Zuerst der Schock über das Pferd in der Lasagne. Dann die Trauer um den toten Bären. Und bald schon wird wohl die nächste Sau durchs Dorf gejagt. Im bizarren Verhältnis zwischen dem Schweizer und dem Tier gibt es höchstens eine Konstante: der grosse Appetit aufs Fleisch – leider.
Ganz offensichtlich gibt es Tier und Tier. Fleisch und Fleisch.
Hühner, Schweine und Kühe werden millionenfach vernichtet, peng, peng, peng und millionenfach vertilgt, schmatz, schmatz, schmatz. Jede Schweizerin, jeder Schweizer verspeist in seinem häufig nur allzu kurzen Leben durchschnittlich 8 Kühe, 33 Schweine, 720 Hühner, 6 Schafe, 2 Ziegen, 25 Kaninchen, 4 Rehe zuzüglich der 390 Fische und des statistisch bisher wohl etwas unterbewerteten Pferdeanteils.
Fleisch, Fleisch, Fleisch
Es sind eindrückliche Zahlen, aber nicht wirklich erstaunliche. Beispiel Fasnacht: An den drey scheenschte Dääg gibt es nicht nur Bier, Bier und nochmals Bier, sondern auch Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch. Zum z’Middag, zum z’Nacht und warum nicht auch noch zum Kater-z’Morge, in der Beiz, am Stand, daheim – überall. Wer was anderes essen will, wird auch in grossen und bekannten Restaurants häufig mit Mehlsuppe abgespeist (und mit Zybelewäye, sofern auch ohne Speck vorhanden). Ein Essen ohne Fleisch ist ganz offensichtlich kein richtiges Essen mehr. Erstaunlich ist unter diesen Voraussetzungen höchstens, dass nicht noch mehr Tiere im Durchschnittsmagen eines Schweizers zu Ende verarbeitet werden.
Das ist alles normal. Einen Aufschrei gibt es dafür, wenn wie in der vergangenen Woche auskommt, dass anstatt Rind immer wieder mal ein bisschen Pferd in der Lasagne landet. Zugegeben: eine falsche Deklaration ist eine Schweinerei. Aber ist es nicht auch logisch, dass bei den gigantischen Mengen Fleisch auch mal was Falsches auf dem Teller landet? Und vor allem auch Fleisch, das grausam produziert worden ist, was eigentlich noch viel schlimmer ist?
Aber auch das: alles ganz normal. Den nächsten Aufschrei in Sachen Tier gibt es wegen eines Einzelschicksals, Bär M13, der am Dienstag, 19. Februar, um 10 Uhr morgens je nach Blickwinkel eliminiert, erlegt oder ermordet wurde. Unbestritten ist, dass die Jäger ihn bis zur Lichtung ob Miralago (GR) verfolgten, dass sie ihn dort ins Visier nahmen und schossen. Das Projektil, 7 x 64 Millimeter, traf M 13 Mitten ins Herz. «Ich bin aufgeschreckt, als ich den Schuss hörte», sagt der Bauer Marcello Dorsa (40), einer der wichtigsten Zeugen, die der «Blick» in der Umgebung aufspüren konnte. Und weiter: «Ich hoffe, dass er nicht lange leiden musste.»
Grosse Trauer
Nicht nur im «Blick» war der tödliche Schuss gestern und heute DAS grosse Thema, sondern in allen Schweizer Medien. Zitiert werden wichtige und halbwichtige Politiker, Wildhüter, Tierschützer, Tierfreunde und damit auch die ganz normale Frau, der ganz normale Mann von der Strasse.
Viele sind traurig. «Selbst die Wildhüter!», wie der Blick nach seiner Spurensuche in den Bergen zu berichten weiss. Daneben spürt man auch Erleichterung – und blankes Entsetzen.
Erleichterung einerseits, weil M 13 als Problembär galt, der den Menschen zu nahe kam oder – um es in den Worten der «Basler Zeitung» zu sagen: der die Menschen «zu sehr liebte».
Und Entsetzen andererseits, weil man generell keine Tierli töten soll. Und schon gar nicht so herzige, wie in Umfragen und in den Kommentarspalten der Medien nun immer wieder gesagt wird. Ein Zusammenleben mit dem Bär, diesem «Heiligtum der Natur» (Fabio Da Gosta, 29, Verkäufer aus Oftringen, AG) müsste doch eigentlich problemlos möglich sein.
Es sind Vorwürfe und Forderungen, die interessanterweise gerade aus dem Unterland häufig zu hören sind. Von dort also, wo schon Kleingetier für Angst und Schrecken sorgt (Zeckenalaram!) und eher unspektakuläre Viren panikartige Attacken auslösen können (Schweinegrippe!). Und wo es gleichzeitig die normalste Sache der Welt ist, massenhaft Tierli zu töten und zu essen.
Die nächste Sau
Selbstverständlich dürfen die Schweiz und speziell das Bündnerland über den Bär reden, ja, sie sollen sich sogar unbedingt die Frage stellen, ob ein Zusammenleben mit dem wilden Tier in Zukunft nicht vielleicht doch möglich sein könnte. Umso mehr, als es für die Schweiz interessante Vorbilder gäbe.
Schön wäre es, wenn daneben endlich einmal eine etwas vertieftere Debatte über das bizarre Verhältnis vom Mensch zum Tier geführt würde. Das könnte zu einer etwas nüchterner Sichtweise führen und – wer weiss? – vielleicht auch zu Konsequenzen, die noch sehr viel mehr Tieren zu gute kämen als einem einsamen Bären im Bündnerland.
Zeit dafür wird aber wahrscheinlich keine bleiben, auch weil die Medien spätestens am Tag 2 nach dem Abschuss des Problembärs M 13 bereits wieder eine andere Sau durchs Dorf jagen.