür: der «Metropolitanraum Basel», wo die Zusammenarbeit mit den Nachbarn (neuerdings auch mit jenen im Jura) das Lieblingsthema vieler Politiker ist. Gerne verweisen sie auf die Erfolge im wirtschaftlichen Bereich, auf Neuansiedlungen von Firmen, eingefädelt von einem der unzähligen Gremien oder Verbände.

Leider gehen dabei die Menschen vergessen. Am meisten versäumt hat in dieser Beziehung wohl die Schule, die Generationen von Jugendlichen mit französischer Grammatik langweilte, anstatt den Austausch über die Sprachgrenze zu fördern. Dabei ginge das so einfach. Die Gymnasien von Laufen und Porrentruy machen es vor – mit den gemeinsam geführten Klassen, die je zwei Jahre im Jura und zwei im Laufental unterrichtet werden, auf beide Sprachen versteht sich.

Das Vermächtnis der Revolutionäre

Solche Projekte müsste es viel mehr geben, damit sich endlich auch die Menschen näher kommen, über alle Grenzen hinweg.

Eine Illusion?

Nicht unbedingt, wenn stimmt, was Roland Béguelin, der bis zu seinem Tod 1993 wohl wichtigste Vertreter der jurassischen Separatisten einmal gesagt hat: Der grösste Erfolg des ganzes Kampfes sei die Erkenntnis, dass in der Politik und Gesellschaft nichts unveränderbar ist.

Umsetzen lässt sich diese Erkenntnis auch ohne Revolution. Dafür reichen nur schon ein paar gute Ideen und ein bisschen mehr Offenheit. Allons-y!

Schlägereien in Moutier.

Die Menschen im Kanton Jura und im Berner Jura mussten an diesem Abstimmungswochenende die gleiche Frage beantworten – und sie machten das sehr unterschiedlich. Der Jura sagte mit 76,6 Prozent Ja zur Prüfung einer Vereinigung zu einem gemeinsamen Grosskanton Jura, der Berner Jura mit 71,9 Prozent Nein. Das Projekt wäre nur bei einem doppelten Ja weiterverfolgt worden. Noch offen ist die Zukunft von Moutier, der einzigen wechselwilligen Gemeinde im Berner Jura (2008 Ja gegen 1619 Nein). Innerhalb von zwei Jahren kann das Städtchen nun darüber abstimmen, ob es sich dem Kanton Jura alleine anschliessen will. Maxime Zuber, der jurafreundliche Stadpräsident von Moutier, sprach von einem «historischen Ergebnis»: «Mit dieser Abstimmung ist Moutier zwar nicht jurassisch geworden, aber es ist auch nicht mehr eine bernische Stadt.»

Nach Bekanntgabe des Abstimmungsresultates kam es in Moutier laut Medienberichten zu Scharmützeln. Ausgelöst wurden diese durch pro-bernische Anhänger, die mit ihren Autos hupend am Hotel de la Gâre vorbeifuhren, wo sich die Pro-Jurassier versammelt hatten. Dabei kam es zu Schlägereien, wobei auch Holzstücke geworfen wurden. Als Antwort auf die Provokation haben die Separatisten die Durchfahrt für die Autos blockiert. Schliesslich intervenierte die Polizei und sperrte die Zugangsstrassen ab.

Sehr viele interessante Hintergründe zum Thema finden Sie in unserem Dossier.

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