Eine gerechte Steuer für den modernen Geldadel

Die ungleiche Verteilung von Erbschaften katapultiert die Schweiz zurück ins 19. Jahrhundert. Statt Chancengleichheit regiert der Geldadel. Mit einer nationalen Erbschaftssteuer liesse sich das Ungleichgewicht ein wenig korrigieren.

Erbschaftssteuer-Initiative: Nicht alle, die haben, sind gegen das Teilen des Reichtums. (Bild: Remo Leupin)

Die ungleiche Verteilung von Erbschaften katapultiert die Schweiz zurück ins 19. Jahrhundert. Statt Chancengleichheit regiert der Geldadel. Mit einer nationalen Erbschaftssteuer liesse sich das Ungleichgewicht ein wenig korrigieren.

Die Argumente, die gegen die Erbschaftssteuer-Initiative vorgebracht werden, bewegen sich zum Teil auf einem bedenklichen Niveau. Kürzlich wurde mir an einem Podiumsgespräch von der Gegenseite vorgeworfen, ich würde die «übliche Neiddebatte» führen. Das sei unangebracht, denn in der Schweiz gehe es doch allen sehr gut und «wir haben keine Slums».

Zum Glück haben wir in der Schweiz keine Slums. Aber leider haben wir eine zunehmend krasse Ungleichheit bei den Einkommen und vor allem beim Reichtum – eine Ungleichheit, welche die Chancen auf ein gutes Leben für Millionen von Menschen hier in der Schweiz schmälert. Die Erbschaftssteuer-Initiative stellt da die richtige Frage: Woher kommt eigentlich all euer Reichtum? Das macht die Superreichen offensichtlich nervös.

Unsere Gesellschaft ist auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert.

Der französische Ökonom Thomas Piketty hat unlängst nachgewiesen, dass in den reichen westlichen Ländern seit den 1980er-Jahren eine Trendwende stattgefunden hat. Die Ungleichverteilung des Reichtums ist seither immer stärker auf die ungleiche Verteilung der Erbschaften zurückzuführen. Mit anderen Worten: Unsere Gesellschaft ist auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert, als nicht Bildung und harte Arbeit den Weg zu Wohlstand ebneten, sondern eher eine geschickte Heirat oder eben das Erbe aus dem Elternhaus.

Das gilt auch für die Schweiz. Sie ist eines der ungleichsten Länder der Welt. Gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung besitzen die Hälfte des gesamten Vermögens. Und sie werden immer reicher: Zwischen 2002 und 2014 hat sich das Vermögen der 300 reichsten Personen in der Schweiz von 340 auf 589 Milliarden Franken vergrössert – trotz Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Löwenanteil dieser Riesenvermögen hat seinen Ursprung in Erbschaften – selber «erarbeitet» wurden diese Milliarden von ihren Besitzern nur zu einem kleinen Teil.

Wie viel erbt die Schweiz? Alle Fakten in der interaktiven Grafik der TagesWoche.

Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die vom Geldadel dominiert wird? In einer Gesellschaft wie im 19. Jahrhundert, in der die meisten trotz Bildung und harter Arbeit kaum eine Aussicht darauf haben, ein bisschen Wohlstand zu ergattern? Nein. Wir wollen mehr Chancengleichheit. Darum haben auch liberale Vordenker wie John Stuart Mill und Adam Smith die Erbschaftssteuer vehement befürwortet.

Familienunternehmen haben von der neuen Steuer nichts zu befürchten.

Die nationale Erbschaftssteuer setzt hier an. Sie besteuert die grössten Erbschaften – abzüglich eines sehr grosszügigen Freibetrags von 2 Millionen Franken (4 Millionen für Ehepaare) – mit einem einheitlichen Satz von 20 Prozent. Besteuert werden nur die reichsten 2 Prozent. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung ist nicht betroffen. Einige – zum Beispiel Nichten, Neffen, Konkubinatspartner oder entfernte Verwandte –, die heute je nach Kanton mit einem Steuersatz bis zu 49 Prozent Erbschaftssteuern bezahlen, werden sogar von bestehenden Steuern befreit.

Auch Familienunternehmen haben nichts zu befürchten. Die Initiative schreibt fest, dass der Weiterbestand von KMUs und die damit verbundenen Arbeitsplätze nicht gefährdet werden dürfen. Und das bürgerlich dominierte Parlament wird im Ausführungsgesetz einen entsprechenden Freibetrag festschreiben. Schliesslich werden die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer zu zwei Dritteln in die AHV fliessen. Damit wird unser wichtigstes Sozialwerk, von dem wir alle einmal profitieren, gestärkt – ohne zusätzliche Mehrwertsteuer- und Lohnprozente.

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Vania Alleva ist Co-Präsidentin der Gewerkschaft Unia und Vize-Präsidentin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB. Sie ist 45 Jahre alt, verheiratet und wohnt in Bern.

Mehr zur Erbschaftssteuer lesen Sie in unserem Dossier. 

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