Die 1:12-Initiative ging einer klaren Mehrheit der Abstimmenden zu weit. Die Löhne der Topmanager werden nicht staatlich gedeckelt. Nicht vom Tisch ist jedoch der Unmut über die Casino-Mentalität auf Schweizer Chefetagen.
Es ist nicht zur grossen Abrechnung gekommen, wie sich das die Jungsozialisten nach der deutlichen Annahme von Thomas Minders «Abzocker-Initiative» im vergangenen März erhofft hatten. Völlig überraschend ist das Resultat nicht. Das Nein hat sich in den letzten Tagen des Abstimmungskampfes in Meinungsumfragen abgezeichnet.
Die 1:12-Gegner haben in den vergangenen Wochen erfolgreich Lobbyarbeit betrieben. Kaum ein Tag verging ohne warnende Leitartikel, in denen die fatalen Folgen einer Annahme der Juso-Initiative für den Standort Schweiz in grellen Farben skizziert wurden: Konzerne würden Firmenteile abspalten und ins Ausland verlagern, der Zuzug hochqualifizierter Manager könnte erschwert werden, Geschäftseinheiten mit tiefen Löhnen würden «outgesourct», und es käme zu markanten Steuerausfällen und Mindereinnahmen bei der AHV.
Diese Warnungen waren nicht ganz von der Hand zu weisen. Bei der 1:12-Initiative, die das Lohnband gesetzlich festlegen wollte, handelte es sich um eine extreme Vorlage: Nie zuvor wurde ein so massiver staatlicher Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit gefordert. Deshalb warnten selbst linke Ökonomen sowie die Mehrheit der SP-Vertreter in den Kantonsregierungen vor möglichen negativen Konsequenzen einer Annahme der Initiative.
Extrem ist aber auch die Lohnentwicklung. Exzessive Saläre und Bonuszahlungen haben Ruf und Ansehen des Spitzenpersonals in der hiesigen Wirtschaft erheblich beschädigt – nicht nur in den Augen der üblichen Verdächtigen auf der linken Seite. Verdienten Chefs in den 1980er-Jahren im Schnitt sechsmal und Ende der 1990er-Jahre 13-mal mehr als die Angestellten mit den tiefsten Löhnen, so beträgt das Verhältnis heute im Schnitt 1:43. Credit-Suisse CEO Brady Dougan etwa verdient heute über 190-mal mehr als der am geringsten entlöhnte CS-Mitarbeiter – seit seinem Amtsantritt ist der Aktienkurs der Bank jedoch um über 70 Prozent gesunken. Oder Ex-UBS-Präsident Marcel Ospel: 2006 hatte er ein Salär von rund 27 Millionen Franken erhalten. Wenig später stand die Bank vor dem Zusammenbruch.
Das Volk hat genug von den Lohnexzessen auf den Chefetagen.
Es ist diese Masslosigkeit des Topmanagements, die viele Bürgerinnen und Bürger empört. Das Volk hat genug von der angelsächsischen Casino-Mentalität, die in den vergangenen Jahren in manchen Grossfirmen Einzug gehalten hat und Manager wie Musik- oder Fussballstars mit Gold aufwiegt.
Auch Chefs wie einst die Chemiepatrons Louis von Plant und Alex Krauer, «Uhren-König» Nicolas Hayek oder Unternehmer Otto Ineichen bezogen hohe Gehälter und stritten sich gelegentlich heftig mit den Gewerkschaften. Sie wurden aber geachtet, weil sie ihre Unternehmen nicht bloss als Maximierungsmaschinen für den schnellen persönlichen Profit missbrauchten, sondern langfristige Perspektiven entwickelten und das alte unternehmerische Credo vertraten, dass sich der Erfolg einer Firma auch am Wohlergehen der Mitarbeiter messen lassen muss.
Die Bonus-Party ist vorbei. Das sollten die Sieger im Augenblick des Triumphs nicht vergessen.
Das Erfolgsmodell Schweiz stehe und falle mit einem liberalen Arbeitsrecht, betonten die bürgerlichen Gegner der 1:12-Initiative im Abstimmungskampf. Damit haben sie Recht. Ebenso wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg ist aber auch eine funktionierende Sozialpartnerschaft: Diese wurde durch die Gier- und Anything-goes-Kultur auf manchen Chefetagen stark beschädigt.
Die grosse Bonus-Party ist vorbei. Viele Schweizerinnen und Schweizer sind misstrauisch geworden und fordern mehr Moral und Anstand von ihren Chefs. Das sollten die Sieger im Augenblick des Triumphs nicht aus den Augen verlieren.