Es braucht die Stimme des «anderen Israel»

Die Demokratie braucht Kritiker. Was den Freunden Israels zusteht, muss auch jenen Stimmen gestattet sein, die sich auf kritische Weise für Israel einsetzen – wie den Machern der Ausstellung «Breaking the Silence».

Umstrittene Ausstellung: Der ehemalige israelische Soldat Alon Sahar in der Ausstellung «Breaking the Silence – das Schweigen brechen» im Kulturhaus Helferei Zürich. Die Ausstellung berichtet über israelische Soldaten und ihren Einsatz in den palästinensischen Gebieten.

(Bild: WALTER BIERI)

Die Demokratie braucht Kritiker. Was den Freunden Israels zusteht, muss auch jenen Stimmen gestattet sein, die sich auf kritische Weise für Israel einsetzen – wie den Machern der Ausstellung «Breaking the Silence».

Wer sich kritisch zum Verhalten der israelischen Sicherheitskräfte und zur Politik der rechtsnationalen Regierung Israels äussert, wird rasch mit dem Vorwurf eingedeckt, er würde sich einmischen, die Sicherheitsfrage verkennen, Israels Existenzrecht in Frage stellen und sich gar von versteckten antisemitischen Motiven treiben lassen. 

Solche Einschüchterungsversuche sollten nicht davon abhalten, gegen die Strategie des Verschweigens, Wegschauens und schnellen Vergessens anzutreten. Man muss sich aber mit der Frage auseinandersetzen, ob Anteilnahme nicht unzulässige Einmischung sei. Diese Frage hat wegen der Ausstellung «Breaking the Silence – das Schweigen brechen», die noch bis Sonntag, 14. Juni, im Kulturhaus Helferei in Zürich zu sehen ist und vom Bund finanziell unterstützt wurde, besondere Aktualität erfahren.

Genfer Konvention missachtet

Die von der gleichnamigen Veteranenorganisation «Breaking the Silence» zusammengestellte Ausstellung dokumentiert Armeeeinsätze, in denen israelische Soldaten gezwungen wurden, gegen völkerrechtliche Mindestkriterien wie jene der Genfer Konvention zu verstossen. Analoge Ausstellungen haben bereits in Berlin und Luxemburg stattgefunden.

Berichtet wird insbesondere, wie die Besatzungstruppen gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung rücksichtslos von ihren Waffen Gebrauch machen und wie jüdische Siedler eine zutiefst menschenverachtende Einstellung gegenüber den Einheimischen haben. So berichtet ein Soldat von einem israelischen Sechsjährigen, der ihm erklärt habe, er gehe noch schnell etwas einkaufen, dann «töte ich einen Araber».

Statt sich mit den Verstössen selbst auseinanderzusetzen, versuchen Gegner der Ausstellung vom eigentlichen Thema abzulenken und Nebenaspekte ins Zentrum der Debatte zu stellen wie die angesichts der drohenden Militärtribunale und sozialen Ächtung – ebenfalls  verständliche – Anonymität der Zeugen und die Frage, ob kompromittierende Verhältnisse überhaupt nach aussen getragen werden dürften.

Israel lebt – wie wohl kein anderes Land – von ausländischer Unterstützung.

Die um Israel bestehende Problematik ist längst internationalisiert. Und es sind keineswegs nur die selbstkritischen Stimmen Israels, die, weil zu Hause ohnmächtig, sich auf dem Umweg über die internationale Arena Gehör zu verschaffen versuchen.

Israel und weitgehend auch seine jeweilige Regierung lebt wie wohl kein anderes Land von ausländischer Unterstützung, angefangen von den USA als der mächtigsten Macht der Welt bis zu bestens organisierten Diaspora-Lobbyorganisationen wie das sehr einflussreiche American Israel Public Affairs Committee. So wies etwa der «Tagesanzeiger» darauf hin, dass wegen eines Zürcher Auftritts des regierungskritischen Tel Aviver Historikers Moshe Zuckermann sogleich elektronischer Protestaktivismus «ob israelisch, amerikanisch oder schweizerisch» ausgebrochen sei (4. Juni 2014).

Das soll nicht an sich problematisiert, sondern nur zum Vergleichspunkt gemacht werden, wenn sich schwache Gegenstimmen ebenfalls melden und dann mit dem Vorwurf der ungebührlichen Internationalisierung und der Einmischung mundtot gemacht werden sollen. Was so genannten Freunden Israels zusteht, sollte auch denjenigen Stimmen gestattet sein, die sich auf kritische Weise ebenfalls für Israel einsetzen.

Israelischer Botschafter interveniert

So hat sich in der Debatte um die genannte Ausstellung der Verein Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina in der Öffentlichkeit gemeldet und auf die typische Asymmetrie hingewiesen, dass die Website von Gerald Steinbergs NGO Monitor akribisch alle NGOs in Israel und im Ausland auflistet, die sich kritisch mit der israelischen Politik auseinandersetzen, und nach ihren finanziellen Quellen fragt. Um dann beizufügen: «Vergeblich sucht man auf dieser Website nach Organisationen und Parteien, welche die Besatzung, Besiedlung und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung mit massiver finanzieller Unterstützung aus dem Ausland unterstützen.»

