Flüchtlinge aus Afrika sind schwarz – und sie machen Kinder!

Die rechtsnationale Schweizer Publizistik verbreitet Angst vor schwarzen Männern, Frauen und Kindern. Liegt es daran, dass manche zu viel Sünneli abbekommen haben? Ein medienkritischer Kommentar.

Schwarze Babys sorgen in der Schweizer Medienlandschaft für rote Köpfe. (Bild: Hans-Jörg Walter)

In der Sauhitze des Sommers schmilzt manches Hirn dahin und verdirbt wie eine geschälte Banane in der Sonne. Meist sind die Folgen höchstens im nahen Umfeld spürbar. Für gewöhnlich können Hirnverbrannte weiter einer Arbeit nachgehen und bis ans Ende ihrer Tage als sogenannt normale Bürger weiterleben, ohne, dass man sich um die Volksgesundheit grosse Sorgen machen müsste.

Anders verhält es sich zuweilen, wenn der Hitzestau Journalisten oder Politiker trifft: Aufgrund des beruflich und persönlich gegebenen gesteigerten Mitteilungsbedürfnisses ist die Öffentlichkeit auch Ergüssen schutzlos ausgeliefert, die womöglich zerebral dysfunktionalen Regionen entsprungen sind. Ein Problem, dem definitiv noch zu wenig Beachtung geschenkt wird.

«All you need is love» vs. «Die Weltwoche»

Wie auch immer: Womöglich ist das ja eine Erklärung für das «Afrikaner-Cover» der «Weltwoche» von Mitte Juli, mit dem das Blatt einen plumpen Skandal zu inszenieren versuchte. Auf dem Titelblatt küsst ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzem Haar eine hellhäutige Frau mit blondem Haar.

Die «Weltwoche» (2017) mit einer angeblichen Hommage an ein Cover von Art Spiegelman für den «New Yorker» (1993).

Das Cover sollte wohl die verbleibenden «Weltwoche»-Leser verstören. Der Zeichner hat es von einem ikonischen «New Yorker»-Cover des grossen Zeichners Art Spiegelman aus dem Jahr 1993 abgekupfert, auf dem ein chassidischer Jude eine schwarze Frau küsst.

Die Spannungen zwischen chassidischen Juden und Afroamerikanern hatten in den frühen 1990er-Jahren in den USA einen Höhepunkt erreicht. In Brooklyn forderten Auseinandersetzungen zwischen Ultraorthodoxen und Schwarzen sogar Tote (mehr zu den Hintergründen findet man bei «Watson»).

Spiegelman hatte sein kontroverses Cover «bewusst naiv» gemalt, wie er damals in einem begleitenden Kommentar dargelegt hat: «Ich weiss, dass die Probleme zwischen Juden und Schwarzen in Crown Heights nicht einfach weggeküsst werden können. Aber vielleicht ist es einmal pro Jahr ja erlaubt, wenn auch nur für einen Augenblick, die Augen zu schliessen, über die Komplexitäten des modernen Lebens hinwegzusehen und sich vorzustellen, was wäre, wenn es tatsächlich wahr wäre: ‹All you need is love›.»

«Die Afrikaner kommen»

In der «Weltwoche» kann man nach solchen Vorstellungen suchen, bis man schwarz wird. Der Verfasser des Hauptartikels – «Die Schwarzen kommen» – heisst Christoph Mörgeli, und wenn der über Flüchtlinge schreibt, dann nur in Anführungszeichen. Es gibt, das will Mörgeli und mit ihm die SVP mit den Flüchtlings-Gänsefüsschen dem Volk weismachen, fast keine echten Verfolgten. Bei Mörgeli ist das Standard: In einem «Weltwoche»-Artikel vom 25. August 2016 bezeichnete er die «in Como gestrandeten Afrikaner mit ihren schicken Turnschuhen und neusten Handys» schlicht als «Scheinflüchtlinge». Heuer formuliert er es so: Dass es sich eigentlich um «Wirtschaftsmigranten» handle, beweise die «Wahrnehmung in der Wirklichkeit».

Wer jahrelang ungeschützt am prallen Sünneli sitzt, kann tatsächlich gröbere Probleme mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit bekommen. Das bestätigt jeder Arzt.

