Nicht lachen. Entwaffnen!

Wenn ein Christoph Blocher zur Nazi-Keule greift, steht die Welt auf dem Kopf. Das schaut zunächst komisch aus – auch Knackeboul musste lachen. Dann aber merkte er: Das ist ja genau der Trick der Demagogen!

Das ist überhaupt nicht lustig. Wirklich nicht.

(Bild: Tom Künzli)

Wenn ein Christoph Blocher zur Nazi-Keule greift, steht die Welt auf dem Kopf. Das schaut zunächst komisch aus – auch Knackeboul musste lachen. Dann aber merkte er: Das ist ja genau der Trick der Demagogen!

Man lacht dieser Tage über Blochers seniles Festhalten an seiner verbalen Inkontinenz: Die Juden-SVP, gejagt von den bösen Mainstream-Medien-Nazis in Axel-Springer-Stiefeln.

Kein linker Hippie im LSD-Rausch käme je auf diese Stufe der Wahnvorstellungen. Auch ich habe gelacht.

Aber es war ein eher verzweifeltes Lachen. So sehr ich diesen alten Mann als nicht mehr ernst zu nehmen abzustempeln wünschte – er ist leider nicht der Einzige, der die Opfer-Täter-Rolle auf den Kopf stellt. Das geschieht gerade europaweit. Ja, weltweit. Der alte, scheinbar verwirrte Mann, fürchte ich, ist auf der Höhe der Zeit.

Immer die gleichen Tricks

Jüngstes Beispiel: Norbert Hofer in Österreich, eine Art höflicher Haider. Ein frauen- und schwulenfeindlicher Rechtspopulist droht Österreichs Präsident zu werden. Seine Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) trägt es schon im Namen – hier wird der Wortsinn sehr frei umgedeutet. Die gepriesene Freiheit gilt natürlich nur für «echte» Österreicher. Und die nehmen sich auch die Freiheit, die Menschenrechte mit Füssen zu treten und eine Obergrenze für Menschen auf der Flucht zu etablieren.

Ob FPÖ, Front National, AfD oder (und es ist traurig, dass die grösste Partei der Schweiz hier in einem Atemzug erwähnt werden kann oder gar muss) SVP, alle wenden sie die gleichen demagogischen Tricks an: Übermässiges Zelebrieren des Wir-Gefühls («Wir sind das Volk!»), Selbstdarstellung als Mann des Volkes (auch als grossindustrieller Multimilliardär aus Zürich kann man an Bauernfamilien im Emmental appellieren) und dann eine Verschwörung gegen dieses «Wir» inszenieren. Die «Mainstream-Medien», die «kriminellen Ausländer», «die Flüchtlinge», «die Gutmenschen» mit «ihrer Willkommenskultur», «die Menschenrechtler», «die Richter» – sie wollen «unser Heimatland» zerstören. 

Wer das Gute als schädlich darstellt, kann Schlechtes tun, ohne schlecht dazustehen.

Als kritisch denkender Mensch durchschaut man dieses Spielchen zwar, ist ihm aber doch etwas hilflos ausgeliefert. Das ist nämlich das Perfide an der Demagogie: Sie kehrt alles um. Jeder Schuss in ihre Richtung macht diejenigen zu Opfern, die vorgaukeln, welche zu sein. Umgekehrt ist jeder Schuss aus ihrer Richtung ein Treffer. Weil Logik da nicht als Schutzschild taugt.

Wer das Gute als schädlich darstellt, kann Schlechtes tun, ohne schlecht dazustehen. Die meisten dieser populistischen Exponenten schämen sich ja nicht für ihre Fremdenfeindlichkeit oder ihr Liebäugeln mit nationalistischem Gedankengut. Man kann ihnen auch in aller Öffentlichkeit offensichtliche politische Fehltritte nachweisen. Oder Betrug, Steuerhinterziehung oder noch Schlimmeres. Aus ihrer Machtposition drängen kann man sie damit trotzdem nicht, diese Meister der Täuschung. Ein kritischer Journalist kann einen Populisten entlarven. Aber er schafft ihm damit bloss eine Situation, in der er am Ende wieder mal als «Opfer einer Verschwörung» dasteht, was ihn zum Verbündeten seiner immer grösser werdenden Anhängerschar macht. 

Aber was erzähl ich da. Das wissen wir doch alle. Haben wir doch längst durchschaut. Da lachen wir höchstens drüber. Ich wiederhole mich.

