Von der repressiven Drogenpolitik profitieren viele – ausser die Abhängigen selbst. Die Legalisierung sämtlicher weichen und harten Drogen könnte einige Knoten im System lösen, glaubt SP-Grossrat und Sozialarbeiter Thomas Gander. Er hat für uns einen Gastkommentar geschrieben.
Mit der Drogenpolitik in der Schweiz ist es so wie mit vielen anderen heiss diskutierten, gesetzlich regulierten Gesellschaftsfragen: Eine Änderung der derzeitigen Gesetzessituation hätte zur Folge, dass viele Akteure im Umfeld dieser Politik von der Ist-Situation nicht mehr profitieren könnten. Eine Legalisierung rückt damit schon mal vom ökonomischen Grundsatz her in weite Ferne.
Was es bräuchte, wäre der gesellschaftliche Wille, den Konsum von heute illegalen Drogen als Genuss- oder Suchtmittel – wie nach der Alkoholprohibition in den USA – neu zu bewerten und zu regeln. Dieser Wille entsteht aber nicht, wenn der Konsum von Drogen in unseren Köpfen mit Bildern vom früheren «Platzspitz» oder von tragischen Schicksalen bewirtschaftet wird.
Die Realität anerkennen
Ehrlich wäre ein Eingestehen, dass die Realität der Illegalität eine ganz andere ist. Cannabis, Designerdrogen, Kokain, LSD, Amphetamine usw. werden von vielen Menschen in unserem direkten Umfeld als stimmungsbezogenes Genuss- und Rauschmittel oder leistungsfördernde Substanz regelmässig konsumiert. Sei es der Arzt im Spital, der Chefkoch in der Küche, der Sportler nach seinem Triumph, der Student vor der Prüfung oder der Jugendliche, der die Nacht durchtanzen möchte.
Die Realität auszublenden hilft nicht weiter. Aber was machte der Gesetzgeber? Zuerst versuchte er mit Repression auf ein neues Phänomen zu reagieren. Dann, in einer zweiten Runde, baute er neben der Repression drei weitere Säulen auf: die der Prävention, der Therapie und die der Schadensminderung. Nicht zuletzt deswegen, da Behörden und Politik feststellten, dass die Repression nichts nützte und weiter Drogen konsumiert wurden.
Dieser zweite Schritt schuf einen Ressourcenbedarf. Neue Fachstellen wurden gegründet, Präventions- und Therapiekonzepte entwickelt, die Strafverfolgung ausgebaut und die Produktion von Drogensubstitutionsmittel angekurbelt. Es entstand eine Industrie rund um diese Substanzen – die Ökonomisierung eines von einer Mehrheit definierten Problems in seiner Perfektion.
Pragmatischer Umgang fast unmöglich
Aber die Bewirtschaftung jener Drogenrealität trägt nicht nur ökonomische Früchte. Mit Kalkül lassen sich weitere Probleme damit festmachen, die im politischen Umfeld für Empörung und damit für Wählerstimmen sorgen: Kriminalität, Migration, Prostitution, um nur ein paar wenige Schlagworte zu nennen. Jede gesellschaftsliberale Stimme in dieser festgefahrenen Situation wird mindestens als Verharmloser disqualifiziert.
Unter solchen Voraussetzungen wird ein pragmatischer Umgang mit diesen Substanzen beinahe unmöglich. Das Tragische dabei: Abhängigen, die durch eine schwierige Lebenssituation in die Drogenfalle getappt sind und nicht mehr rauskommen, denjenigen, die durch unsere gesellschaftlichen Maschen der Konformität und Leistungsdruck gefallen sind, wird so nicht geholfen. Im Widerspruch zwischen Therapiestationen und strafrechtlicher Verfolgung werden sie zunehmend Teil dieses Systems und sind dessen Mechanismen ausgeliefert.
Legalisierungsdebatte bleibt wichtig
Die Frage stellt sich: Will dieses System von Profiteuren die Drogenabhängigen je wieder loswerden? Eine Legalisierung aller harten und weichen Drogen hätte eine gewichtige Wirkung. Diejenigen, die ihre Drogen in einem für sie normalen Rahmen konsumieren möchten, könnten dies straffrei weiterhin tun. Den Menschen aber, die unter dem Drogenkonsum leiden, deren Zukunft durch ihren Konsum verbaut ist, wird etwas genommen: die Stigmatisierung – also die Ächtung und die Kriminalisierung durch einen grossen Teil der Gesellschaft. Gerade dies wäre ein erster wichtiger Schritt zurück ins gesellschaftliche Leben, was unbestritten der wirkungsvollste Ansatz zur Linderung der Folgen einer Suchtkrankheit ist.
Im Jahr 2013 fallen laut neuer Kriminalstatistik knapp 100’000 Drogendelikte auf rund 725’000 registrierte Straftaten. Es wird Zeit, die Polizei und die Justiz hier zu entlasten und das Profiteursystem zu durchbrechen. Das Vier-Säulen-Modell hat sich bewährt, aber es kann nur eine Zwischenstation sein. Die Legalisierungsdebatte muss weiter geführt werden.