Einen besonderen Kritikpunkt bildet die Tatsache, dass diese Ausstellung mit öffentlichen Geldern des Bundes und der Stadt Zürich unterstützt worden ist. Die israelische Regierung hat sogar ihren Botschafter in Bern, Yigal Caspi, beauftragt, beim Eidgenössischen Aussendepartement (EDA) Protest einzulegen. Die Anweisung soll von der stellvertretenden Aussenministerin Tzipi Hotovely gekommen sein, für die das besetzte Palästina nicht fremdes Gebiet, sondern integraler Teil Israels ist.

Bern wehrt sich

In Bundesbern weist man darauf hin, dass die Stärkung des humanitären Völkerrechts im Nahen Osten zu den strategischen Prioritäten gehöre und ist der Meinung, dass sich die Unterstützung der Ausstellung «‹Breaking the Silence› nahtlos» in diese strategische Priorität einfüge. Beifügen kann man, dass die Kritiker der vergleichsweise bescheidenen Unterstützung aus der öffentlichen Kasse anderseits überhaupt kein Problem damit haben, dass die völkerrechtswidrige Besiedlung der Westbank massiv mit Staatsgeldern unterstützt wird.

Die parlamentarische Gruppe Schweiz–Israel (ebenfalls eine internationale Lobbyorganisation) stuft die Ausstellung als «üble Propaganda» und die Unterstützung durch das EDA als «skandalös» ein und fordert vom Departementschef Didier Burkhalter eine Distanzierung. Ein Hohn ist die Begründung, dass mit der Unterstützung dieser Ausstellung «das friedliche Zusammenleben der Völker» verraten werde.

Einer der Wortführer ist, wenig erstaunlich, der SVPler Hans Fehr, während zum Beispiel Felix Gutzwiller, Zürcher FDP-Ständerat und Präsident der ständerätlichen Aussenpolitischen Kommission, sich nach einem Augenschein in den besetzten Gebieten hinter das Engagement der Schweiz stellt.

In Menschenrechtsfragen gibt es keine Neutralität.

Der Vorwurf, dass die schweizerische Subvention neutralitätswidrig sei, ist in diesem Fall noch nicht, aber in anderen analogen Fällen gerne erhoben worden. Da muss daran erinnert werden, dass es in Menschenrechtsfragen keine Neutralität gibt und bei Rechtsverletzungen in diesem Bereich nicht einfach mittlere Positionen zwischen Konfliktparteien eingenommen werden können.

Noch ein Hinweis auf die internationale Dimension des israelischen Expansionismus in Palästina: Die holländische Regierung hielt es offenbar für nötig, für ihre Staatsangehörigen eine Reisewarnung vor «manchmal gewalttätigen Siedlern» in der Westbank abzugeben, die palästinensische und internationale Fahrzeuge mit Steinen bewerfen. «Seien Sie daher vorsichtig, wenn Sie in der Gegend von jüdischen Siedlungen reisen, vor allem in den Hügeln rund um Nablus und Hebron.» Auch in diesem Fall soll der israelische Botschafter bei der Regierung in Den Haag protestieren, weil eine solche Reisewarnung ein ganzes Segment der Gesellschaft auf inakzeptable Weise «beschmutzen» würde («tachles» vom 4. Juni 2015).

Erinnerungen an die Apartheid

Die Art, wie Israel mit Problemen umgeht, die mit der Besatzungspolitik weitgehend selber geschaffen worden sind, beschäftigt immer wieder auch die nichtisraelische Welt. So tauchte in den Medien das nur zögerlich in den Mund genommene Apartheid-Wort sogar in einem NZZ-Titel auf (21. Mai 2014), als berichtet wurde, dass aus Sicherheitsgründen jüdische Siedler und palästinensische Arbeiter in der Westbank nicht mehr die gleichen Busse benutzen dürften.

Als Argument wurde neben der Sicherheitsfrage auch Überfüllung und sexuelle Belästigung ins Feld geführt. Der individuelle Autoverkehr mit den separaten Siedlerstrassen unterliegt zum Teil schon längst Apartheid-Vorschriften. Nach heftigen Protesten ist nun die neue Regelung vorläufig wieder «eingefroren» worden.

Ausschlaggebend für das Zurückbuchstabieren dürften aber weniger plötzlich aufgekommene Skrupel wegen der Diskriminierung der Bevölkerung im besetzten Gebiet sein, sondern eher die Befürchtungen, dass eine solche Massnahme dem internationalen Ruf des Landes doch allzu abträglich ist.

Offensichtlich braucht das aktuelle israelische Regime (wie manche andere ebenfalls) innere Gegenstimmen und kritische Beobachtung von aussen, damit es sich nicht weiter Richtung eines Unrechtsregimes entwickelt. «Breaking the Silence» leistet dazu bereits seit mehreren Jahren einen wertvollen Beitrag. Was es effektiv zu verhindern vermag, kann offen bleiben. Wichtig ist jedenfalls, dass es «dem anderen Israel» eine Stimme gibt.

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Ausstellung «Breaking the Silence – das Schweigen brechen», bis Sonntag, 14. Juni, im Kulturhaus Helferei in Zürich. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 14 bis 20 Uhr; Samstag/Sonntag 11 bis 18 Uhr.

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