Grenzen dicht, Problem gelöst? Grossbritannien macht es sich zu einfach

Die britische Regierung feiert ein paar Meter mehr Zaun und mehr Grenzwächter als Lösung des Flüchtlingsandrangs am Eurotunnel. Doch die Grenzen dicht zu machen, ist keine Lösung, und Panik verbreiten erst recht nicht.

Migrants make their way through a hole ina fence near near train tracks as they attempt to access the Channel Tunnel in Frethun, near Calais, France, July 29, 2015. A migrant died trying to cross to Britain from France early on Wednesday, French police said, adding to a number of recent deaths in the Channel Tunnel as British ministers and security chiefs were to meet over the crisis in Calais. There were about 1,500 attempts by migrants to access the tunnel on Tuesday night, a Eurotunnel spokesman said, after 2,000 attempts the previous night. REUTERS/Pascal Rossignol

(Bild: PASCAL ROSSIGNOL)

Die britische Regierung feiert ein paar Meter mehr Zaun und mehr Grenzwächter als Lösung des Flüchtlingsandrangs am Eurotunnel. Doch die Grenzen dicht zu machen, ist keine Lösung, und Panik verbreiten erst recht nicht.

Endlich kann das ganze Land aufatmen: Die britische Regierung, so verkündete der Aussenminister Philip Hammond am Montagabend, habe die Flüchtlingskrise in Calais «in den Griff bekommen». Nach einer langen Sitzung des Cobra-Krisenausschusses – der alberne Name leitet sich aus einem Akronym ab: Cabinet Office Briefing Room – gab er sich zuversichtlich: Hundert zusätzliche französische Grenzwächter, für deren Kosten die britische Regierung aufkommt, würden am Eurotunnel-Terminal in Frankreich für Ordnung sorgen, der Bau der neuen Sicherheitszäune verlaufe nach Plan, und die Anwesenheit von französischer Polizei und britischem Grenzschutz im Kontrollzentrum von Coquelles werde die Arbeit erleichtern. Das Problem sei also gelöst.

Für die britische Regierung bedeutet Krisenbewältigung in erster Linie: Grenzen dicht machen. Kommt niemand mehr über den Ärmelkanal, ist die Krise vorüber. Die Nebenstrategie besteht darin, das Leben der Asylbewerber im Land möglichst unangenehm zu gestalten, damit die Migranten gar nicht erst hierher wollen. So hat die Innenministerin am Montag ein Gesetzesvorhaben angekündigt, laut dem Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wird, ihr Anrecht auf finanzielle Unterstützung verlieren. Zudem plant sie, Vermieter in den Grenzschutz einzubinden: Diese sollen illegale Migranten ohne Gerichtsbeschluss aus der Wohnung werfen können, und wer den Immigrationsstatus eines Mieters nicht prüft, kann gebüsst werden.

Für die britische Regierung bedeutet Krisenbewältigung in erster Linie: Grenzen dicht machen.

Dass diese Vorschläge einer humanen Migrationspolitik nicht würdig sind, darauf haben Organisationen wie der Refugee Council bereits hingewiesen. Doch lassen wir einmal die Frage beiseite, wie ein respektvoller Umgang mit Migranten aussehen soll, und betrachten allein die Situation am Eurotunnel.

Zwar trifft es zu, dass die Staus auf der Autobahn nach Dover, verursacht durch die Streiks der französischen Fährenarbeiter und die Versuche der Migranten, in den Tunnel zu gelangen, einen wirtschaftlichen Schaden nach sich gezogen haben: Gewerbe und Tourismus in der Grafschaft Kent melden einen Umsatzeinbruch, ein Teil des transportierten Gemüses hat die langen Wartezeiten auf der M20 nicht überlebt, und einige Speditionsfirmen schauen sich nach alternativen Transportrouten um. Zudem haben die Sozialdienste in Kent Alarm geschlagen, weil sie mit dem starken Anstieg von minderjährigen Asylbewerbern nicht fertig werden.

Panik wegen 5000 potenziellen Asylbewerbern

Aber eine humanitäre Krise sieht anders aus. Rund 50 Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Ärmelkanals, spielt sich eine solche ab: 4000 Migranten, viele davon Flüchtlinge aus Kriegsgebieten wie Syrien und Afghanistan, sitzen hier in temporären Camps fest und hoffen auf eine Überfahrt nach Grossbritannien. Die Zahl ist klein, wenn man sie mit den geschätzten 185’000 Flüchtlingen vergleicht, die seit Anfang Jahr übers Mittelmeer nach Europa gekommen sind. In Deutschland haben in diesem Jahr knapp 179’000 Menschen Asyl beantragt – in Grossbritannien waren es im gesamten letzten Jahr weniger als 32’000. Objektiv betrachtet ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die britischen Behörden wegen 5000 potenziellen Asylbewerbern in Panik geraten.

Auch andere EU-Staaten haben Cameron kritisiert, weil die Briten keinerlei Bereitschaft zeigen, bei der Aufnahme von Flüchtlingen etwas mehr Solidarität zu zeigen. An einem Plan, rund 40’000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten überzusiedeln, wollte sich Grossbritannien nicht beteiligen. Der Regierung in London scheint es wichtiger, die rechten Kritiker in der eigenen Partei und in den Medien zu besänftigen als eine sinnvolle Flüchtlingspolitik auszuarbeiten – viel einfacher ist es doch, einen hohen Zaun zu bauen.

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