Niemals zuvor haben sich die versammelten Spitzenexponenten der Kurie und der Bischofskonferenzen so offen mit dem Thema Familie befasst. Die Bischöfe sprachen über Homosexualität und nicht-eheliche Partnerschaften und schauten erstmals nicht in die Schlafzimmer der Menschen, sondern in ihre Wohnzimmer.
Die zu Ende gegangene Bischofssynode im Vatikan ist eine Zäsur in der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche. Niemals zuvor haben sich die versammelten Spitzenexponenten der Kurie und der Bischofskonferenzen so offen mit dem Thema Familie befasst.
Wenn die katholische Kirche über Familie spricht, dann bedeutete dies bisher eines: die Bestätigung der bestehenden rigorosen Lehre zu Themen wie Ehe, Partnerschaft und Sex. In diesem Zusammenhang hat sich im Vatikan die Perspektive nun geändert.
Die Mehrheit der Kirchenführer verschanzt sich nicht mehr hinter den sogenannten nicht verhandelbaren Prinzipien. Zum ersten Mal forderten die Synodenväter einen neuen Blick auf die Familie. Anstatt explizit homosexuelle Handlungen oder nicht-eheliche Partnerschaften zu verurteilen, erkannten die Bischöfe erstmals positive Elemente in Situationen, die nicht dem Ideal der katholischen Doktrin entsprechen.
Eine Tür zur Realität geöffnet
Es ist wirklich so, wie ein Synodenteilnehmer es formulierte: Die katholische Kirche blickt erstmals nicht mehr in die Schlafzimmer der Menschen, sondern in ihre Wohnzimmer.
Auch wenn im Schlussdokument eine explizite Öffnung gegenüber Homosexuellen, wie sie noch im Zwischenbericht zu lesen war, wieder kassiert wurde: Die Bischöfe haben eine Türe zur Wirklichkeit der Menschen geöffnet, anstatt sie zum unzähligsten Male zuzuschlagen. Diesen offenen Spalt werden auch die Traditionalisten im Klerus nicht so leicht wieder verschliessen können.
Wenn man so will, hält Papst Franziskus, Garant und Initiator dieser Entwicklung, die Tür mit seinen breiten, schwarzen Orthopädie-Schuhen gegen die Widerstände auf. Denn die sind, auch wenn in der Minderheit, nicht zu überhören.
Die Bischöfe haben gar keine Macht zur Veränderung der Lehre.
Definitiv wurde auf der Synode nichts beschlossen. Die Kirche hat ihren Katechismus und ihre Doktrin nicht verändert, Sünde bleibt Sünde und das Ideal der christlichen Ehe zwischen Mann und Frau unangetastet. Die Bischöfe haben gar keine Macht zur Veränderung der Lehre.
Die Gretchenfrage der Synode, ob wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden können, ob also eine Ausnahme vom Prinzip (der Unauflöslichkeit der Ehe) möglich ist, bleibt vorerst unbeantwortet. Die Synodenväter konnten allein Empfehlungen und ihre Sicht der Dinge darlegen, so wie sie es auch bei der ordentlichen Synode im Oktober 2015 zum selben Thema machen werden.
Neu ist die offene Grundstimmung
Sie haben aber einer neuen, offenen Grundstimmung Ausdruck gegeben, die Folgen haben wird. Im Abschlusspapier der Synode kommt auch die Uneinigkeit bei umstrittenen Themen zum Ausdruck. Dies ist ein Zeichen für Bewegung und Offenheit, das gut für die Kirche selbst ist.
Seit Franziskus Papst ist, weht ein frischer Wind in der katholischen Kirche. Er ist Dreh- und Angelpunkt dieser mehr als symbolischen Öffnung. Mit seiner steten Forderung nach mehr Barmherzigkeit hat der Papst den Bischöfen den Weg gewiesen. Er bekommt nun von den Konservativen noch mehr Widerstand als bisher.
In Rom wird mit allen Mitteln um die Vorherrschaft gekämpft.
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt in Italien ein viel beachtetes Buch herauskommt, das die Wahl Bergoglios im Konklave 2013 (mit fadenscheinigen Gründen) als ungültig bezeichnet. In Rom wird mit allen Mitteln um die Vorherrschaft gekämpft.
Doch Franziskus hat das letzte Wort. Er wird nach der Synode im kommenden Jahr die Empfehlungen der Bischöfe in ein verbindliches Programm giessen, dessen Wirkung erheblich sein dürfte. Wird man in einigen Jahren dann den genauen Zeitpunkt des Beginns der theologischen Wende weg vom Fundamentalismus hin zu einem offenen Blick auf die Menschen suchen, liegt die Antwort in dieser Bischofssynode.