Von wegen Sieg für die Polizeidirektoren. Das Urteil des Bundesgerichts zum «Hooligan-Konkordat» zeigt vor allem eines: dass die Behörden das Augenmass verloren haben.
Ein Urteil, zwei Sieger. Das gibt es fast nie. Nun hat das Bundesgericht dieses Wunder aber wieder mal fertig gebracht – mit seinem Entscheid zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, vulgo: Hooligan-Konkordat.
Noch bevor das Urteil am Freitag publiziert wurde, reklamierten die Vertreter der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren-Konferenz (KKJPD) den Sieg ebenso für sich wie die Konkordatsgegner, eine Gruppe von Fussballfans, die das Urteil mit ihrer Beschwerde erzwungen hat.
Ähnlich widersprüchlich klang es am Freitagabend in den Medien.
«Bundesgericht beschneidet Hooligan-Konkordat», titelte zum Beispiel die «Basler Zeitung» online.
«Bundesgericht segnet Hooligan-Konkordat ab», hiess es über dem Agentur-Text, den unter anderem der «Tages-Anzeiger» publizierte.
Wie das?
Ganz einfach: Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Fangrüppchens um den Basler Grossrat Tobit Schäfer (SP) in zwei Punkten gut, wies die anderen Einwände aber zurück. Das eröffnet viel Raum für Interpretationen – und Behauptungen.
Um herauszufinden, wo die Wahrheit liegt, müsste man das 48-seitige Urteil wahrscheinlich zu erst einmal lesen und den Inhalt mit der Realität in den Stadien abgleichen. Das ist – zugegeben – etwas mühsam. Die Lektüre der Rechtsschrift lohnt sich aber dennoch, nicht nur wegen der beiden Punkte, in denen das Bundesgericht den Beschwerdeführern recht gab (dabei geht es um die Dauer eines Rayonverbotes und die Meldepflicht, die sich im Falle einer Nichtbeachtung automatisch verdoppeln sollte).
Beispiel Transport-Zwang: Mit dem Konkordat sollen Fans gezwungen werden können, an Auswärtsspiele nur mit bestimmten Zügen oder Bussen anzureisen. Das Mittel zu diesem Zweck heisst Kombi-Ticket (ÖV/Match), ohne das es keinen Zutritt mehr zum Gästesektor geben soll.
Nun lassen sich einige Fans aber nicht gerne vorschreiben, wie sie zum Stadion gelangen. Logische Folge: Anstatt eines Kombi-Tickets kaufen sie eines für einen anderen Sektor, wo sie dann unter den Anhängern der gegnerischen Mannschaft sitzen, wo es erst recht zu Scherereien kommen kann. Eine Gefahr, welche die Sicherheitsdienste in den Stadien unbedingt verhindern wollen. «Wenn man Fan-Gruppierungen in den Nebensektor lässt, ist das Risiko gross», sagt zum Beispiel Daniel Last, Sprecher des FC St. Gallen.
Verhältnismässig – wenn einer nicht ins Stadion darf, weil er Berndeutsch spricht?
Beim Spiel vom Ende September zwischen St. Gallen und YB wurden in der AFG-Arena aus diesem Grund alle, die Berner Dialekt sprachen oder einen YB-Schal trugen, trotz gültiger Eintrittskarten nicht auf die Gegentribüne gelassen. Eine Massnahme, die nicht zulässig ist, wie aus den Erläuterungen des Bundesgerichts hervorgeht: «Die Verhältnissmäsigkeit der Massnahme des Kombitickets ist auch dadurch gewahrt, dass Anhänger der Gästemannschaft, die individuell anreisen möchten, vom Besuch nicht ausgeschlossen werden, sondern lediglich keinen Zutritt zum Gästesektor erhalten.»
Das heisst: Die Massnahme darf zwar angewendet werden, aber nicht so, dass sie irgendeinen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit leisten würde. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Zu gefährlich? Testspiel abgesagt
Zweites Beispiel: Die Eingangskontrollen. Das Konkordat gibt den privaten Sicherheitskräften am Eingang das Recht, die Matchbesucher am ganzen Körper nach verbotenen Gegenständen abzutasten. In abgesonderten Räumen darf die Polizei zudem auch unter die Kleider langen und medizinisches Personal «nähere Untersuchung von Körperöffnungen» vornehmen, wie das offiziell heisst.
Das Bundesgericht spricht in diesem Zusammenhang von «erheblichen Einschränkungen der persönlichen Freiheit», die nur bei «konkreten Anhaltspunkten für das Mitführen gefährlicher Gegenstände vorliegen». Es müsse vermieden werden, dass «die grosse Mehrheit nicht gewaltbereiter Besucher eines Spiels einer intensiven körperlichen Durchsuchung unterzogen wird». Auch dabei geht es dem Bundesgericht in erster Linie um «Verhältnismässigkeit».
Diese Sicherheitsvorschriften sind erstens nicht nötig und zweitens gar nicht umsetzbar.
Nun stellt sich auch in diesem heiklen Bereich die interessante Frage, inwiefern diese Verhältnismässigkeit in der Praxis gewahrt wird, wenn sich YB-Fans – wieder in St. Gallen – darüber beklagen müssen, dass «unbescholtene Leute von Privaten im Intimbereich kontrolliert» würden. Oder der FC Zürich das Testspiel gegen den FC Biel erst von der Sportanlage Heerenschürli in Zürich-Schwamendingen nach Baden verlegte und heute Freitag schliesslich ganz absagte, weil die Behörden Zugangskontrollen wie bei einem Hochrisiko-Spiel im Letzigrund gegen den FC Basel verlangten, wo die Zuschauer «kanalisiert und einzeln einer Zutrittskontrolle unterzogen werden» müssen.
Für ein Trainigsspiel mit 200 Zuschauern auf einem offenen Sportplatz, der von allen Seiten zugänglich ist, schien das dem FC Zürich weder nötig noch machbar: «Wir waren überrascht und erachten die Auflagen als nicht verhältnismässig», sagte FCZ-Sprecher Patrick Lienhard dem «Tages-Anzeiger». Eigentlich sei ja versprochen worden, dass das Hooligan-Konkordat «mit Augenmass» umgesetzt werde.
Mehr konnte man nicht erwarten
In den nächsten Monaten müssen die Konkordats-Kantone nun das Gegenteil beweisen: dass sie ihre Versprechen künftig halten und die Stadiongänger nicht länger mit unnötigen oder übertriebenen Massnahmen schikanieren.
Mit seinem Urteil hat das Bundesgericht der Staatsmacht deutlich die Grenzen aufgezeigt.
Mehr kann man von der abstrakten Normenkontrolle auch gar nicht erwarten, bei der die Verfassungsmässigkeit von kantonalen Erlassen überprüft wird.
Aber das ist schon einiges, in der ganzen emotional aufgeladenen Diskussion um die Sicherheit rund um die Stadien.