Ein notwendiger Schritt hin zur Gleichstellung

Mit einem Ja zum Familienartikel liefert man weder die Kinder dem Staat aus, noch zwingt man die Frauen zur Erwerbsarbeit. Aber man bekennt sich zur Lebensrealität der heutigen Familien.

Mit dem Familienartikel wird der Staat nicht zum «Krippenvater». (Bild: Keystone/Gaetan Bally)

Mit einem Ja zum Familienartikel liefert man weder die Kinder dem Staat aus, noch zwingt man die Frauen zur Erwerbsarbeit. Aber man bekennt sich zur Lebensrealität der heutigen Familien.

Gleich vorneweg: Dem Familienartikel soll und kann man am 3. März ruhig zustimmen. Weder liefert man damit unsere Kinder dem Staat aus, noch werden dadurch automatisch Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe ausgelöst. Was die Gegner des Familienartikels im Abstimmungskampf ins Feld führen, kann man nur als Humbug bezeichnen.

­Einige, die sich so eifrig in die Schlacht gegen den «Krippenvater Staat» werfen – wie etwa die Kleinkindererzieherin und SVP-Nationalrätin Nadja Pieren – kennen vielleicht tatsächlich den Unterschied zwischen einem Ver­fassungsartikel und einem Gesetz nicht. Die Anführer der Nein-Kampagne hingegen, die wissen sehr wohl, dass ein Ja zum Familienartikel erst ein Signal, ein Bekenntnis ist. Ein Bekenntnis zur Lebensrealität der heutigen Familien wohlgemerkt.

Abstruse Argumente damals wie heute

Zur Erinnerung: Nach mehreren Jahrzehnten Kampf der Frauen für mehr Rechte stimmte 1981 endlich das Schweizer Volk einem neuen Artikel in der Bundesverfassung zu, dem­zufolge künftig Mann und Frau gleichberechtigt sein sollten. Die Argumente der Gegner waren damals so abstrus wie jene von heute. «Gleichmacherei» riefen sie, Frauen dürften keine Frauen mehr sein. Ausserdem warnten sie vor einer Prozessflut, die die Unternehmen Abermillionen kosten würde.

Selbstverständlich sollte der Gleichstellungsartikel nicht bloss ein frommer Wunsch bleiben, sondern etwas bewirken. Im Gegensatz zum bewusst sehr offen formulierten ­Familienartikel «verpflichtete» dieser die «Gesetzgebungsorgane von Bund, Kantonen und Gemeinden, nicht nur die formale, sondern auch die faktische Gleichstellung zu verwirklichen». So richteten die Kantone nach und nach Gleichstellungsbüros ein, die sich für die Umsetzung des Artikels kümmern sollten. Ja, das kostete etwas. Es kam auch vereinzelt zu Lohnklagen, aber fast alle betrafen Arbeitsverhältnisse bei der öffentlichen Hand.

Alles in allem bewegte sich nicht viel in ­Sachen Gleichstellung, die Revolution blieb aus. Die Frauen verwandelten sich nicht in Männer. Es dauerte auch ganze 15 Jahre, bis 1996 endlich das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau in Kraft trat. Mit einem unmissverständlichen Dis­kriminierungsverbot im Bereich der Erwerbs­arbeit, unter anderem bei der Entlöhnung und Beförderung.
Und heute, wo stehen wir im Jahr 2013? Gemäss Statistik verdienen die Frauen im Schnitt immer noch rund 20 Prozent weniger als die Männer. Wir diskutieren heftig über Frauenquoten in Führungsetagen, weil dort der Frauenanteil immer noch marginal ist.

Der Familienartikel schickt keine einzige Frau gegen ihren Willen ins Büro.

Das alles ist jedoch weder Zufall noch so, weil die Frauen eben von Natur aus lieber Chef im Haushalt sind. Ihnen bleibt oft keine andere Wahl. Noch immer ist es so, dass mehrheitlich die Frauen mit der Erwerbstätigkeit zurückstecken, wenn Kinder da sind. Wenn sie das so wollen, ist das vollkommen in Ordnung. Der Familienartikel schickt keine ein­zige Frau gegen ihren Willen ins Büro, der Staat entreisst keinen Eltern die Kinder und steckt sie zwangsweise in eine Krippe.

Es gibt aber immer mehr Mütter und Väter, die zu ­einem Familienmodell gezwungen werden, das sie nicht leben wollen oder können: weil es a) nicht genug Betreuungsplätze für ihre Kinder gibt, weil b) er immer noch mehr verdient und auch bessere Aufstiegsmöglichkeiten hat als sie, und weil c) Teilzeitpensen für Männer immer noch rar sind.

Um diese Frauen und Männer – um deren Wahlmöglichkeiten zu verbessern – geht es im Familienartikel. In einem ersten Schritt. Denn wie diese sogenannte Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit von den Kantonen umgesetzt werden soll, ist noch völlig offen und muss zuerst vom Parlament in einem Bundesgesetz geregelt und allenfalls vom Volk befürwortet werden. Die Gegner des Familienartikels haben also noch alle Zeit der Welt, ihre Geschütze gegen Krippen und Tagesschulen abzufeuern.

1981 wurde die Gleichstellung von Mann und Frau in der Bundesverfassung festgeschrieben, erreicht haben wir sie 32 Jahre später immer noch nicht. Der Familienartikel ist nur ein weiterer, notwendiger Schritt, um der Gleichstellung näher zu kommen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13

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