Hört auf, vor dem Bünzli zu kuschen! Das SRF braucht jetzt Mut zum Risiko

Nach No Billag braucht das SRF nicht noch mehr Sendungen, die auf Nummer sicher gehen. Sondern mehr komische, skandalöse und bahnbrechende Inhalte, die das Publikum durchschütteln.

Fürchtet euch nicht vor den Kleinbürgern. Knackeboul wünscht sich vom SRF mehr Mut.

Vielleicht erkenne ich mich in diesem Verhalten selber und rege mich deshalb so auf. Jedenfalls finde ich, dass das SRF seit Jahren das Falsche macht: Es will möglichst vielen gefallen, es allen recht machen. Im Angesicht der No-Billag-Epidemie gelobte man, vieles besser machen zu wollen und nach der Abstimmung erst recht. Zum Beispiel sparen.

Ich finde: Einen Scheiss muss sie, die SRG. Ein Medienhaus, das gute journalistische, kulturelle und musikalische Inhalte produzieren will, muss nicht auf den Bünzli hören, sondern auf Musikerinnen, Kulturschaffende und Journalisten. Bisher produziert das SRF stets auf Nummer sicher. Ja keinen Leserbrief riskieren, ja nicht die Wut des Kleinbürgers wecken.

Ein Format, das keine bösen Kommentare generiert, kann kein gutes Format sein.

Um relevante Medieninhalte zu schaffen, müsste die Haltung aber genau die umgekehrte sein: Ein Format, das keine Leserbriefe und böse Kommentare à la «Und das mit meinem Gebührengeld!» generiert, kann kein gutes Format sein. Das Einzige, was das SRF machen muss, ist wieder relevant werden. Vielleicht ist die Zeit von Radio und Fernsehen vorbei. Relevante Inhalte, egal auf welcher Plattform, brauchen wir aber dringender denn je.

Spannend ist, dass sich im Vorfeld der Abstimmung vor allem Menschen für die SRG eingesetzt haben, die von ihr meist nur am Rande geduldet werden. Die kantigen Künstlerinnen, die verschrobenen Schreiberinnen, die klugen Kläger, die Filmemacher des Untergrunds, die Viel-Mehr-Macher mit Unvernunft.

Diese Kreativen, die im Tagesprogramm des Schweizer Radios und Fernsehens kaum vorkommen, und wenn, dann nur in einer harmlosen Variante oder nach endlosen Kämpfen mit Redaktionen um ein letztes Quantum Authentizität. Kämpfe, die meistens zugunsten der Redaktion ausgehen.

Man holt ein junges wildes Team von aussen und dann kommt doch wieder ein anbiederndes Kack-Format dabei raus.

Bemüht um Volksnähe und in ständiger Angst vor dem Bünzli wird alles solange verswissnesst, bis irgendein Interner das Gefühl hat, man habe jetzt ein Format gemacht, das möglichst wenige Leute verärgert und möglichst viele Menschen der Zielgruppe 70+ anspreche oder noch schlimmer: die bürgerliche Mitte. Ein fataler Fehler, der allen schadet.

Erstens dem SRF selbst, weil ein mega cooles Format, das verbürgerlicht wurde, weder cool noch bürgerlich ist und niemanden interessiert.

Zweitens dem jungen wilden Produzententeam, das extra von extern reingeholt wurde, um mal etwas ganz Neues auszuprobieren und dann kommt doch wieder so ein anbiederndes Kack-Format mit einem Jingle aus dem Hause Hitmill dabei raus. Gleichzeitig hat dann das ursprünglich authentische und innovative Team eine langweilige Kack-Sendung als Referenz und verliert mit jedem SRF-Auftrag an Esprit.

Und drittens schadet dieses Vorgehen auch dem Publikum, weil es die immer gleiche Bünzli-Sosse vorgesetzt bekommt und es darum keine Chance hat, durch tiefschürfende und herausfordernde Inhalte unterhalten und auch stimuliert und inspiriert zu werden. Vielleicht auch irritiert, was aber immer noch besser ist als gelangweilt oder eingelullt.

Der kauzige Kunstfuzzi mag belächelt werden, aber er trägt zur Evolution des Menschen bei.

Als Künstler und Medienschaffender finde ich, dass kreative Inhalte aller Art in erster Linie dazu da sind, die Neugier der Menschen zu wecken. Das gilt für die Musik, für das Bild, für den Text usw. Wer als Künstlerin oder Produzent seine kreative Arbeit so anpasst, dass sie ja niemanden stört, dass sie sich ja verkauft, der tut den Menschen einen grösseren Bärendienst als ein kauziger Kunstfuzzi, der in seinem Atelier auf Kosten des Steuerzahlers aus Hämmern Flöten bastelt, die man nicht spielen kann.

Der kauzige Kunstfuzzi mag belächelt werden, aber er trägt zur Evolution des Menschen bei. Der gefällige Hitproduzent nicht. Das mal so in den Raum gestellt wie eine mit Steuergeldern finanzierte Skulptur aus gebrauchten WC-Bürsteli, präsentiere ich fünf Dinge, die ich im Schweizer Radio und Fernsehen permanent sehe und höre, die mich aber null interessieren.

  1. Die ewig gleichen Mainstream-Songs, von denen man auch nur einen spielen könnte, stellvertretend, weil sie allesamt gleich klingen.
  2. Befindlichkeiten, Telefongespräche mit Füdlibürgern und inhaltslose Floskel-Moderationen von ach so gutgelaunten Morgenmenschen.
  3. Die unerträgliche Swissness, die genau dadurch, dass sie eine Pop-Kitsch-Bilderbuch-Schweiz zeigt, rein gar nichts mit ihr zu tun hat.
  4. Lauwarme Scripted-Reality-Formate, die Inhalte, die eigentlich interessant sein könnten, für den Bünzli möglichst bekömmlich präsentieren.
  5. Unlustige, platte Comedy ohne Mut oder Potenzial zum Bösen, zum Kantigen, zur Satire.

Fünf Dinge, die ich in Schweizer Radio und Fernsehen selten sehe und höre, die mich aber brennend interessieren würden.

  1. Neue Musik, die mich überfordert. Moderatoren und Journalistinnen, die eine Ahnung haben von Musik und mir ihre Entdeckung aus Herzenslust näherbringen wollen. Mutige Musik aus der Schweiz.
  2. Moderatoren mit einer Meinung zu politischen und sozialen Themen. Schrifstellerinnen, Satiriker, Lebefrauen und Unikate an den Mikrofonen und vor den Kameras. Streitgespräche und absurde Talks anstelle von 30-Sekunden-Moderationen vor dem nächsten Charts-Song.
  3. Das Erforschen der wirklichen Schweiz mit ihren Abgründen, ihren skurrilen Kulturschätzen, ihren Migranten. Produziert von wilden jungen Filmemachern.
  4. Shows wie die von Eric André oder wenigstens Böhmermann, Musik-Interviews wie die von Nardwuar und endlich mein seit zehn Jahren vorgeschlagenes und nie realisiertes «Besoffen Kochen».
  5. Eine Gruppe junger verrückter Bild-, Ton- und Musikfreaks, die zusammen komische, skandalöse und bahnbrechende Inhalte generieren und diese von der Schweiz aus ins Netz und in die weite Welt posaunen.

Den Bünzli, der sich in Swissness suhlen will, bedienen solche Formate nicht. Dafür machen sie das SRF relevant für Menschen, die Einblicke in Welten schätzen, die den eigenen Horizont erweitern.

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