Politshow störte die Andacht für die Opfer

Im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung in Auschwitz-Birkenau hätten die Opfer und die Überlebenden des Holocaust stehen sollen. Der Politzirkus machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

French President Francois Hollande holds a candle during a ceremony on the site of the former Nazi German concentration and extermination camp Auschwitz-Birkenau near Oswiecim January 27, 2015. Ceremonies to mark the 70th anniversary of the liberation of the camp take place on January 27, with some 300 former Auschwitz prisoners taking part in the commemoration event. Nazi Germany built the Auschwitz camp in 1940 as a place of incarceration for the Poles. From 1942, it became the largest site of extermination of the Jews from Europe. In Auschwitz, Nazis killed at least 1.1 million people, mainly Jews, but also Poles, Roma, Soviet prisoners of war and prisoners of other ethnicities. On January 27, 1945 the camp was liberated by the Red Army soldiers. REUTERS/Jakub Porzyck/FORUM (POLAND - Tags: ANNIVERSARY SOCIETY CONFLICT POLITICS) ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. POLAND OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN POLAND (Bild: FORUM)

Im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung in Auschwitz-Birkenau hätten die Opfer und die Überlebenden des Holocaust stehen sollen. Der Politzirkus machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski konnte es sich nicht verkneifen. Während seiner Eröffnungsrede bei der Gedenkveranstaltung zur 70-jährigen Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau betonte er, dass «die Soldaten der 60. Armee der ersten Ukrainischen Front der Roten Armee» das KZ befreit hätten. Und fügte hinzu: «An diesem Tag vor 70 Jahren betrat die 100. Division aus Lwiw das Lager.»

Gleich zu Beginn benutzte Komorowski die Gedenkveranstaltung für eine politische Debatte, die bereits Tage zuvor zwischen Russland und Polen brodelte. Vor einer knappen Woche hatte erst der polnische Aussenminister Grzegorz Schetyna in einem Radio-Interview geäussert, ukrainische Soldaten hätten Auschwitz-Birkenau befreit.

Deutsche Nachrichtenagenturen berichteten einzig, dass Komorowski den Einsatz der Roten Armee würdigte. Kein Wort von politischer Provokation. Auch die russischen Medien fokussierten sich auf die Würdigung Komorowskis. Nur Medien wie die «Ukrainska Pravda» stürzten sich auf den Happen, den Komorowski ihnen hingeworfen hatten und klammerten sich in ihrer Berichterstattung daran.

Bewegende Reden gingen unter

Dabei hatten sich die Veranstalter des Gedenktages vom Museum Auschwitz-Birkenau laut Pressesprecher Pawel Sawicki besondere Mühe gegeben, diesen Tag alleine den Überlebenden widmen zu wollen. Der Politzirkus machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Drei Holocaust-Überlebende hielten bewegende Reden. Der Zeitzeuge Roman Kent warnte vor Rassismus jeglicher Art und beendete seine Rede mit den Worten: «Wir wollen nicht, dass unsere Vergangenheit zur Zukunft unserer Kinder wird.» Nicht nur dem Redner, auch dem Publikum standen Tränen in den Augen.



Survivor Roman Kent makes a speech at a ceremony on the site of the former Nazi German concentration and extermination camp Auschwitz-Birkenau near Oswiecim January 27, 2015. Ceremonies to mark the 70th anniversary of the liberation of the camp take place on January 27, with some 300 former Auschwitz prisoners taking part in the commemoration event. Nazi Germany built the Auschwitz camp in 1940 as a place of incarceration for the Poles. From 1942, it became the largest site of extermination of the Jews from Europe. In Auschwitz, Nazis killed at least 1.1 million people, mainly Jews, but also Poles, Roma, Soviet prisoners of war and prisoners of other ethnicities. On January 27, 1945 the camp was liberated by the Red Army soldiers. REUTERS/Laszlo Balogh (POLAND - Tags: ANNIVERSARY SOCIETY CONFLICT)

Hielt eine bewegende Rede: der Auschwitz-Überlebende Roman Kent. (Bild: LASZLO BALOGH)

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, zerstörte dagegen in seiner darauffolgenden Rede gleich die friedliche Atmosphäre, die Kent geschaffen hatte, indem er den wachsenden Antisemitismus in der Welt in den Vordergrund rückte. Die andächtige Stimmung, die Kent mit seiner bewegenden Rede für Respekt und Toleranz geschaffen hatte, wurde jäh gestört.

