Ein Anwalt kann kein Wutbürger sein. Dachten sich einige Basler Journalisten und heraus kam eine wirre Rücktrittsforderung an Guy Morin, von der sich letztlich alle bis auf einen distanzierten.
Da ist also ein Anwalt, offenbar ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft, ein Mann, von Berufs wegen mit Fällen grosser Komplexität beschäftigt, und ein Mann also, der sich mit Paragraphen und der Gesellschaft auskennen muss.
Da ist also Herr Martin Boos, Jurist, tätig bei der «renommierten Kanzlei» Dufour, wie die «Basellandschaftliche Zeitung» deklariert, und er schreibt einen gesalzenen Brief an den Basler Regierungspräsidenten: Boos kritisiert Morins Sparkurs, die Kulturpolitik liege im Argen, die Vergabe von Unterstützungsgeldern sei nicht transparent: «alles ist opaque».
Und Herr Boos tut, was man in diesen Fällen eben tut: Er schickt den Brief nicht nur an den eigentlichen Adressaten Guy Morin, sondern per Kopie auch an «die Medien» und «einschlägige Behörden/Institutionen». Die Hoffnung bei diesem Standardvorgehen: Grösstmögliche Aufmerksamkeit für sein Anliegen. Es ist die Vorgehensweise eines Wutbürgers, dem der Kragen platzt, der auf den Tisch haut und endlich dem grossen, scheinbar unverwundbaren Tier die Meinung geigt.
Kein Wutbürger, ansonsten «würde kaum Notiz davon genommen»
Der Verteiler des Briefs zeitigte Wirkung: Die «Basellandschaftliche Zeitung» sprang auf. «Regierungsrat Guy Morin wird von renommiertem Anwalt angegriffen», schrieb sie. Wortreich wird umschrieben, dass Herr Boos nicht irgendein Wutbürger sei, der ohne Bedacht einen Rücktritt fordere, weil er grüne Politiker einfach nicht möge. Denn wäre dies der Fall, nähme ja «kaum jemand Notiz» von diesem Angriff.
Nein, Herr Boos sei Jurist, er vertrete als Anwalt die Kunstmesse Scope und sei im Vorstand des Basler Filmclubs «Le bon film». Diese Tätigkeiten würden Herrn Boos vom gängigen Bild des frustrierten Wutbürgers abheben.
Der Brief – der auch der TagesWoche vorliegt – enthält hauptsächlich Vorwürfe, Vermutungen, Fragen. Von Rücktritt allerdings kein Wort; «die Situation sei unhaltbar», schreibt Boos. Die bz verzichtete auf Zitate aus dem Schreiben.
Distanzierung um Distanzierung
Einzig «Telebasel» zog nach, Boos äusserte vor laufender Kamera tatsächlich die Rücktrittsforderung, aber man vernahm auch, dass sich die Kunstmesse Scope von Boos‘ Äusserungen distanziere. Und tags darauf stand in der bz: Auch der Verein «Le bon film», in dessen Vorstand Boos ist, distanziere sich vom Schreiben.
Was bleibt, ist das Schreiben eines Bürgers, von Beruf Jurist und in einer Kanzlei tätig, der seiner Unzufriedenheit Luft macht. Was den qualifizierten Tatbestand des Wutbürgers nunmehr leider erfüllt. Der Argumentation der bz folgend wäre daher keine Notiz von der Attacke zu nehmen. Akte zu, Story tot.
Also steht Herr Martin Boos wieder alleine da, der Offizialität beraubt, die ihm medial zugeschrieben wurde. Ein Einzelkämpfer im Anzug, randlose Brille, respektable Erscheinung, mediale Projektionsfläche für eine latente Unzufriedenheit mit den Regierenden. Denn es ist auch das tragische Los des Wutbürgers, dass er in der Öffentlichkeit stellvertretend für eine diffuse Allgemeinheit oder eine Klientel aus Medienschaffenden die Stimme erheben darf, obwohl er doch nur geltend macht, für sich alleine sprechen zu wollen.
Rücktrittsforderungen gehören zum politischen Alltag; angebracht – geschweige denn realistisch – sind sie selten. Oft spricht aus ihnen die Hilflosigkeit, das, was einen wirklich stört, präzis äussern zu können. Sie sind ein Mittel, um sich im Rauschen des gängigen Geplänkels aus Begehrlichkeiten und Beschwerden Gehör zu verschaffen.
Herr Boos soll den Brief schreiben – Herr Morin kann aber im Amt bleiben
Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen notorisch bekannten Wutbürger – vulgo: «Quartieramok» – oder um einen Juristen handelt, von dem doch landläufig angenommen wird, dass ein präziser und überlegter Ausdruck für seine Tätigkeit wesentlich sind.
Genauso gehören aber Meinungsäusserungen dazu, so diffus sie anmuten: Ohne Diskurs keine Politik. Herr Boos also darf, nein: Er soll seine Meinung äussern, ob ihm Guy Morin nun eine persönliche Antwort gibt oder nicht.
Dies aber gleich zu einer öffentlichen Angelegenheit zu erklären, aus blossem Mitgefühl oder aus bassem Erstaunen ob des Mutes, dem Regierungspräsidenten einen gesalzenen Brief zu schreiben: Mehr als ein Osterei, das sich Herr Boos und vor allem ein, zwei Basler Medien selbst gelegt haben, war diese Aktion leider nicht.
Artikelgeschichte
17:05 «Stadtpräsident» zu «Regierungspräsident» geändert.