Die SVP ist unschweizerisch

Zurückhaltend, bescheiden, bedacht: Das sind Schweizer Tugenden, von denen die SVP keine besitzt. Trotzdem inszeniert sich die Partei als urschweizerisch. Das könnte der Partei das Genick brechen.

SVP-Parteipräsident Toni Brunner: Ist die verunglimpfende Ausländerpolitik am Ende angelangt? (Bild: sda)

Zurückhaltend, bescheiden, bedacht: Das sind Schweizer Tugenden, von denen die SVP keine einzige besitzt. Trotzdem inszeniert sich die Partei als urschweizerisch. Das könnte ihr das Genick brechen.

Langsam werden die SVP-Gegner aufmüpfig. Letzte Woche meldete sich der sonst diskrete Unternehmer Hansjörg Wyss zu Wort, in der heutigen Ausgabe der Wochenzeitung «Zeit» sind harsche Kritiker der SVP abgedruckt und in der «Arena» des Schweizer Fernsehens wirken SVP-Politiker in der letzten Zeit wie geschlagene Hunde – wie letzten Freitag, als SVP-Nationalrat Lukas Reimann in ein Kreuzfeuer der Kritik geriet.

Was ist passiert mit der Partei, die doch so genau den Puls der Bevölkerung spürt und seit zehn Jahren fast unaufhaltsam wächst?

 

Das knappe Ja zur Masseneinwanderungsinitiative hat einige Protagonisten der Volkspartei wohl selbst überrascht. Nach dem Entscheid offenbarte die SVP dann die wirklichen Pläne mit der Schweiz: das Ende der Bilateralen.

SP, CVP und FDP gaben sich nach dem 9. Februar vorerst duckmäuserisch. Allem Anschein nach beabsichtigten sie, die umstrittene Initiative im engeren Wortlaut umzusetzen, um ein klares Nein aus Brüssel zu provozieren.

«Wie kann man die SVP stoppen?»

Gerade hat der Bundesrat das Verhandlungsmandat definiert: Es ist ein Widerspruch par exellence. Die Zuwanderung selbst steuern und die Bilateralen beibehalten, das geht nur mit ganz viel Phantasie. Und der Spielraum ist sehr eng – wegen dem parlamentarischen Druck vonseiten der SVP.

Bilaterale aufkündigen? Das bedeutet für viele Intellektuelle und Wirtschaftsvertreter das Ende der Schweiz. So formierte sich in jüngster Vergangenheit mächtiger Widerstand.

Man könnte auch sagen: Der wachsende Erfolg wird der SVP langsam zum Verhängnis. 

«Eine Partei übermarcht», schreibt Matthias Daum vom Schweiz-Ressort der «Zeit». Der Zürcher Politologe Michael Hermann meint: «Lange ist es der SVP gelungen, ihre Lesart allen anderen aufzudrängen.» Und weiter: Die Politik der SVP habe etwas Unschweizerisches bekommen. Warum unschweizerisch?

Die SVP übt sich nicht in Zurückhaltung. Im rauschenden Siegestaumel präsentiert sie ein Megaprojekt nach dem anderen: Anti-EU-Kampagne, die faktische Abschaffung des Asylrechts, «Landesrecht vor Völkerrecht» – und damit der Bundesrat nicht auf falsche Gedanken kommt, droht die SVP gleich noch mit einer Durchsetzungsinitiative zur Masseneinwanderung.



In der Schweizer Ausgabe der «Zeit» schreiben prominente Autoren ein Plädoyer für ein vehementes Vorgehen gegen die SVP.

In der Schweizer Ausgabe der «Zeit» schreiben prominente Autoren ein Plädoyer für ein vehementes Vorgehen gegen die SVP. (Bild: Twitter)

Alle Vorstösse schlagen in dieselbe Kerbe: Souveränität versus EU, wir gegen die Anderen, alles oder nichts. Die Schweizer Bevölkerung tickt aber eher bedächtig. Beim Thema Ausländer rennt die ansonsten zurückhaltende Stimmbevölkerung zwar übermotiviert an die Urne. Am Ende will die grosse Mehrheit jedoch eine ausgeglichene, kompromissbereite Führung. Michael Hermann nennt die langsamen, breit abgestützten Entscheidungsprozesse «die Seele der schweizerischen Demokratie».

Thema Ausländer ist ausgeschossen

Und diese Art von Demokratie bietet die SVP im Moment nicht an. Es deutet einiges darauf, dass die Alles-oder-nichts-Mentalität der Partei das Genick brechen könnte. Die jüngsten Umfragen ein Jahr vor den Parlamentswahlen verheissen einen Stimmenverlust für die SVP. Bei den kantonalen Wahlen in Zug konnte die Partei nicht punkten – ein Indiz dafür, dass die Lauthals-Politik nicht auf ewig funktioniert?

Allem Anschein nach politisiert sich die Partei ins Abseits. Sie müsste etwas leisere Töne anschlagen, um wirklich gehört zu werden – das scheint die Parteiführung nicht zu begreifen. Bis zum nächsten Polit-Kracher wird es vermutlich nicht lange dauern. Die Frage ist nur, ob die verunglimpfenden Vorstösse zum Thema Ausländer nicht langsam ausgeschossen sind.

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