Die Schweiz muss aufhören, sich ständig selbst strengere Regeln aufzuerlegen und als Vorreiterin in Sachen Moral und Ethik gelten zu wollen.
Neulich vertraute mir ein Freund an, dass er angesichts der internationalen Verschuldungskrise sowie der Angriffe auf die Schweiz und ihre Wirtschaft schlaflose Nächte habe und sogar unter Existenzängsten leide. Wohlbemerkt, besagter Freund arbeitet nicht in der Finanzindustrie.
Die Länder dieser Welt verhalten sich je länger, je mehr wie ein System kommunizierender Röhren. Gefördert wird diese Entwicklung durch die Globalisierung, Informationstechnologie und die sozialen Medien. Gleichzeitig führt die Zunahme der Bevölkerung zu einer Eskalation der Verteilkämpfe um Ressourcen und Wohlstand.
Es ist ein Naturgesetz, dass sich in einem kommunizierenden System die Niveaus angleichen. Für die Wohlstandsinsel Schweiz bedeutet es eine Anpassung nach unten, den Verlust von Wirtschaftskraft und Wohlstand.
Derselbe Staatsanwalt unterzeichnete Anklage gegen Pharmamulti und Privatbank
Angefangen hat dieser Prozess mit den Angriffen aus dem Ausland auf den Bankensektor. Dieser war wegen der moralischen und ethischen Fragen, welche sich im Zusammenhang mit undeklarierten Vermögenswerten ergeben, besonders verwundbar. Längst wird aber versucht, auf breiter Front die Röhre Schweiz zu nivellieren. Nach der Rohstoffbranche ist die Pharmabranche in den Fokus geraten – und es ist kein Zufall, dass die kürzlich eingereichte Anklageschrift gegen einen Schweizer Pharmamulti von ein und demselben Staatsanwalt aus New York unterzeichnet wurde, welcher vor ein paar Wochen eine Anklageschrift gegen eine Zürcher Privatbank deponiert hat.
Die Schweiz befindet sich in einem globalen Wirtschaftskrieg. Dieser wird mit den verschiedensten Mitteln betrieben, welche von medialer Verunglimpfung über regulatorische, steuerliche und wettbewerbsrechtliche Massnahmen bis hin zu strafbarem Verhalten von Regierungen reichen. Warum sich also aufregen, it’s the economy, stupid!
Die TagesWoche hat der Verteilungsgerechtigkeit die Ausgabe vom 26. April 2013 gewidmet. Nachfolgend eine Auswahl der Artikel:
Und warum nervt Streller nicht? – Die Debatte über die gerechte Lohnverteilung scheint Künstler und Sportler nicht zu berühren. Dabei wären sie von einer Annahme der 1:12-Initiative auch betroffen. Weiterlesen
Der alltägliche 1. Mai – Vier Volksinitiativen fordern eine gerechtere Verteilung der Einkommen. Die erste, nämlich die Abzocker-Initiative, hat das Volk angenommen. Der Klassenkampf hat die bürgerliche Gesellschaft erreicht. Weiterlesen
Doch wie rüstet sich die Schweiz für die Schlachten dieses Krieges? Den Spartanern wird zugeschrieben, mit der Erfindung der Phalanx den Übergang von Einzel- zu Formationskämpfen eingeläutet zu haben und eine legendäre Verteidigungsmacht geworden zu sein. Gut möglich, dass die Helvetier diese Idee seinerzeit bei der Anlage ihrer Wagenburg bei Bibracte übernommen haben. Sie handelten intelligenter als die heutigen Politiker, Beamten und Wirtschaftsführer. Von einer organisierten Verteidigungsstrategie angesichts des Wirtschaftskrieges ist heute nichts zu spüren.
Schweizer Wirtschaft kämpft Zweifrontenkrieg
Während Länder wie die USA oder aufstrebende asiatische Nationen ihre Reihen längst geschlossen haben, kämpft die schweizerische Wirtschaft einen Zweifrontenkrieg gegen das Ausland und eine unheilvolle interne Allianz aus Beamten- und Gewerkschaftskreisen. Ersteren fehlt die Weitsicht, dass der Niedergang der schweizerischen Wirtschaft auch zu einer Implosion des Verwaltungswesens und damit ihrer eigenen Existenz führen wird, Letzteren das Verständnis für die Wirtschaftsrealität in einer globalisierten Welt. Überlegungen zu Moral, Ethik und Bemühungen um eine fairere Verteilung von Wohlstand sind erstrebenswert. Aber sie müssen mit Augenmass und mit Blick auf die Realität erfolgen.
Als Beispiel ziehe man die 1:12-Initiative heran. Ausländische Unternehmen werden sich dieser Regel nicht unterziehen. Entscheide über Standorte werden kaum von Mitarbeitern in der Schweiz getroffen, sondern von der Führung im Ausland. Dieser wird es nicht schwer fallen, alternative Standorte zu finden, zumal die in New York oder London sitzenden Entscheidungsträger vom Beschluss nicht betroffen werden. Schweizerische Unternehmer werden die Stellen des unteren Lohnsegmentes ins Ausland verlagern. Kein anderes Land beabsichtigt, seine Wirtschaft freiwillig derart zu beschneiden, weshalb diese Initiative im besten Fall als naiv erscheint.
Die Schweiz muss aufhören, sich selbst ständig strengere Regeln aufzuerlegen, wenn sie verhindern will, dass Wirtschaft und Wohlstand ins Ausland fliessen.
Mathis Büttiker ist Advokat und Teilhaber der Basler Privatbank La Roche 1787. Dieser Text erschien als Gastkommentar in der gedruckten TagesWoche vom 24. Mai 2013.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13