Im Juni stimmen die Briten darüber ab, ob sie Teil der Europäischen Union bleiben wollen. Von einem allfälligen «Brexit» hängt viel ab, auch ausserhalb Grossbritanniens.
Die nächsten vier Monate werden nicht nur für Grossbritannien, sondern für ganz Europa entscheidend sein. Am 23. Juni werden die Briten darüber abstimmen, ob das Land Mitglied der Europäischen Union bleibt. Vom Ausgang des Referendums wird viel abhängen: Das Schicksal von David Camerons Regierung, der Zusammenhalt Grossbritanniens und die Zukunft des europäischen Einigungsprojekts.
Die Konservative Partei wird sich während des Abstimmungskampfs einer Zerreissprobe aussetzen. Die Europa-Frage spaltet die Tories seit vielen Jahren, und mit dem Referendum wollte Cameron den Streit eigentlich ein für allemal klären. Stattdessen wird der Graben, der sich durch die Partei zieht, in den kommenden Monaten noch tiefer werden. Nicht lange nachdem der Premierminister am Freitag erleichtert seinen Deal mit den restlichen EU-Regierungschefs bekanntgegeben hatte, sprachen sich sechs Kabinettsministerinnen und -minister für einen Brexit aus. Ein bedeutender Teil der Tory-Abgeordneten wird sich ebenfalls für einen Austritt stark machen, und die Parteibasis zeichnet sich durch eine besonders passionierte Feindseligkeit zur EU aus.
Ganz rechts und ganz links ist die EU-Skepsis riesig.
Cameron machte sich daran, diesen Skeptikern seine positive Vision von Grossbritannien in Europa gegenüberzustellen. Mit dem Deal, den er am Freitag in Brüssel besiegelte, seien die Sonderrechte des Landes garantiert. Er appellierte an die Briten, sich nicht auf einen «Schritt ins Dunkle» einzulassen – nur eine Mitgliedschaft in der EU garantiere Sicherheit und Prosperität.
Seine Gegner, sowohl in der eigenen Partei als auch bei den Rechtspopulisten von Ukip, bestehen hingegen darauf, dass sich das Land nur mit einem Austritt aus den Fängen der Brüsseler Bürokraten befreien könne. Nebst den rechten EU-Skeptikern sind zunehmend auch Stimmen von links zu hören, die aus völlig anderen Gründen einen Brexit empfehlen: Sie beklagen das Demokratiedefizit und die neoliberale Ausrichtung der EU. Zu diesen Kritikern aus dem antikapitalistischen Lager zählen etwa der bunte Linkspolitiker George Galloway und der prominente britisch-pakistanische Aktivist und Schriftsteller Tariq Ali.
Die Bevölkerung ist derzeit uneins: Etwa ein Drittel will in der EU bleiben, ein Drittel will raus, und der Rest weiss es noch nicht. Diese Unentschlossenen werden sich in den kommenden Monaten nicht nur Gedanken machen müssen über das Verhältnis Grossbritanniens zur EU, sondern auch über das Schicksal des Vereinigten Königreichs.
Abstimmung kommt für Europa zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
Die wortgewaltige Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands und Vorsitzende der Scottish National Party (SNP), warnte, dass im Fall eines Brexits ein neueres Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands unvermeidlich sei. Die SNP ist ein grosser Anhänger der EU und würde sich in einem unabhängigen Schottland für eine Mitgliedschaft bewerben.
Für das restliche Europa kommt das Referendum zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Das lässt sich schon an den missmutigen Kommentaren ablesen, die nach dem Deal von Brüssel in den kontinentaleuropäischen Zeitungen erschienen. Der Tenor lautete: Jetzt ist nicht die Zeit für innenpolitisch motivierte Alleingänge, Europa hat schon genug Probleme. Die dringendsten Angelegenheiten sind die Flüchtlingskrise sowie die anhaltenden Schwierigkeiten in der Eurozone.
Gerade diese Probleme könnten jedoch die Briten dazu verleiten, der EU den Rücken zu kehren. Ein Ausscheiden der zweitgrössten Volkswirtschaft würde dem Staatenbund einen empfindlichen Schlag versetzen.