Siegeszug der Flegel

Leider muss ich mich wiederholen. Denn ein Phänomen, das die Welt schon mehrmals in den Abgrund gestürzt hat, feiert hier – nach einer kurzen Phase der Vernunft, des Aufbaus und Fortschritts – gerade ein groteskes Revival. Vor den Augen ganz Europas erobert ein Gedankengut die Parlamente zurück, das wir noch bis vor Kurzem zu Recht mit allen Mitteln bekämpft haben.

Das ist wieder mal Biedermann. Die Brandstifter sind heute Präsidentschaftskandidaten.

Die Vernünftigen sind sich einig: Das ist haarsträubend. Diese Haudegen sind ja nicht mehr ernst zu nehmen. Guckt euch mal diesen senilen Blocher an!

Dabei ist das ein weiteres Erfolgsrezept der Nationalisten. Dass sie nicht ernst genommen werden. Das ist wieder mal Biedermann. Die Brandstifter sind heute Präsidentschaftskandidaten. Klar, man schüttelt die Köpfe. Man ist entsetzt! Diese armen Teufel an der Grenze! Diese ungehobelten Flegel mit ihrer paranoiden Weltsicht in all diesen Talkshows!

Aber ändert das was am Siegeszug der Flegel? Unternehmen wir etwas dagegen? Oder wollen wir gar unterbewusst, dass die Demagogen siegen? Haben sie uns auch verführt? Leben wir lieber in einem abgeschotteten Europa, das seine Sicherheit auf Tausenden Leichen flüchtender Menschen aufbaut oder sind wir bereit für ein offenes Europa, das sich den Herausforderungen stellen muss? Eine verfahrene Situation.

Packen wir sie! 

Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer. Die Demagogen haben eine Schwachstelle. Eine, die gleichzeitig ihr Erfolgsgeheimnis ist: die Illusion. Diese schaffen sie zwar zu etablieren. Doch die etablierte Illusion müssen sie auch aufrechterhalten. Das ist die Schwachstelle.

Sie versprechen dem Volk Medizin und verabreichen Placebos. Alle diese populistischen Parteien stimmen ja eigentlich immer gegen das Volk. Sie kürzen Sozialleistungen, sind gegen Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Homo und Hetero und erwirken Steuerentlastungen für Superreiche (oft Ausländer) und nicht zuletzt für sich selbst. Da könnten wir sie kriegen. Wirklich blossstellen. Entwaffnen.

Während sich hier ein schreiender Multimilliardär als Opfer darstellt, ertrinken im Mittelmeer leise die wahren Opfer.

Zum Beispiel mit Kunst. Wenn mich persönlich etwas zu kritischem Denken erzogen hat, zum Erkennen der eigenen und kollektiven Stärken, dann waren es gute Bücher. Filme. Musik. Bilder. Museen. Und ja, auch Lehrerinnen und Lehrer. Solche, die es vermochten, mir diese Welt näherzubringen. Die mich gelehrt haben zu verknüpfen, zu wagen, zu hoffen – aber eben auch immer zu zweifeln. Solange da draussen Menschen herumlaufen, die permanent in Superlativen sprechen und mit geschickter Rhetorik historische Sachlagen zu ihren Gunsten verdrehen, braucht es eine Generation kritischer Denker, die sie entlarvt.

Das ist für mich ein möglicher Ausweg aus der drohenden braunen Misere. Dass wir die kommende Generation in Offenheit, Neugier und Kreativität erziehen. Gute Bildung, gute Mentorinnen und auch öffentliche Personen, die sich kritisch zu diesen brisanten Themen äussern. Immer und immer wieder. Bis wir über Blocher und Konsorten nicht mehr lachen, sondern wütend darüber sind, dass diese Menschen überhaupt in diese Machtpositionen gekommen sind. Empört darüber, dass es in der Schweiz Armut gibt und fest entschlossen, das Flüchtlings-Elend mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des modernen Europas zu bekämpfen. Denn während sich hier ein schreiender Multimilliardär als Opfer darstellt, ertrinken im Mittelmeer leise die wahren Opfer.

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An dieser Stelle ein Danke an Max Horkheimer, der schon vor Jahrzehnten vor diesen demagogischen Tricks gewarnt hat, und an Marsimoto für das Wortspiel: «Axel-Springer-Stiefel».

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