Die Schweiz, die Bündner und die olympische Idee für 2022: Warum man die Frage mal ganz anders und ehrlicher stellen sollte: Wollt ihr eine grosse Sause und wollt ihr dafür ein paar Milliarden ausgeben? Die ganzen anderen Versprechungen kann man sich sowieso schenken.
Jetzt also die Frauen. Laut der jüngsten Umfrage wird am 3. März die Olympia-Kandidatur 2022 sowieso beerdigt, und die Frauen werden den Sargnagel einschlagen. Nur jede dritte Bündnerin, hat das Meinungsforschungsinstitut Demoscope ermittelt, will ein Ja einlegen. Olympiafreundlicher gesinnt sind die Männer, von denen 49 Prozent für den Mega-Event stimmen wollen.
Der erste olympische Wettbewerb in der Disziplin «Wie überzeuge ich ein skeptisches Publikum vom Sinn und Nutzen» läuft also mehr schlecht als recht. Die Olympia-Befürworter sind ungefähr auf dem Stand der alpinen Skirennfahrer: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Die Gegner haben, so scheint es, mit ihren Argumenten Oberwasser. Und das ist auch nicht besonders schwer, denn dass eine so gewaltige Veranstaltung wie Winterspiele Unsummen von Geld verschlingt, Ressourcen kostet, die Umwelt belastet, ist ja keine neue, exklusive Erkenntnis, die gerade in der Schweiz und in Graubünden gewonnen wird.
Das IOC steht nicht Schlange
Kennzeichnend für den Stand der Debatte ist zum einen, dass die Kritiker mit dem Finger auf das Internationale Olympische Komitee zeigen, dieses in Lausanne ansässige Monstrum globaler Sportpolitik. Das IOC sahnt den Reibach ab und lässt die Ausrichterländer auf einem Kostenberg sitzen, heisst es gerne sehr verkürzt. Das kennen wir, seit die Schweiz gemeinsam mit Österreich die Fussball-Europameisterschaft 2008 beherbergt hat. Auch damals wurde alles, was die Europäische Fussballunion Uefa mit ihren Knebelverträgen bestimmte, zum Aufreger.
Die Schweiz hätte es in der Hand, die Dachorganisationen des Sports an die Kandare zu nehmen.
Es ist doch so: Weder Uefa noch IOC stehen bei der Schweiz Schlange, um ihre Veranstaltungen anzutragen. Es ist umgekehrt. Aber in diesem Land herrscht die Haltung, die sich bei Politikern von links bis rechts durchzieht, dass man zwar schon mitspielen, aber, bitteschön, selbst die Spielregeln bestimmen möchte. Denen kann man nur entgegnen: Heult doch!
Die ewigen Versprechungen
Dabei hätte es die Schweiz und mithin diese Politiker als einziges Land auf dieser grossen weiten Welt in der Hand, die Dachverbände an die Kandare zu nehmen. Mit einer höheren Besteuerung, mit der Vorgabe, sich entsprechend ihrer Grösse nicht mehr als Verein, sondern als Wirtschaftsunternehmen zu organisieren, mit schärferen Gesetzen, die der Korruption entgegenwirken.
Der Graubündner Kampagne gebricht es in anderen Punkten. Wenn es um Olympische Spiele geht, werden stets die alten Zöpfe geflochten. Es sind immer die gleichen Wertschöpfungsgeschichten, die aufgetischt werden: Die Infrastruktur wird modernisiert, Wirtschaft und Tourismus werden gefördert und natürlich wird Nachhaltigkeit erzeugt.
Die Erfahrung lehrt: Die grossen Versprechungen kann man sich schenken
Dabei zeigen nicht zuletzt die Lehren aus Lillehammer 1994, Spiele, die am ehesten mit den geplanten in Graubünden zu vergleichen sind, dass man sich grosse Versprechungen schenken kann. Die Arbeitslosenquote der Region um Lillehammer sank vorübergehend, um, nachdem die Karawane weitergezogen war, wieder den vorherigen Stand zu erreichen.
Und die Wirkung auf den norwegischen Tourismus ist ernüchternd: Steigende Zahlen in Lillehammer gingen auf Kosten anderer Regionen; es kam höchstens zu einer Verschiebung, und unter dem Strich war es für die Tourismusbranche des Landes ein Nullsummenspiel. Das Blaue, das im Vorfeld von Olympia oder Fussball-WM vom Himmel versprochen wird, nennt eine Studie des Western Norway Research Institute schlicht «Experten-Prostitution».
Und für Winterspiele in Graubünden liegt ja auch noch einiges im Ungefähren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Budget geht man von 430 Millionen Franken aus, die nationale Sponsoren ins Kässchen zahlen. Dieser Ansatz wird als «vorsichtig» taxiert und steht drei Zahlen gegenüber: Zum heutigen Kurs umgerechnet kamen 2010 in Vancouver 635 Millionen zusammen, vier Jahre zuvor in Turin 321 Millionen und 2002 in Salt Lake City 456 Millionen – in kaum vergleichbaren Märkten.
Wollen wir uns das leisten?
Worüber all die Budgets und Prognosen und Verheissungen nichts aussagen, ist der Effekt, den solche Grossveranstaltungen durchaus bei den Menschen im Ausrichterland auslösen können. Die Portugiesen waren 2004, als sie noch als das «Armenhaus der EU» galten, stolz darauf, wie prima sie die Europameisterschaft hinbekommen haben. Auch wenn die öffentliche Hand bei der Finanzierung der Fussballsause an ihre Grenzen ging.
Deshalb wäre es doch ehrlicher, das Volk zu fragen, statt verquaste Nachhaltigskeitsdebatten zu lancieren: Wollen wir uns eine Megaparty in den Bündner Alpen gönnen und dafür mindestens 2,5 Milliarden Franken ausgeben? Leisten könnte sich das unser Land. Und weil diese Frage die gesamte Schweiz betrifft, gehört sie nicht nur kantonal zur Abstimmung. Aber vielleicht erübrigt sich jede weitere Auseinandersetzung mit dem Thema nach dem 3. März.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13