Die «augenfällige Zunahme der Schwarzen» löse eine Diskussion aus, die von «Sorge, Bedenken und Ärger» geprägt sei, hält Mörgeli fest. Mörgelis Sorgen, Bedenken und Ärger einzeln aufzuzählen würde hier zu weit führen (und es wäre womöglich auch schlecht für Blutdruck und Gemüt). Erwähnenswert ist allerdings die von ihm besonders hervorgehobene «bedeutende Kolonie der Eritreer» in der Schweiz – immerhin stünden, wie er später anmerkt, «Zuwanderer aus … Eritrea … bei Delikten gegen Leib und Leben prozentual auch an der Spitze». Eine seltsame Behauptung, zumal die Eritreer in der Schweiz laut Kriminalitätsstatistik weniger kriminell sind als die hier lebenden Franzosen.

Hitzköpfe des Landes in Einigkeit

Wenn die «Weltwoche» ruft, sind seelenverwandte Hitzköpfe oft schnell zur Stelle. Eine Woche nach der Afrika-Ausgabe, am 23. Juli, griff Frank A. Meyer, in Sachen Migration längst SVP-Gesinnungsgenosse, das Thema auf. Seine Zeilen könnten auch von Mörgeli diktiert worden sein. Auch Meyer sieht von seiner Berliner Villa aus bloss Scheinflüchtlinge:

«An Italiens Ufern stauen sich die Flüchtlinge, die in ihrer grossen Mehrheit keine Flüchtlinge sind, von Politikern und Publizisten aber mit Bedacht dennoch so genannt werden. Sie stauen sich auch an der Schweizer Südgrenze.»

So schreibt der Ringier-Chefpublizist in einem Text mit dem Titel «Merkels Lockruf».

Selbstverständlich hätte FAM auch von Markus Somm abschreiben können: Der schrieb schon im Januar 2017 über die Eritreer in der Schweiz, sie hätten «offensichtlich nicht allzu viel zu tun, was wir deshalb ahnen, weil wir sie so oft zu jeder Tages- und Nachtzeit in unseren ­Bahnhöfen treffen, wo sie fröhlich plaudern oder ­engagiert telefonieren». Somm glaubt ausserdem zu wissen, dass alle Eritreer in der Schweiz (ja, alle) «eigentlich, wenn wir ehrlich sind, wohl in unserem Land nur eine schwierige, traurige Zukunft vor sich haben».

Eine rabenschwarze Zukunftsprognose. Bitter, die Menschen kosteten nur, weiss Somm weiter, und schlägt vor – hier legt er ein Stückchen konstruktiven Journalismus hin –, Bundesrätin Simonetta Sommaruga möge sich doch bitte «nach dem ­Vorbild eines Selbstbehaltes persönlich an den finanziellen Folgen dieser falschen Politik» beteiligen.

Warum bloss kriegen Flüchtlinge Babys?

Wiederum eine Woche später war dann das Inland-Team der meistgelesenen Zeitung des Landes an der Reihe, sich – einmal mehr – mit den dunkelhäutigen Menschen aus Eritrea zu beschäftigen. Désirée Pomper, Inland-Chefin und Mitglied der Redaktionsleitung, griff dafür gleich selbst in die Tasten. Ihre zweiteilige Mini-Serie versprach unter anderem Aufklärung zu folgendem Thema: «Mehr Flüchtlingsbabys – die Gründe und Folgen».

Wer nun hoffte, «20 Minuten» hätte sich damit einen ganz schlechten Scherz erlaubt und würde den Leserinnen und Lesern erklären, dass auch Flüchtlinge Sex haben («die Gründe») und dass dann eben Flüchtlingsbabys zur Welt kommen («die Folgen»), der wurde enttäuscht: Das ist alles ernst gemeint.

Spiel mit falschen Zahlen

Im Fokus der Berichterstattung stand auch nicht etwa die Frage nach dem Wohlergehen der schwangeren Frauen und ihrer Neugeborenen in Flüchtlingsheimen. Eine Studie hat Anfang August diesbezüglich grosse Mängel im Schweizer Betreuungssystem zum Vorschein  gebracht – auf der Titelseite von «20 Minuten» suchte man diese Meldung allerdings vergeblich.

Stattdessen: Babys. Mit ganz grossen Buchstaben auf die Kleinsten. Mit den zwei Artikeln schaffte es das Blatt nicht nur, Stimmung gegen die Schwächsten zu machen, sondern gleichzeitig auch eine rekordverdächtige Anzahl von falschen Informationen zu verbreiten.

