Die NZZ-Redaktion wehrt sich gegen den Missbrauch des Journalismus als verlängertem Arm der Politik. Das ist gut so. Denn wer solches tun will, fügt dem angeschlagenen Ruf der Branche weiteren Schaden zu.
Kann man den klassischen Medien noch vertrauen? Sind die Leserinnen und Leser Opfer einer immer mächtiger werdenden Manipulationsmaschinerie, wie Kritiker mit zunehmender Schärfe in Onlineforen und Blogs monieren?
Die jüngsten Ereignisse rund um die NZZ dürften all jenen skeptischen Leserinnen und Lesern Auftrieb geben, die sich gegen den Allmachtsanspruch der Welterklärer in den Redaktionen wehren.
Ein Grund für das wachsende Misstrauen vieler gegenüber der Presse besteht darin, dass es heute möglich geworden ist, mediale Fehlleistungen rasch aufzudecken und Medienkritik öffentlichkeitswirksam zu äussern. Das Internet und der Durchbruch mobiler Endgeräte haben die «Verkehrsregeln» in der Medienwelt verändert: Aus einem monologischen ist ein dialogisches System geworden.
Nicht zuletzt über die via Twitter und Facebook gestreuten Spekulationen und Indiskretionen dürfte auch Markus Somm gestolpert sein. Am Montag zog der BaZ-Verleger und Chefredaktor seine Kandidatur für die Chefredaktion der NZZ offiziell zurück.
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Zum anderen ist eine Repolitisierung der Medien festzustellen. Auch in der Schweiz, wo die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung» einen dezidiert rechtsbürgerlichen Kurs verfolgen.
Eine ähnliche Ausrichtung scheint auch ein Teil des NZZ-Verwaltungsrats anzustreben, wie die Entlassung von Chefredaktor Markus Spillmann letzte Woche nahelegt. Nach Tagen wilden Spekulierens wissen wir heute: Die NZZ ist in einer Orientierungskrise, zwischen Verwaltungsrat und Redaktion findet ein heftiger politischer Richtungskampf um die veröffentlichte Meinung statt.
Nach den Auslandskorrespondenten haben am Dienstag auch die Angestellten in Zürich den Verwaltungsrat vor der Ernennung eines Chefredaktors mit rechtsbürgerlicher Gesinnung gewarnt. 163 Redaktionsmitglieder haben die Stellungnahme unterzeichnet.
Ein nationalkonservativer Chefredaktor würde «das Ende der Kultur einer liberalen und weltoffenen NZZ bedeuten», heisst es im offenen Brief der Redaktion: «Sollte sich die politische Richtung, in der offenbar nach einem neuen Chefredaktor gesucht worden ist, bestätigen, so protestieren wir gegen diese Pläne in aller Schärfe.»
Mit ihrem öffentlichen Protest sendet die NZZ-Redaktion ein wichtiges Signal an ihre Leserinnen und Leser aus. Medien dürfen eine Haltung vertreten, und Journalisten sollen in Kommentaren ihre politische Meinung kundtun können. Journalistinnen und Journalisten sind aber keine politischen Erfüllungsgehilfen, und die Presse darf nicht als verlängerter Arm der Politik missbraucht werden.
Wer solches anstrebt, fügt dem bereits angeschlagenen Ruf der Branche weiteren Schaden zu.