Nicht nur dem Redner, auch dem Publikum standen Tränen in den Augen.

Auch zum Abschluss der Veranstaltung wurden wieder die Politiker in den Vordergrund gerückt. Sie waren die ersten, die das Festzelt verliessen, um durch Schnee und Dunkelheit zum knapp einen Kilometer entfernten Mahnmal zu waten und den Ermordeten eine Kerze anzuzünden. Die Überlebenden, von denen der Grossteil über 80 ist, warteten in der Zeit auf ihre Rückkehr, um selbst den Gang antreten zu können.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nutzte im Anschluss gleich die Gelegenheit sich mit ukrainischen Besuchern und einer ukrainischen Flagge vor dem Auschwitzer «Todestor» ablichten zu lassen.

Geschmackloser, virtueller Rundgang durch die Gaskammer für die Überlebenden

Zur Krönung der Veranstaltung führte Steven Spielberg, der für den Gedenktag eigens einen Kurzfilm gedreht hatte, die rund 300 Zeitzeugen virtuell durch die Gaskammer. Gegen den Informationsgehalt des Films lässt sich gar nichts sagen. Und als reiner Bildungsfilm ist er sicherlich sehr gelungen – aber an dieser Stelle war er einfach völlig geschmacklos. In manchen Reihen ging ein Raunen durch die Runde. Einige Überlebende verliessen ihre Plätze.



Survivors attend a ceremony on the site of the former Nazi German concentration and extermination camp Auschwitz-Birkenau near Oswiecim January 27, 2015. Ceremonies to mark the 70th anniversary of the liberation of the camp take place on January 27, with some 300 former Auschwitz prisoners taking part in the commemoration event. Nazi Germany built the Auschwitz camp in 1940 as a place of incarceration for the Poles. From 1942, it became the largest site of extermination of the Jews from Europe. In Auschwitz, Nazis killed at least 1.1 million people, mainly Jews, but also Poles, Roma, Soviet prisoners of war and prisoners of other ethnicities. On January 27, 1945 the camp was liberated by the Red Army soldiers. REUTERS/Michal Lepecki/Agencja Gazeta (POLAND - Tags: SOCIETY CONFLICT) THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. POLAND OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN POLAND.

Mussten einen virtuellen Gang durch die Gaskammer mitansehen: Überlebende des KZ-Auschwitz-Birkenau. (Bild: AGENCJA GAZETA)

Erschienen waren auch viele Überlebende aus den ehemaligen Sowjetstaaten, darunter Weissrussen. «Ich bin enttäuscht, dass man die slawischen Opfer oft vergisst», beklagte der Student Jewgenij Sacharow, der sich seit fünf Jahren mit der Holocaust-Thematik auseinandersetzt. Er war eigens mit einer weissrussischen Gruppe aus Witebsk angereist, um der Opfer zu gedenken und für sie Heimaterde vor dem Mahnmal niederzulegen.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Veranstaltung war die Sprachübertragung vor Ort. Sie fand ausschliesslich auf Polnisch und Englisch statt, sodass russischsprachige und andere Opfer rein inhaltlich von vornherein von der Veranstaltung ausgeschlossen wurden.

Auch einige der Zeitzeugen sahen die Durchführung der Veranstaltung durchaus kritisch. Der Auschwitz-Überlebende Jacek Zieliniewicz sagte in einem Interview: «Einmal in zehn Jahren kann man das überleben.»

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Die Autorin hat für die TagesWoche den Überlebenden Leon Weintraub bei seiner Rückkehr ins KZ begleitet: Die Rückkehr an den Ort des Undenkbaren.
Sehenswert zum Thema auch der Kommentar von Anja Reschke in der «Tagesschau»:

Quellen

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