«10-mal mehr Flüchtlings-Babys aus Eritrea», heisst der erste Aufmacher. Der «Gründe und Folgen»-Artikel heisst: «Dann landen sie in der Sozialhilfe». «20 Minuten» behauptet in den beiden Artikeln unter anderem Folgendes:

  • Die Zahl eritreischer Flüchtlingsbabys habe sich zwischen 2008 und 2016 mehr als verzehnfacht, während sich die «Anzahl eritreischer Asylbewerber» im gleichen Zeitraum «weniger als verdoppelt» habe – angeblich von 16’606 auf 27’207.
  • Es sei «gar nicht so einfach, die Gründe für die starke Zunahme zu eruieren».
  • Wenn man die Geburten «im Asylbereich» mit den Geburten der Schweizer «Wohnbevölkerung» vergleiche, dann sei ein Unterschied von «Quote 2» zu «Quote 0,5» (Total Personen geteilt durch Geburten) im ersten Halbjahr 2017 festzustellen.
  • Für Eltern hat «die Geburt eines Kindes keinen Einfluss auf ihr Asylverfahren», erklärt Stefan Frey, Sprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.
  • Warum Stefan Frey das überhaupt erklären muss? Der einzige Schweizer Politiker, der in den «20 Minuten»-Baby-Storys zitiert wird, heisst Thomas Aeschi, SVP – der Aeschi, der Flüchtlingslager in Afrika fordert, für die der Bund bezahlen soll. Aeschi darf Sätze von sich geben wie: «Einige Eritreer erhoffen sich, mit einem Kind ihre Chancen zu erhöhen, als Schutzbedürftige zu gelten und nicht zurückgeschickt zu werden.» Und: «Diese Kinder wachsen mit der Vorstellung auf, dass man einfach vom Staat leben kann». Fazit, von «20 Minuten» zum Zwischentitel gefettet: «Umgehend ausschaffen».

Wer sich wegen 1326 Babys von eritreischen Eltern (2016) so sehr in die Windeln macht, dass er deswegen eine Artikelserie inklusive Titelstory bastelt, der handelt mindestens unverfroren. Wer dazu noch eine Geschichte konstruiert von den vielen schwarzen Menschen, die sich um ein Vielfaches stärker vermehren als die eigene Bevölkerung, und dazu noch eine Art exponentielle Zunahme feststellt, der begibt sich auf ganz dünnes Eis. Und wer dann noch Politiker zu Wort kommen lässt und sich auf einen Vertreter von Rechtsaussen beschränkt, der muss sich seiner Sache wirklich sicher sein.

Nur: Das meiste entpuppt sich als heisse Luft. Denn die Baby-Behauptungen von «20 Minuten» halten einer kinderleichten Überprüfung keine zwei Minuten lang stand.

Hitzefreie Nach- und Abrechnung

Wie das Blatt darauf kommt, dass sich die «Anzahl eritreischer Asylbewerber» von 16’606 (2008) auf 27’207 (2016) erhöht habe, bleibt wohl das Geheimnis der Redaktion. In den Statistiken des Staatssekretariats für Migration (SEM) sind diese Zahlen jedenfalls nicht zu finden. Eine Nachrechnung zeigt:

  • Im Jahr 2008 waren (Stand Dezember) 3956 Menschen aus Eritrea im Asylprozess (Asylbewerber plus vorläufig Aufgenommene mit Status F).
  • Im Jahr 2016 waren (Stand Dezember) 15’261 im Asylprozess (Asylbewerber plus vorläufig Aufgenommene mit Status F).

So viel zur Behauptung, die «Anzahl eritreischer Asylbewerber» habe sich «weniger als verdoppelt»: In Wirklichkeit hat sie sich beinahe vervierfacht.
Wer sich nun fragt, warum sich die Anzahl der Neugeborenen denn verzehnfacht habe, dem sei hier gesagt, dass das Jahr 2008 von der Redaktion kaum zufällig gewählt worden war. Warum Flüchtlinge Babys kriegen, dürfte mittlerweile klar sein: Sie haben Sex. Aber auch Flüchtlinge lernen sich in der Regel erst kennen und lieben, bevor sie Kinder zeugen. Und dann geht das nachher auch noch rund neun Monate, bis so ein «Flüchtlings-Baby» zur Welt kommt.

Das erklärt die vergleichsweise tiefe Zahl im Jahr 2008 – weil nämlich in den Jahren zuvor viel weniger Flüchtlinge aus Eritrea in der Schweiz ankamen (2005 waren es noch 181 Asylgesuche, nur zwei Jahre später hatte sich die Zahl fast verzehnfacht). Einen sprunghaften Anstieg gab es zudem in den Jahren 2014 und 2015 – was wiederum die höhere Zahl der Geburten im Jahr 2016 erklärt.

