Mit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative hat sich die Schweiz in die grösste Krise seit der Ablehnung des EWR-Vertrags manövriert. Und wie reagiert die Politik? Peinlich.
Der Rauch hat sich verzogen, die Gemüter kühlen sich allmählich ab. Zeit, einen nüchternen Blick auf den Scherbenhaufen zu werfen, den die Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative angerichtet und die Schweiz in die grösste Krise seit der Ablehnung des EWR-Vertrags 1992 gestürzt hat. Und wie reagiert die Politik? Peinlich.
Schon die «Elefantenrunde», die sich am Abstimmungssonntag im Schweizer Fernsehen zum Wundenlecken traf, liess Schlimmes erahnen. Die üblichen parteipolitischen Phrasen wurden gedroschen, schuld waren wie immer die anderen, wortreich wurde die Ratlosigkeit überspielt. Kaum mehr Erkenntnisse brachte die Aufarbeitung des Volksentscheids in den nachfolgenden Tagen. Mit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative stünden schwere Verhandlungen mit der EU an (klar, davor wird seit Monaten gewarnt). Neben dem Röstigraben gibts auch einen Ballenberggraben zwischen Stadt und Land (richtig, ist aber auch nicht neu). Die Schweiz steht vor einer schwierigen Zukunft. Stimmt. Und jetzt?
Was es jetzt bräuchte, wäre eine selbstkritische Analyse.
Ein erster Schritt zur Lösung künftiger Probleme wäre eine schonungslose Analyse. Zum Beispiel von der FDP, die nicht wahrhaben will, dass immer mehr Menschen in der Schweiz dem Wachstumsmantra der Manager misstrauen und sich nicht mehr von Drohkulissen einschüchtern lassen. Oder von der SP, die die Ausländerfrage vor der Abstimmung weiträumig umschiffte, auf ein knappes Nein zur SVP-Initiative spekulierte und sich so Auftrieb im Kampf um Mindestlöhne und flankierende Massnahmen versprach.
Die knappe Mehrzahl der Ja-Sager zur Zuwanderungsinitiative hat alle Parteien auf dem falschen Fuss erwischt – auch die SVP, die wohl nicht wirklich mit einem Sieg rechnete, ebenfalls kein Rezept zur Bewältigung des Schlamassels hat und nun selber unter Druck gerät.
Trotz statt Selbstkritik
Statt Selbstkritik zu üben, reagieren die frustrierten Verlierer nun mit Trotz: SP-Schweiz-Präsident Christian Levrat, der die Ja-Sager-Kantone mit einem 10-Punkte-Plan bestrafen will. Der Basler SP-Grossrat Rudolf Rechsteiner, der am Mittwoch ankündigte, eine Standesinitiative einreichen zu wollen, um eine Wiederholung der Volksabstimmung zu erzwingen (seine Idee stösst nicht nur bei den bürgerlichen Gegnern, sondern auch in der eigenen Partei auf Kopfschütteln). Oder FDP-Präsident Philipp Müller und die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz, die am liebsten Ueli Maurer oder Christoph Blocher als «Sonderverhandlungsführer» nach Brüssel entsenden wollen.
Ausgerechnet! Als ob sich die ebenfalls überforderte SVP je für konstruktive und zukunftsgerichtete Verhandlungen mit der EU gewinnen liesse. Die politische Schweiz hat sich in eine Sackgasse manövriert. Problemlösung sieht anders aus.