Mehr Rotstift auf der Druckerschwärze

Aber das ist noch längst nicht alles. Im zweiten «20 Minuten»-Text vom nächsten Tag ist die «Anzahl eritreischer Asylbewerber» plötzlich eine komplett andere: Es sind nun 2849 (2008) respektive 5178 (2016) Asylbewerber, sprich – dieses Argument scheint ganz wichtig: «Während sich die Anzahl der Geburten mehr als verzehnfacht hat, hat sich diejenige der Gesuche nicht einmal verdoppelt.»

Hier vermischt das Blatt verschiedene Kategorien – nämlich Anzahl Gesuchsteller pro Jahr – die Zahlen stimmen hier ausnahmsweise – versus Anzahl Geburten. Das ist wenig sinnvoll: Es ist nicht so, dass sich nur die Personen, die in einem Jahr ein Gesuch stellen, vermehren, während diejenigen, die bereits einen Asylstatus haben, sich dem Zölibat verschrieben hätten. Laut SEM ist die «Anzahl Geburten» jedenfalls nicht nur den Neu-Gesuchstellern anzurechnen.

Im Gegenteil – und das verfälscht die falschen Zahlen der Gratiszeitung noch mehr: Die «Anzahl Geburten» bezieht sich auch auf Menschen aus Eritrea, die den B- oder C-Ausweis für Flüchtlinge erworben haben, sich also rechtlich gesehen nicht «im Asylprozess» befinden. «20 Minuten» hingegen rechnete nur mit den Menschen mit N- und F-Ausweisen. Korrekt gerechnet steigt die Zahl der möglichen Eltern der 1362 Babys dramatisch: Im Jahr 2016 waren das insgesamt 35’034 Menschen. Aus dem behaupteten «nicht einmal verdoppelt» ist so plötzlich «um das Fünfeinhalbfache vermehrt» geworden.

Bleibt die Behauptung, dass sich Ertriteer freudiger fortpflanzen als Schweizer. Auch hier arbeitet das Gratisblatt unsauber – und unlauter. Die These von «20 Minuten» fällt in sich zusammen, sobald man die Bevölkerungspyramide der Schweizer Wohnbevölkerung mit der Alterspyramide der Flüchtlinge aus Eritrea (Excel-File, SEM) vergleicht. Es ist auf einen Blick erkennbar, dass das Durchschnittsalter der Asylsuchenden und der vorläufig Aufgenommenen rund 20 Jahre tiefer liegt als dasjenige des Durchschnitts der Wohnbevölkerung – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Vermehrungs-«Quote».

Apropos Quote: Auch hier hat «20 Minuten» einen fatalen Rechnungsfehler begangen. Bei der Berechnung der Vergleichs-«Quote» – dem aufgrund der Altersstruktur ohnehin schon unzulässigen Vergleich der Vermehrung der Flüchtlinge und der ständigen Schweizer Wohnbevölkerung – steckt der Teufel ebenfalls im Detail. So berücksichtigt die Zeitung bei den Asylbewerbern die Kinder «im ersten Halbjahr», sprich, von Januar bis Juni 2017. Bei der ständigen Schweizer Wohnbevölkerung rechnet das Blatt dann aber mit der Periode «zwischen Januar und Mai». So wird die «Quote» der Einheimischen zusätzlich verfälscht – um mindestens 16 Prozent – und einmal mehr fälschlicherweise insinuiert, die schwarzen Flüchtlinge vermehrten sich sowohl mehr als auch exponentiell zunehmend.

Wer das alles noch in Zahlen sehen möchte: Hier eine Zusammenstellung (Null bedeutet jeweils: Keine Daten verfügbar).

Abkühlung

Was bleibt? Die eine oder andere durchgeröstete Synapse, viel verbrannte Erde, der dunkle Verdacht, dass nicht alles von dem, was da so zum Thema geschrieben wird, mit hohen Temperaturen zu entschuldigen ist. Und nicht zum ersten Mal die Frage, warum ausgerechnet die Gratiszeitung die schwärzesten Zahlen in der Schweizer Medienlandschaft schreibt.

Denn die «Wahrnehmung in der Wirklichkeit» dürfte sich beim einen oder anderen Leser von «20 Minuten» – das sind allein bei der Papier-Ausgabe fast 1,5 Millionen – zu Ungunsten der Eritreer in der Schweiz verschoben haben. Weil falsch gerechnet wurde, mindestens deswegen.

Ob ein herzliches «Fakt you» wirklich die nötige Abkühlung bringen kann? Versuchen muss man es weiterhin.

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